Nacht zum Sonntag, 18. März 2018
Vorgestern am Freitag war wieder Infusionstag. Das ist der Tag, an dem ich mir den neuen Antikörper abhole. Die Bekämpfung des Krebs mit einem im Labor hergestellten Antikörper ist ein relativ neuer Schrei in der Krebstherapie. Der Antikörper bewirkt zweierlei: Zum einen blockiert er die Signalwege der Tumorzellen, zum anderen aktiviert er die körpereigene Immunabwehr, die üblicherweise degenerierte Zellen zerstört. Einen speziell für meinen Krebs hergestellten Antikörper hole ich mir in die Phase alle 14 Tage im UKE ab und darf ihn mit nach Hause nehmen. Bald wechselt das auf einen 28 Tage-Rhythmus.
Kein Grund zur Panik - oder doch?
Als ich auf dem Weg ins UKE war dachte ich mir, dass der Krebs eigentlich seinen bedrohlichen Schrecken verloren hat. Was wird wohl passieren, wenn ich irgendwann im Spätherbst des nächsten Jahres mit der Therapie am Ende bin? Dann folgt sicherlich die Nachsorge mit regelmäßigen Kontrolluntersuchungen. Aber sonst….? Kein Grund zur Panik.
Dann sitze ich auf dem Infusionsstuhl. Ich nenne das immer „Ausflug an die Ostsee“. Warum? Weil die Bilder an den Wänden der Orthodpädischen Ambulanz Ostseemotive sind, Fotografien von Stränden, vermutlich von der Insel Usedom.
Ostsee…. Ich träume.
Aber dann weicht etwas vom gewohnten Ablauf ab. Mir wurde wie üblich Blut abgenommen, dann warte ich auf die Prämedikamention, die der Infusion vorangeht.
Warum kommt nicht gleich die Prämedikamention, die ich immer kurz nach der Blutabnahme erhalte? Eine viertel Stunde vergeht, dann eine halbe Stunde. Die Schwester, die mich betreut, erscheint. „Frau Dr. A möchte sie vorher noch sprechen.“ Warum will sie mich sprechen? Warum vorher? Der übliche Ablauf ist das nicht. Stimmt etwas nicht? Hat man etwas in meinem Blut entdeckt? Ist da etwas bei mir nicht normal?
Schweiß tritt mir aus, der Puls geht hoch, die Gedanken tanzen Pogo. Ich muss das Buch weglegen, das ich gerade lese. Langsam kriecht etwas in mir hoch, das ich „Schrecken“ nennen möchte. Dieser langsame Schrecken korrespondiert mit der sich rasend schnell ausbrechenden Panik. Mir geht es hundeelend. Natürlich versuche ich mich zusammenzureißen. Aber was nützt das?
Wann kommt Frau Dr. A?
Die Sekunden werden zu Minuten, die Minuten werden zu Stunden.
Es herrscht dabei viel Betrieb in der Ambulanz. Dauernd kommen und gehen Leute. Manchmal sehe ich Ärztinnen und Ärzte geschäftig durch den Gang laufen. Aber für mich kommt gerade niemand. Was ist bloß los mit mir?
Nach einer Ewigkeit erscheint Frau Dr. A. Endlich! „Haben wir etwas zu besprechen?“ fragt sie. Ah ja, so würde sie nicht fragen wenn tatsächlich etwas Ernstes zu besprechen wäre. Flugs beruhigt sich mein Inneres wieder, die Nebel des Schreckens lichten sich. Die Panik ist vorbei.
Wir gehen also ins Besprechungszimmer. „Alle Werte in Ordnung, Herr Wartisch. Wir können gleich mit der Prämedikamentation starten.“ Mein Puls beruhigt sich. Das Leben ist schön.
Sie sagt „Ich bin immer ganz zufrieden, wenn die Beschwerden meiner Patienten darin bestehen, dass sie Ärger mit ihrem Chef oder nervige Kinder haben. Ganz normaler Alltag also.“ Ja, solcherlei Beschwerden kann ich auch liefern.
Ich denke allerdings auch: Nur ein kleines Abweichen vom gewohnten Ablauf in der Behandlung, eine marginale Kleinigkeit - und schon kehrt der Schrecken des Krebses wieder. Überwunden ist er nicht, er ist immer noch latent in mir. Es braucht nicht viel, damit die Panik angetriggert wird.
Der Preis
Im Gespräch mit Frau Dr. A stellte sich heraus, dass wir tatsächlich etwas zu besprechen hatten. Nachdem das geklärt war sagte ich, dass ich erschrocken war über den hohen Preis, den mein zweites Krebsmedikament, das ich jeden Tag nehmen muss, kostet. Von einer 21-Tabletten-Packung Revlimid, so heißt der Stoff, kann ich schon ein Auto anzahlen.
Ehrlich gesagt: Auch wenn das Medikament mein Leben rettet, habe ich angesichts des Preises doch ein schlechtes Gewissen.
Das ließ Frau Dr. A nicht gelten. Sie meinte: „Es ist wissenschaftlich in vielen Studien erwiesen, dass Revlimid deutlich lebensverlängernd ist. Da fallen Entwicklungskosten an. Und Sie, Herr Wartisch, sind für die Krankheit noch jung. Sie zahlen Steuern, zahlen Krankenkasse und haben Aufgaben. Machen Sie sich bloß keine Gedanken um den Preis.“
Na klar hat sie recht.
Ich rechne zwar aus, was eine Tablette dieses Medikaments kostet. Aber wiegt das mein Leben auf? Was ist mir mein Leben wert? Ein Rechnungsposten in der Krankenkassenbilanz?
Was ist das, dass ich mir Gedanken um die Kosten, den materiellen Preis der Therapie mache?
Hier offenbart sich mir, dass ich immer noch in die falsche Richtung denke. Geld ist ein Hilfsmittel, kein Selbstzweck. Es ist unser Diener, nicht unser Herr. Was meine Therapie angeht hilft mir die Solidargemeinschaft der Versicherten, dass ich mir diese aufwändige und kostspielige Therapie leisten kann.
Noch etwas kommt mir in den Sinn: Ich bin dankbar. Dankbar dafür, dass ich in einem Land, in einer Stadt lebe, in dem eine so teure Therapie für meine Krankheit möglich ist.
Zeit also zum Umdenken.
Geduld mit mir
Diese kurzen Episoden an einem ganz normalen „Ostsee“-Freitag zeigen mir allerdings, wie unruhig meine Gedanken geworden sind. Immer wieder kreisen meine Gedanken, immer wieder plumpsen sie in den Brei oder steigen aus ihm empor, von dem ich im letzten Blogpost gesprochen habe.
Ich will das alles geordnet haben. Am besten sofort.
Geduld.
Aber aber aber aber….
Geduld!
Sofort, sofort
Geduld!!!
Ich kann Geduld auch üben. Dabei geht es nicht einmal darum, die Geduld zu einem bestimmten Zweck einzuüben. Geduld ist sich selbst Zweck genug, Im Üben der Geduld allerdings darf ich auf Gott vertrauen, ohne den alle Geduld, alle Hoffnung umsonst wäre.
„Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“ - Jesaja 40:31
Geduld lässt sich nur im Bewusstsein der permanenten Gegenwart Gottes üben. Sie kostet Kraft, keine Frage. Aber Gott selbst hält Sein Wort.
So will ich Geduld üben mit mir selbst und meinem Gedankenbrei. Geduld üben mit meiner Unzulänglichkeit. Geduld üben mit der in mir sitzenden Angst. Geduld üben mit meiner Umwelt.
Und geduldig zu sein, wenn ich dann doch ungeduldig werde.
Alles Liebe, Alsterstewart