Sonntag, 25. Februar 2018
"Du hattest doch mal einen Blog" - so in etwa wurde ich neulich im Internet von einem Bekannten angesprochen. "Ja, natürlich", meinte ich, "den gibt es immer noch". Allerdings muss ich gestehen, dass ich schon lange nichts mehr geschrieben geschweige denn veröffentlicht habe. Das liegt nicht etwa daran, dass nichts mehr passierte, sondern daran, dass ich immer auf den "passenden Moment" warte. Dieser passende Moment kam einfach nicht. Also nehme ich einfach den unpassenden Moment für einen Post.
Da sitze ich nun und starre auf das weiße Papier, äh auf den weißen Bildschirm, der sich nur allmählich mit kleinen schwarzen Ameisen füllt. Also der Reihe nach.
Krebs und die Einstellung dazu
Im Laufe der Monate hat sich meine Einstellung zur Krankheit grundlegend verändert. Der Respekt ist geblieben, keine Frage. Nur der Schrecken, der ist erstmal fort. Viele der fürchterlichsten Erlebnisse des letzten Jahres jähren sich nun. Vor einem Jahr hatte ich diese wirklich lästigen Bluthochdruckkrämpfe. Vor einem Jahr hatte ich noch Schmerzen. Vor einem Jahr wusste ich noch nicht, was alles auf mich zukommt und wie ich da durch kommen soll. Heute ist das Vergangenheit.
Mehr und mehr sehe ich den Krebs, der immer noch in mir schlummert, als einen Teil meiner Persönlichkeit an. Er gehört nun einfach dazu wie meine Sehschwäche links, wie mein Kampf um das Körpergewicht, wie meine Karies und wie meine körperlichen Fähigkeiten. Es hat ja keinen Sinn, ihn nur als Feind und als Fremden zu betrachten. Ja, er ist ohne Einladung in mein Leben gekommen. Aber - um Frau Merkel zu zitieren - "nun ist er halt da".
Die zerstörerische Komponente ist ihm ja fürs erste genommen. In einer dunklen Kammer sitzt er verborgen und fragt sich, ob er wieder herauskommt. Selbstverständlich mache ich ihm das so schwierig wie möglich, aus dieser dunklen Kammer auszubrechen.
Aber die seelische Komponente, da kann sich der Krebs noch heute breit austoben. Soll er. Ich kann ihn da einfangen und in mein Leben hineinnehmen. "If you can´t beat them, join them."
Wie sich das auswirkt, ist schwer zu beschreiben. Am besten geht das, wenn ich mit Menschen spreche, die ebenfalls Krebs haben oder hatten. Da gibt es dann immer diesen Punkt, den ich als Initiation beschreibe: Die DIAGNOSE. So wie erweckte Christen einander fragen, wie und wann sie ihr Leben "Jesus gegeben" haben, so fragen Krebsler einander, wie und wann sie die Diagnose erhalten haben. Da erzählt eine Arbeitskollegin von ihrer Diagnose, als man bei ihr ein bösartiges Melanom feststellte. Es braucht dann keine weiteren Ausführungen - wir wissen Bescheid, wie es einem dabei geht.
Das hebt uns etwas von der Welt der übrigen Menschen ab. Ein gewisses "etwas" zeichnet uns aus. Eine bestimmte Erfahrung ist es, die wir gemeinsam haben, eben den Krebs.
Ich kann nun noch nicht sagen, was die Akzeptanz der Krankheit für mein Leben im einzelnen bedeutet. Schlussfolgerungen zu treffen ist mir noch viel zu früh. Dass ich aber schöpferisch mit der Krankheit umgehen kann, das ist für mich eine revolutionierende Entdeckung. Dieser Spur werde ich weiter nachgehen.
Der Brei
Meine Gedankenwelt ist in diesen Monaten ungeordnet. Zu vieles ist in den letzten Monaten passiert, das mich zum Teil bis aufs Äußerste in Anspruch genommen hat. Während meiner Spaziergänge (ich bin leidenschaftlicher Spaziergänger) ordne ich regelmäßig meine Gedankenwelt. Aber das funktioniert nicht mehr. Mal taucht dieser Gedanke auf, mal jener, dann wieder ein andere. Oft sind das negative Gedanken, die mit ausgesprochen negativen Emotionen verbunden sind.
Ich nenne das den Brei. Es ist ein grauer, grüner, gelber, brauner, schwarzer, blauer, roter Brei, aus dem ich bald dieses, bald jenes herausfische. Habe ich das Gefischte in der Hand betrachte ich es, denke darüber nach, dann flutscht es mir aus der Hand und plumpst zurück in den Brei. Greife ich danach in den Brei, um es wiederzuholen, dann fische ich todsicher etwas anderes heraus.
Vieles von dem, was ich gerade in diesen Tage erlebe, plumpst dann ebenfalls in diesen Brei. Was da hineinplumpst wird von mir zunächst einmal vergessen. Das kann alles mögliche sein, das dergestalt aus meinem aktiven Gedächtnis Richtung Brei entfleucht.
"Räum doch einfach auf." Also nehme ich einen großen Rührlöffel und fange an, den Brei erstmal ordentlich umzurühren. Doch bleibt der Löffel stecken und der Brei rührt sich kaum.
Was soll ich also mit dem Brei machen?
Stehen lassen.
Akzeptieren.
Je mehr Krampf ich in diesen Brei investiere, desto zäher wird er. Und je gelassener ich ihn betrachte, desto lockerer wird er. Je lockerer dann der Brei, desto besser kann ich ihn auflösen. Aber das braucht zweierlei: Zeit und Geduld.
Veränderungen geistlich
Mein Leben hat zur Zeit viele Herausforderungen. Sicherlich ist die Krankheit eine große Herausforderung, aber da kommen eine Menge weiterer hinzu, die nicht Gegenstand dieses Blogs sein können und sollen. Doch heißt es hier nun Kräfte bündeln statt Kräfte zu streuen.
Ich höre viele Predigten - und so wenig Tröstliches ist dabei, das mir helfen könnte, den Alltag zu packen. Viele Prediger sind offensichtlich auf der Suche nach Mitarbeitern, weshalb sie Motivationspredigten halten, um die Menschen zur Aktivität zu bewegen. Vorbilder werden bemüht, wie toll die sich einsetzen. Storys werden erzählt, die den Segen des Mitdienens herausstellen. Illustrationen werden verwendet, um das ganze griffig zu bündeln. Kampagnen werden gestartet, damit jeder weiß, dass er gebraucht wird.
Sorry folks, ich bin müde.
Die Gemeinde hat längst ihren Betrieb fortgesetzt und läuft mit unverminderter Dynamik weiter. Da ich zurückbleiben musste, kann ich gerade noch die Rücklichter der Gemeinde sehen, ehe sie um die nächste Kurve biegt und dann ganz aus meinem Sichtfeld gerät.
Lass sie fortfahren.
Ich sehne mich nach Ruhe. Ich sehne mich nach dem Einen, der mir sagt: "Ich gebe deiner Seele Frieden." Ich sehne mich danach, dass nicht nach Leistungen, sondern nach Herzen gefragt wird. Ein Christenleben ohne Druck. Ein Christenleben, das ohne Maske auskommt.
Wenn das Reich Gottes nur durch Expansion der Gemeinde wächst und nicht in mir selbst, dann wächst es nicht.
Jetzt suche ich danach, dass es in mir wieder wächst.
Alles Gute, Alsterstewart
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