Montag, 10. Mai 2021

 



Myelom - 2. Teil



Ich musste mich als Myelom-Patient darauf einstellen, dass der Krebs mit dem Erreichen der Remission im Juli 2017 nicht vorbei ist. Eine der Eigenarten des Myeloms ist seine Unbesiegbarkeit. Es kommt also wieder. Darauf war ich eingestellt.


Mitte Februar hat mir meine Onkologin eröffnet, dass die Lamda-Leichtketten stark gestiegen seien. Das sind Proteinverbindungen, die eine Aussage über den Status meines Blutproteins zulassen. Normalerweise sind knapp 20 Mikrogramm ok. Bei mir aber war der Wert zu diesem Zeitpunkt bei knapp 1000 Mikrogramm. Mir war sofort klar, was das heißt: Rezidiv, also der Rückfall in die Krankheit.


Anfang März wurde ich in die Onkologische Ambulanz des UKE zu einer der renommiertesten Spezialistinnen Deutschlands in Sachen Myelom empfohlen. Nach diversen Tests kam auch Frau Professor zu dem Befund: Rezidiv, beginnend.


Wenn ich das zusammenfasse, dann hatte zu diesem Zeitpunkt der Rückfall in die Krankheit gerade begonnen. Ein wesentlicher Wert allerdings war noch einigermaßen ok: Der Wert, der die krebsbedingte Gewebezerstörung anzeigt. Bei Myelom-Patienten wäre das v.a. die Auflösung der Knochensubstanz. 2016/17 hatte sich dort ja der Krebs das erste Mal mit den Horrorschmerzen in der linken Schulter inklusive Brüchen gezeigt. 


Ich bin also schmerzfrei. Alles palletti? Leider nein. Die Ausbreitung des Myeloms hat diesmal offensichtlich extreme Blutarmut (Anämie) zur Folge. Mein Körper produziert also zu wenig Hämoglobin, sodass ich unter extremer Kurzatmigkeit und hohem Puls leide. Ein hartnäckiger Reizhusten kommt noch hinzu.


Das also ist die Lage.


Jetzt warten noch ein paar Untersuchungen auf mich. Das Herz, die Lungen müssen auf ihre Kapazitäten hin begutachtet werden. Praktischerweise gibt es in Corona-Zeiten keine  freien Lungenarzt-Termine mehr.


Doch gesetzt den Fall, ich kann bald starten, dann geht es am 31. Mai wieder los mit einer Antikörpertherapie. Das ist sozusagen die modernere Variante der Chemotherapie. Für die noch modernere Immuntherapie kam ich leider nicht in Frage. 


Es wird also abermals sportlich.


Ich habe auch etwa gezögert, die Lage zu posten. Meine Tochter schreibt gerade ihr Abitur und da wollte ich mit der schlechten Information warten, bis sie wenigstens die Klausuren hinter sich hat. Das ist halt immer das Dumme: Wenn man Angehörige hat, die man mit einer solchen besch… Nachricht konfrontieren muss.


In den Reaktionen vieler Menschen, die ich insbesondere noch aus vergangenen Zeiten in der christlichen Gemeinde kenne, kamen viele liebe Reaktionen auf meine Lage. Viele beten für mich oder gedenken meiner im Gebet. Sie proklamieren Gottes Heilung für mich. Ich danke allen, die das so machen. Das sind sehr liebe Gesten, die mir viel bedeuten.


Aber: In den letzten Jahren ist mir dieser Glaube irgendwo abhanden gekommen. Zwischen Therapien, erneuten Infektionen und mit dem Wissen, dass der Krebs wiederkommen wird, kam der Zweifel an einen Gott, der alles in der Hand hat, mit Macht über mich. „Und wenn ich jetzt sterben muss und dann ist alles vorbei.“ war ein Gedanke. Meine Antwort: „Dann ist das eben so und ich habe die Krankheit dann hinter mir.“ hat mich wirklich getröstet.


Meine Übung ist seither, die radikale Annahme meines Schicksals. Leben mit dem Krebs. Das Myelom als Bestandteil meines Lebens zu akzeptieren. Einen anderen Weg gibt es da für mich nicht mehr. Und schließlich durch meditative Achtsamkeit das Leiden, das mich getroffen hat, zu transformieren. Hört sich komisch an, hilft mir aber.


Zuweilen kommen mir die Erinnerungen an mein altes Leben wieder hoch. An alles das, was ich zurücklassen musste, was unwiederruflich vorbei ist. In der Netflix-Serie „Shtisel“ zitierte der alte Rabbi Shulem Shtisel aus einem Buch des US-amerikanisch-polnischen Schriftsteller Isaac Bashevis Singer die Passage


„The Dead don’t go anywhere.They’re all here. Each man is a cemetery, in which lie all our grandmothers and grandfathers, the father and mother, the wive, the child. Everyone is here all the time.“


Fiat.