Sonntag, 18. Juni 2017


18. Juni 2017 (Sonntag)

Heute war der letzte Tag vorher. Gott sei Dank konnten Christiane und ich den Vormittag bis weit in den Nachmittag hinein mal zu zweit verbringen. Also fuhren wir in die HafenCity. Dort kamen wir gerade an einem freundlichen Mann vorbei, der Menschen zu einer Zwanzigminutenfahrt über die Elbe einlud. Kosten: Spende. Das passte super: Wir bestiegen das Boot, ein ehemaliges Feuerlöschboot mit dem Namen „Repsold“, kreuzten von der HafenCity bis zu den Schwimmdocks von Blohm & Voss und dann ging es wieder retour. Danach konnten wir ein herrliches Mittagessen im „Ti Breizh“ genießen, was auch unseren frankreichaffinen Seelen zugute kam. Kurzum: Ein schöner, sonniger Sonntag.

Drumm. Drumm. Drumm.

Die ernsten Trommelschläge verkünden: Ab morgen bist Du drei Wochen im UKE. DREI WOCHEN.

Seele

Meine Seele läuft Amok. Sie kommt einfach nicht zur Ruhe. Ständig ist sie in Bewegung. Mein Denken ist nicht mehr klar, mein Denken ist nicht mehr geradeaus, meine Stimmungen schwanken. Dabei denke ich doch, dass ich alles im Griff habe. Und der Verstand sagt mir: „Stefan, da musst du durch, es gibt kein Zurück und es gibt kein Vorbeischummeln, wenn du gesund werden willst.“ Ja, ja, der Verstand…. Aber tief in mir ist die Seele, und DIE SCHREIT.

Neulich erhielt ich Verhaltensfeedback: „Du warst heute so eigenartig“. Das war mir gar nicht aufgefallen. Eigenartig? Ich? Und dabei war es doch ein so schöner Tag gewesen. Da kann ich gar nicht eigenartig gewesen sein. Und doch war es so. Da wächst in mir die Erkenntnis: Du kannst dich noch so sehr anstrengen, den Eindruck erwecken zu wollen, alles im Griff zu haben. In Wirklichkeit lugt das seelische Chaos durch alle Knopflöcher. Das Chaos meiner Seele ist dann wie Wasser: Es findet seinen Weg.

Dabei bin ich weit davon entfernt, mich für mein Kranksein zu entschuldigen. Ich kann beim besten Willen nichts dafür, dass mich diese Mistkrankheit erwischt hat. Ein Schnupfen hätte mir auch gereicht. Allerdings: Ich muss mir gewahr sein, dass die Krankheit auf alle Bereiche meiner Persönlichkeit Auswirkungen hat. Und meine Umwelt muss damit leben. Leider.

Ich bin seit ein paar Wochen bei einem Psychoonkologen in Betreuung, also einem Psychologen mit spezieller Ausbildung für Krebspatienten. Als ich ihm von den Schwankungen meiner Seele berichtete, meinte er: Das kann auch am Cortison liegen. Das habe ich nicht ganz verstanden, denn meine letzte Cortisoninfusion ist mehrere Wochen her. Aber er insistierte: Der Cortisonspiegel ist nun komplett abgefallen, das wirkt sich dann über den Organismus auf die Seele aus. Umgekehrt könne die Cortisoninfusion sogar euphorisierende Wirkungen haben. Stimmt, das hatte ich sogar schon erlebt.

Das Thema „Stabilität der Psyche“ bleibt spannend.

Was vor mir liegt

Quantitativ drei Wochen Krankenhaus. Das wurde mir so gesagt. Aber was passiert in den drei Wochen?

Zusammenfassung, soweit ich das verstanden habe: Ich werde hochdosierte Medikamente als Infusion erhalten. Diese Medikamente haben das Ziel, mein blutbildendes System zu zerstören. Was sich böse anhört, ist in Wirklichkeit Teil der Therapie. Denn mit der Zerstörung des blutbildenden Systems muss auch die dort befindliche Krankheit vernichtet werden. Ist dies erreicht, erhalte ich die Stammzellen, die ich vor knapp vier Wochen abgegeben habe, wieder als Transplantation. Dann und damit wird auch das blutbildende System wieder aufgebaut. Am besten ist es mit dem Booten und Neubespielen einer Festplatte zu vergleichen. Da das alles mit erheblichen Risiken verbunden ist, muss ich drei Wochen im Krankenhaus bleiben. Das Hauptrisiko sind Infektionen, denn gegen Krankheiten bin ich in dieser Zeit annähernd wehrlos.

Am Ende soll die Krankheit in meinem Organismus nicht mehr nachweisbar sein.

On verra, sage ich immer.

Die Infusionen bekomme ich mit Sicherheit über einen Zentralen Venenkatheder. Dessen erstmalige Verlegung in meinen Hals vor Wochen war ein traumatisches Erlebnis. Aber dagegen lässt sich etwas machen. Der Psychoonkologe meinte, dass man sich gut ein Beruhigungsmittel geben lassen könnte. Ich müsste das nur klar und deutlich sagen und verlangen.

Überhaupt sollte ich ein unbequemer Patient sein und nicht alles mit mir machen lassen. Und wirklich: Mehrfach war ich im UKE-Betrieb bereits in Vergessenheit geraten und habe Stunden um Stunden deshalb gewartet und mich geärgert. Warum ich mich dann nicht richtig beschwere? Weil ich befürchte, dass sich dann andere – das Personal – über mich ärgert. Aber: Lass sie sich doch ärgern, denn sonst ärgerst du dich, mein Freund. Und das nehme ich mit: Unbequem sein, wo es erforderlich ist. Das soll sogar die Heilungsaussichten fördern.

In dieser Zeit

Ich gestehe: Die Bibel lese ich derzeit vor allem als Ermutigungsschrift. Warum auch nicht? Der Kranke braucht Medizin. Für mich ist die Bibel Medizin.

Die Losung heute: „Er kennt meinen Namen, darum will ich ihn schützen“ (Psalm 91:14).  Auf diese Zusage will ich vertrauen: Der HERR schützt den, der Seinen Namen (sein Wesen, seine Natur) kennt.

In dieser Zeit nämlich denke ich daran: Was wird aus meinen Kindern, wenn ich im UKE bin? Was wird aus meiner Frau? Wie kommen sie alle klar? Manchmal mischen sich auch Schuldgefühle bei mir hinein: Du lässt sie im Stich…. Wirklich? Und da vertraue ich auf Gottes Beistand und Schutz, dass meine Familie und ich gut behütet, bewahrt und geschützt durch diese schwere Zeit gehen.

Jedes Fürbittgebet hilft.

Und der Blog

Der läuft an dieser Stelle erstmal in eine Pausenschleife. Ich weiß noch nicht, wann ich den Blog wieder aufnehmen kann. Aber eines ist sicher: Er wird fortgesetzt.

Alles Gute und auf bald, Alsterstewart

Mittwoch, 7. Juni 2017

7. Juni 2017 (Mittwoch)

In den letzten Monaten habe ich ziemlich oft den Blogpost begonnen mit den Worten "Wie die Zeit verfliegt..." oder so ähnlich. Das wirkt jetzt ziemlich abgedroschen auf mich. Des Weiteren denke ich über den Blog nach und sage zu mir: Ist das nicht alles zu selbstreferenziell? Ein Kreisen um sich selbst? Es gibt auch Tage, da fällt mir partout nichts ein, was ich mitteilen möchte. Das mag auch daran liegen, dass ein gewisser Gewöhnungseffekt eingetreten ist, was die Krankheit und die Therapie angeht.

Wirklich?

Dann gehe ich jetzt noch einmal in mich. Passiert wirklich nichts, das ich erwähnen möchte?


Die Glatze

Letzte Woche habe ich mir ja eine Glatze frisieren lassen. Dies war meine Antwort auf das leider ausfallende Haupthaar. Besser Glatze als die nach und nach entstehenden Haarlücken. Von dem Haarhaufen in der Badewanne nach dem Haarewaschen mal ganz zu schweigen. Wenn schon, denn schon.

Was sagte die Familie dazu? Christiane fand es "gar nicht so schlimm, sieht auch gut aus". Meine Tochter Mimi fand es "ganz OK". Mein Bruder schrieb mir "schöne Menschen kann nichts entstellen". Meine Mutter meinte "die Hoffnung stirbt zuletzt". Der einzige, der meine neue Frisur gar nicht gut findet, ist mein Sohn Jakob. Er meinte: "Ich gewöhne mich schon daran. Da muss ich durch."





Wie finde ich mich eigentlich als Kahlkopf? Manchmal zieht es unangenehm am Kopf, ich merke da fast jeden Luftzug. Gehe ich auf die Straße, setze ich mir eine Mütze auf. Nach der morgendlichen Dusche suche ich nach meiner Bürste und dem unvermeidlichen Haargel und merke erst dann, dass  ich das alles gar nicht mehr brauche. Das spart ja auch durchaus etwas Zeit. Ab und zu schaue ich in den Spiegel und bin ganz erstaunt, dass mich dort ein Glatzkopf anschaut. In meinen Gedanken habe ich noch dieselbe Frisur wie bis vor eineinhalb Wochen. Das ist also des Öfteren ein für mich unangenehmer Überraschungseffekt, den das Spiegelbild für mich hat. Da mag viel Gewohnheit drin liegen - aber ehrlich: Der Verlust der Haare schmerzt mich mehr als ich vorher geahnt habe. Ein Gewöhnungsprozess? Vermutlich. Ein notwendiges Opfer? Ja, denn das Ziel, auf das mich konzentriere, ist es wert, auch dies in Kauf zu nehmen.

Aber es bleibt: Es ist ein Unterschied, sich eine Glatze freiwillig schneiden zu lassen - oder infolge einer Krankheit eine zu bekommen. Ich weiß, dass mancher Mann schon von der Anlage her zur Kahlköpfigkeit neigt. Doch ein langer Prozess der Haarlichtung ist auch anders als ein "jetzt auf gleich"-Schnitt.

Vor ein paar Tagen sagte Christiane zu mir: "Deine Haarstoppeln auf dem Kopf verändern sich." Ich sagte: "Wie?" Sie erwiderte: "Sie werden weniger".

So ist es. Die nur noch knapp millimetergroßen Stoppeln fallen nun aus. Aber besser, die landen nach dem Duschen in der Badewanne als die längeren Haare vorher.

Mein Bart wächst übrigens kaum noch. Seit einer Woche bin ich unrasiert und merke keinen Bart. Auch das noch. ;-)

Die Geschichte des Propheten Elisa kommt mir in den Sinn, 2.Koenige 2:23. "Und er ging hinauf gen Beth-El. Und als er auf dem Wege hinanging, kamen kleine Knaben zur Stadt heraus und spotteten sein und sprachen zu ihm: Kahlkopf, komm herauf! Kahlkopf, komm herauf!" Hmmnnn,....


Time is marching on

In knapp zwei Wochen geht es wieder ins Krankenhaus. Und das ist kein Ponyhof. Ungefähr drei Wochen lang wollen sie mich da behalten. Sie werden mich mit Medikamenten vollpumpen. Am Ende soll ich erst mal mit allem "durch" sein.

Ich bete, dass ich diese Zeit gut durchstehe. Und ich bete, dass meine Familie in dieser Zeit gut behütet ist. Sagt nicht die Schrift, dass ich alle Sorge auf Gott werfen darf, denn Er sorgt für mich? Genau das. Schon jetzt ist das Wirken Gottes offenbar und ich weiß, dass Sein Sorgen um meine Familie und um mich nicht erst beginnt, wenn ich Krankenhaus bin, sondern dass Seine Gnade und Treue bereits jetzt mit uns sind. Wie sonst käme ich durch diese Zeit?

Alles Liebe, Alsterstewart