Dienstag, 13. November 2018


Aus dem Remissionsalltag

Seit annähernd einem Jahr befinde ich mich mit meiner Therapie im Erhaltungsstadium. Das Thema "Chemo" ist also lange nicht abgeschlossen, vielmehr durchlaufe ich seit Ende November letzten Jahres eine Reihe von 28 Zyklen zu je 28 Tagen. Zunächst hatte ich jeden ersten und jeden 15. Tag des Zyklus eine Antikörperinfusion, seit Juni nur am jeweils ersten Tag des Zyklus die Infusion. Jeden Tag nehme ich dazu meine Dosis Revlimid und gegen die Thrombose-Embolie-Gefahr morgens und abends je 5 mg Eliquis.

Das alles läuft so nach den Plänen noch bis Januar 2020. Das bedeutet also eine gewisse Strecke, die noch vor mir liegt. Ich habe noch nicht einmal die Hälfte dieser Erhaltungstherapie erreicht. Aber gut, wenn mich die Chemotherapie eines gelehrt hat, dann das: Geduld führt ans Ziel.

So melde ich mich daher alle vier Wochen im UKE. Ich nenne das - leicht euphemisierend - einen Ausflug an die Ostsee. Das klingt netter als "Onkologie" und fängt überdies auch mit einem "O" an. Warum ausgerechnet Ostsee? Das klärt sich im Laufe dieses Blogposts.

Es ist nun nicht so, dass mir die Einnahme von Medikamenten so richtig Spaß macht - im Gegenteil. Doch habe ich die durchaus lebenserhaltende Lektion gelernt, dass die Medikamente mir da weiterhelfen, wo mein Körper nicht mehr die erforderliche Gegenwehr gegen Krankheiten und Ungemach aller Art bietet. Also prima. Nein? Nicht nur prima.

Mit den Medikamenten kommen auch die Nebenwirkungen. Bei meinem Revlimid-Konsum komme ich auch diverse lustige Begleiterscheinungen. Da sind ab und zu spannende Muskelkrämpfe (vorzugsweise in den Finger-, Zehen- und Wadenmuskeln), eine Neigung zu Infekten aller Art, Schläfrigkeit, Reizbarkeit und unberechenbare Körperreaktionen, wenn es zu Infekten dann kommt. Neulich im Oktober durchlitt ich den xten Infekt dieses Jahres. Innerhalb weniger Tage stieg das Fieber mal wieder in schwindelnde Höhen. Als es dann endlich fiel, erfreute ich mich zahlloser roter Flecken im Gesicht, auf dem Kopf, am Hals und am ganzen Oberkörper. Das war ein juckendes Vergnügen und eine neue Erfahrung.

Nervig ist natürlich die Schläfrigkeit, die mich ab und zu im Alltag überfällt. Da kommt zusätzlich zu den Medikamenten noch die psychische Belastung hinzu.

Ach ja: Es gibt nicht nur die Grunderkrankung, die sonstigen möglichen Krankheiten laufen auch noch mit. Kürzlich diagnostizierte ein Nuklearmediziner bei mir den Verdacht auf "kalte Knoten" in der Schilddrüse. Da habe ich auch noch ein Thema, vielen herzlichen Dank, liebes Leben.

"Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel. Man weiß nie, was man bekommt." (Forest Gumps Mutter, zitiert nach Forest Gump).

Zweifellos aber stellen die Infusionstage die Höhepunkte im Remissionsalltag dar. Wie gesagt: Alle vier Wochen freitags. Im UKE.

Das Ritual läuft immer ähnlich ab: Anmeldung, Wartezeit, Blutabnahme, Einfinden auf dem Infusionssessel, Vormedikation (intravenös und oral), Arztgespräch, Hauptmedikation (intravenös) und Nebenmedikation (ebenfalls in die Vene). Je nach Organisation, Patientenandrang, Personalsituation dauert das dreieinhalb bis vier Stunden, manchmal auch länger. Ich bekomme eine schöne Portion Elotuzumab, so nennt sich das Präparat, das aus einem Beutel in meine Blutbahn tropft. Irgendwie unspektakulär.

Auf den Sesseln links und rechts neben liegen und sitzen andere Patienten. Einige erhalten Kühlpackungen auf die Hände und die Füße. Ich wage nicht zu fragen, was ihnen verabreicht wird.

Sorry UKE, aber die Räume strahlen eine tiefe Trostlosigkeit aus. Wären da nicht in jedem Raum an den Wänden diese.... fantastischen... Entspannung verheißenden... Frieden ausstrahlenden.... 

FOTOS (s. Darstellung, leicht schräg über dem Stuhl angeordnet).


Ja, das sind Ostsee-Motive! 

Während die Chemotherapie in meine Vene tropft, bin ich in Gedanken irgendwo zwischen Darß, Zingst, Rügen und Usedom unterwegs. Was könnte schöner sein.....?!

Ein Infusionsfreitag ist ansonsten ein lustiger Tag. Die Medikamente wirken leicht euphorisierend, ich darf nur nicht Auto fahren. Ansonsten fühle ich mich benommen, aber stark. 

Am Sonnabend geht es mit den Kräften leicht abwärts und der Sonntag ist dann ein Tag zum Vergessen. Da hänge ich total durch, da ist mit mir nichts mehr anzufangen. Erst am Montag oder Dienstag komme ich wieder zu mir.

Remissionsalltag eben in der Erhaltungstherapie.

OK, es hätte schlimmer kommen können.

Noch mehr als ein Jahr, dann bin ich mit der Therapie durch. Und dann....?

Es lebt sich so lala mit MM.

Alles Gute.