Samstag, 19. Mai 2018
Naheliegende Frage: Wie ist es eigentlich weitergegangen mit den Schmerzen?
Ich kann nicht sagen, dass sie mich nicht mehr nerven. Wenn es in der linken Schulter schmerzt, dann denke ich zuerst: Ach, das ist nur eine Verspannung. Aber das Unterbewusste lehnt sich dagegen auf und sagt: "Aber nein, mein Guter. Das hast du schon einmal gedacht. Das ist der Krebs."
Gottseidank kann ich die Gedanken zurzeit gut wegschieben. Das ist wie eine ungenießbare Mahlzeit, die man mir vorsetzt. Ich muss und will sie nicht essen. Vom Ansehen wird mir schon schlecht.
Gestern war ich also wieder im üblichen Zweiwochenrhythmus im UKE zur Infusion. Kaum hatte ich auf dem Infusionsstuhl Platz genommen, meldete sich die bis dahin stumme Schulterpartie. "Hallo, da bin ich wieder." Prima. Dann rebellierte alles in mir: Der Puls ging nach oben und mit ihm der Blutdruck. Auch der Blutdruck meldete sich mit "Huhu, da bin ich wieder auf 145 zur Irgendwas. Zeit für die Blutdrucksenker." Die freundliche Assistentin, die mich im UKE betreut, wiegte ihr Haupt bedenkenschwer und meinte: "Haben Sie immer solche Blutdruckprobleme?" Ich versetzte: "Nein, nur letztes Frühjahr mit viel Cortison und jetzt, weil ich wegen der Schmerzen so aufgeregt bin." Also suchte ich mich zu beruhigen und bemühte alle Entspannungstricks. die ich während der Reha beigebracht bekommen hatte.
Also: Entspanne Dich! Jetzt! Sofort! Du willst doch nicht, dass der Blutdruck auf 180 steigt! Ausrufezeichen! Imperativ!
Keine Entspannung möglich. Dazu lauter Krebspatienten um mich herum. Dabei blickte ich auf ein Foto an der Wand, das ein Stelzenhaus am Strand von Ording zeigte. Da wurde mir zudem noch wehmütig.
Dann kam endlich der Termin bei der Ärztin dran. Es war endlich wieder die freundliche junge Assistenzärztin, die ich schmerzlich vermisst hatte. Kaum eine andere in der Ambulanz ist so empathisch wie diese. Sie ist vor kurzem Mutter geworden und deshalb für ein paar Monate "ausgefallen".
Ihr konnte ich meine Beschwerden noch einmal schildern. Sie hörte aufmerksam zu und meinte dann: "Herr Wartisch, ihre Werte sind hervorragend. Alles im Normalbereich. Die Schmerzen lassen sich dadurch nicht erklären. Es gibt zwar keine 100%igen Garantien, die wir Ärzte ihnen geben können - aber: Ein Rückfall der Krankheit erfolgt in aller Regel auf genau demselben Weg wie das erste Auftreten der Krankheit."
Achso, dachte ich, also fing es 2016 mit Schulterschmerzen an und das bedeutet, dass es mit Schulterschmerzen wieder anfängt? Nein!
Sie fuhr fort: "Ihr Myelom war in den Blutwerten seinerzeit sehr gut zu erkennen. Wenn es wieder auftritt, müssten wir es in denselben Werten heute wiederfinden. Aber da ist nichts zu sehen." Puuh. Und weiter: "Wir wissen nicht oder noch nicht, was Ihnen Beschwerden bereitet. Es kann auch sein, dass wir nichts finden. Es gibt Patienten in ihrer Situation mit Schmerzen, für kein Arzt eine Diagnose stellen kann. Solche Menschen verlieren dann oft das Vertrauen in die Ärzte. Aber noch einmal: Schmerzen können auch andere Ursachen haben als Krebs."
Trotz des Mittelteils ihrer Ausführungen war ich leidlich beruhigt. Lieber habe ich undefinierbare Schmerzen als einen Rückfall in die Krankheit.
In zwei Wochen komme ich ins CT, dann sehen wir weiter.
Einige Zeit, nachdem ich das UKE verlassen hatte, normalisierten sich bei mir auch wieder Puls und Blutdruck. Aufregung, psychischer Stress also.
Was lerne ich aus diesen Ereignissen?
Meine krebsgetriebenen Ängste sind wie ein Vulkan. Nach den Eruptionen des letzten Jahres hat sich eine Schicht von erkalteter Lava firnishaft über dem Vulkankrater gebildet. Blickt man von oben in den Krater hinein, dann sieht man nicht viel. "Der ist erloschen" könnte man denken. Aber unterhalb dieser kalten Schicht, dann blubbert und gurgelt es, da will heißes Gestein an die Oberfläche. Wenn die Angst zuschlägt, dann kommt es an den Rändern des Vulkans zu kleineren Ausbrüchen. Wenn aber, wie vor zwei Wochen, der Druck im Inneren zu stark wird, dann bricht der Vulkan der Ängste aus, schiebt die kalte Schicht beiseite oder besser schmilzt diese Schicht durch und - je nach Stärke des Drucks - fließt in heißen Strömen aus dem Krater heraus nach unten, explodiert in einer gewaltigen Detonation nach oben oder bildet einen pyroklastischen Sturm, der alles hinwegfegt, was sich ihm entgegenstellt.
Vor zwei Wochen floss die Angst als Lava aus dem Vulkan meiner Ängste.
Wo eigentlich ist Gott in diesem Szenario? Gegenwärtig und verborgen zugleich. "Schau auf Jesus, der kennt dich." war ein Ratschlag, den man mir vor ein paar Wochen bei "Christen im Gesundheitswesen" mitgegeben hat. Das war ganz gut, da ich ehrlich gesagt einen gewissen Groll gegen Gott in meinem Herzen habe.
Aus der Versenkung meiner bisher schlimmsten Erfahrungen ist der Marionettenspielergott wieder aufgetaucht: Der hält die Menschen an den Fäden wie ein Marionettenspieler und verfährt mit ihnen nach Belieben. Mal geht es linksrum, mal geht rechtsrum, mal lässt er einige Fäden fallen, mal nimmt er einige wieder auf. Willkürlich. Undurchschaubar. Unmenschlich. Und wir Menschen zappen an seinen Fäden, ihm ausgeliefert. Unser Wille spielt keine Rolle.
Doch es ist tatsächlich allein Jesus, der mir die Gegenwart Gottes in Leid, Schmerz und Angst versichert - eben weil er zugleich Mensch und Gott ist. Jesus sagt von sich, dass er die Wahrheit ist. Die Wahrheit ist also: Gott ist kein Marionettenspieler.
Ich gehe durch ein Schicksal, das ich mir nicht ausgesucht habe, sondern das mir zugemutet wird. Dort, wo es in meiner Seele am dunkelsten ist, da soll das Licht Jesu am hellsten strahlen.
Alles Gute, Alsterstewart
Mittwoch, 9. Mai 2018
EIN ARSCHLOCH
(kein fröhlicher Text)
Habe ich jemals erwähnt, dass Krebs ein Arschloch ist?
Nein?
Dann hole ich es jetzt nach. Ansonsten übe ich mich in Redundanz.
In den letzten Monaten ist mit der Krankheit eigentlich nicht mehr viel passiert. Es hat sich eine gewisse Routine eingeschlichen. Alle 14 Tage gehe ich ins UKE, hole mir meinen Antikörper und Rezepte ab, das dauert dann meisten so knapp 3 Stunden, dann trolle ich mich nach Hause und habe ein Wochenende lang mit Schlappheit zu kämpfen. Zwischendurch gibt es einen Überblick über die Blutwerte, die den Stand meiner Behandlung anzeigen. Und die Blutwerte sind, wie schön, immer hervorragend. Wenn da noch der Krebs sitzt, dann MUSS er sich in den Blutwerten zeigen.
Die tolle Aussicht besteht darin, dass sich die Frequenz der UKE-Besuche ab Mai auf alle 28 Tage erhöht, bis dann die Sache irgendwann Ende 2019 beendet sein wird. Ich nenne das immer "ich fahre einen Tag an die Ostsee", weil in den Räumen der Onkologischen Ambulanz Strandbilder aus Zingst hängen.
Also alles soweit im Griff.
Wenn da nicht.... Ja, wenn da nicht die dummen Erkältungssymptome wären. Denn seit Dezember kämpfe ich in schöner Regelmäßigkeit mit Infekten der schönsten Art. Im Februar schlug dann das Fieber zu: Binnen kurzem war ich auf 39 Grad. Dazu widerlicher Husten. Nach einer Woche sank das Fieber. Schon im April schaute es wieder bei mir vorbei und ich war wieder bei 39 Grad eine knappe Woche lang. Den Husten von da habe ich heute noch.
Prima oder?
Was ist eigentlich das Lebensbedrohliche am Multiplem Myelom? Unter anderem die Infektanfälligkeit des Betroffenen. Man stirbt nicht unbedingt am Krebs, man stirbt an der Lungenentzündung, an einem Versagen der Körperabwehr auf Infekte, die durch ihn hervorgerufen wird.
An dieser Stelle zitiere ich meine Onkologin, die die Blutwerte analysierte und mir neulich sagte: Die Blutwerte sind OK, aber die Infekte sind bedenklich. Immerhin sagte sie nicht "kritisch", sondern "bedenklich". Aber das Wort hallte in meinen Ohren bis heute nach. "Bedenklich". Die Medikamente, die ich bekomme, sollen doch mein Immunsystem aufbauen und stärken, statt dessen ziehe ich nun einen Infekt nach dem anderen. Ich darf an dieser Stelle erwähnen, dass ich zu der Zeit, als bei mir das MM diagnostiziert worden ist, nicht annähernd so viele Infekte aufeinander folgend hatte wie jetzt.
Das ist jetzt nicht gerade entspannend, sondern eher beunruhigend.
Aber wie gesagt: Im Blut ist keine Spur des MM erkennbar, nicht ein Hauch. Kein entartetes Proteinchen, keine Anomalie bei den Leukozyten, mit den Thrombozyten ist auch alles klar.
Rätselhaft.
Und dann....
Er begann mit einem leichten Ziehen auf meiner linken Seite und wanderte diese dann hoch, blieb an der linken Schulter und verharrte dort bis heute. Was? Na, der Schmerz. Seit Donnerstag habe ich ihn wieder. Die ganze Schulter schmerzt ohne dass ich sie bewege. Es fühlt sich gerade so an wie in der schrecklichen Zeit Dezember 2016 und Januar 2017. "Lassen sie das doch mal im CT abklären" riet mir meine Onkologin. "Und meine Werte?" fragte ich. "Die sind sehr gut, der Therapieverlauf ist exzellent, danach ist die Krankheit in Remission" meinte sie. Also lief ich zur UKE-Radiologie. "Gerne machen wir ein CT, der Termin ist dann am 1.6." beschied mir eine freundliche Mitarbeiterin. "Wie, nicht eher?" erwiderte ich in aufsteigender Panik. "Nein, keine Chance."
Soll ich also bis zum 1.6. warten? Das Dumme an Krebs ist ja, dass der Betroffene immer SOFORT etwas machen möchte. Jedenfalls geht mir das so. Das stimmt für viele Krebsarten auch, bei meinem Krebs in meinem Überwachungsstadium ist das anders, das weiß mein Verstand. Meine Seele weiß das nicht, die ist nun mit allerhand Panik angetriggert.
So schlage ich mich Sonnabend, Sonntag, Montag, Dienstag mit immer wieder neuen Panikattacken herum. Der Schmerz wird nicht weniger, sondern heftiger. Nachts flüstert es in meine Gedanken: "Das war´s. Eineinhalb Jahre gekämpft, Resultat: Nada, niente, nothing, rien. NIX."
"Ja aber... was ist mit den Werten? Die sind doch gut. Das kann doch alles mögliche sein." sage ich diesen Gedanken. Doch: Hatte ich schon erwähnt, dass Krebs ein Arschloch ist, das kein Spielregeln respektiert? "Ja" , sagt er, "die Werte sind super. Aber ich fliege mit meiner Zerstörungskraft unterhalb des Onkologen-Radars. Ich habe einfach die verräterische Eiweißproduktion eingestellt und haue Dich jetzt so lange mit Infekten und Knochenschmerzen, bis Du aufgibst." Was soll ich erwidern? Der allerschlimmste Alptraum wird angetriggert, alles steht in Frage. Und weil Krebs ein Arschloch ist, sagt er auch: "Mir sind Eure Spielregeln egal, die Werte sind fehlerhaft. Dein letztes Jahr war für mich spaßig, ich spendiere mir auf Deine Kosten ein weiteres Jahr."
Das ist in jeder Hinsicht zermürbend.
Als ich heute Vormittag ganz unten war, diverse Panikattacken durchlitten hatte (und ich schreibe lieber nicht, was für verheerende Folgen dies für meine Familie hat), konnte ich endlich wieder einen klaren Gedanken fassen.
Mein Psychoonkologe riet mir vor Monaten, dass ich ein "freundlicher, aber unbequemer Patient" werden soll. Das heißt also, dass ich im Zweifel meinen Ärzten auf die Nerven gehen soll mit Fragen und Bitten. "Das erhöht", so der Psychologe, "nachweislich ihre Überlebenschancen".
Also schrieb ich meine Onkologin per E-Mail an und fragte nach, wie es nun weitergeht, ob Eile geboten ist, ob der Krebs aktiv ist, wie es mit den Infekten ist, was die Schmerzen zu bedeuten haben und was ich tun kann. Die vielbeschäftigte Frau.... antwortete sofort, was mich erstaunte. Sie antwortete (sinngemäß), dass besondere Eile nicht geboten sei, dass für die Schmerzen durchaus andere Ursachen in Frage kommen als der Krebs, dass die Infekte bedenklich sind, man sich da aber aber Gedanken machen muss und - vor allem - dass die Therapie bislang tatsächlich exzellent verlaufen sei. Alles weitere können wir dann nächste Woche im regulären Termin klären.
EXZELLENT. EXZELLENT VERLAUFEN. An diesem Begriff hänge ich mich nun erstmal auf, wenn das Arschloch wieder mit Schmerz und Zermürbung um die Ecke kommt und in meine Seele flüstert.
Ist die Kuh damit vom Eis? Nein, aber vorerst auf ein Normalmaß gestutzt.
Wenn die Ergebnisse da sind, dann bin ich entweder beruhigt oder habe dann Gelegenheit, mir Sorgen zu machen. Aber eben erst dann.
"Wenn du ein Problem hast, dann löse es. Wenn du es nicht lösen kannst, dann mache es nicht zu deinem Problem." - östliche Weisheit
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