Mittwoch, 9. Mai 2018



EIN ARSCHLOCH
(kein fröhlicher Text)

Habe ich jemals erwähnt, dass Krebs ein Arschloch ist? 

Nein? 

Dann hole ich es jetzt nach. Ansonsten übe ich mich in Redundanz.

In den letzten Monaten ist mit der Krankheit eigentlich nicht mehr viel passiert. Es hat sich eine gewisse Routine eingeschlichen. Alle 14 Tage gehe ich ins UKE, hole mir meinen Antikörper und Rezepte ab, das dauert dann meisten so knapp 3 Stunden, dann trolle ich mich nach Hause und habe ein Wochenende lang mit Schlappheit zu kämpfen. Zwischendurch gibt es einen Überblick über die Blutwerte, die den Stand meiner Behandlung anzeigen. Und die Blutwerte sind, wie schön, immer hervorragend. Wenn da noch der Krebs sitzt, dann MUSS er sich in den Blutwerten zeigen.

Die tolle Aussicht besteht darin, dass sich die Frequenz der UKE-Besuche ab Mai auf alle 28 Tage erhöht, bis dann die Sache irgendwann Ende 2019 beendet sein wird. Ich nenne das immer "ich fahre einen Tag an die Ostsee", weil in den Räumen der Onkologischen Ambulanz Strandbilder aus Zingst hängen.

Also alles soweit im Griff.

Wenn da nicht.... Ja, wenn da nicht die dummen Erkältungssymptome wären. Denn seit Dezember kämpfe ich in schöner Regelmäßigkeit mit Infekten der schönsten Art. Im Februar schlug dann das Fieber zu: Binnen kurzem war ich auf 39 Grad. Dazu widerlicher Husten. Nach einer Woche sank das Fieber. Schon im April schaute es wieder bei mir vorbei und ich war wieder bei 39 Grad eine knappe Woche lang. Den Husten von da habe ich heute noch.

Prima oder?

Was ist eigentlich das Lebensbedrohliche am Multiplem Myelom? Unter anderem die Infektanfälligkeit des Betroffenen. Man stirbt nicht unbedingt am Krebs, man stirbt an der Lungenentzündung, an einem Versagen der Körperabwehr auf Infekte, die durch ihn hervorgerufen wird. 

An dieser Stelle zitiere ich meine Onkologin, die die Blutwerte analysierte und mir neulich sagte: Die Blutwerte sind OK, aber die Infekte sind bedenklich. Immerhin sagte sie nicht "kritisch", sondern "bedenklich". Aber das Wort hallte in meinen Ohren bis heute nach. "Bedenklich". Die Medikamente, die ich bekomme, sollen doch mein Immunsystem aufbauen und stärken, statt dessen ziehe ich nun einen Infekt nach dem anderen. Ich darf an dieser Stelle erwähnen, dass ich zu der Zeit, als bei mir das MM diagnostiziert worden ist, nicht annähernd so viele Infekte aufeinander folgend hatte wie jetzt.

Das ist jetzt nicht gerade entspannend, sondern eher beunruhigend.

Aber wie gesagt: Im Blut ist keine Spur des MM erkennbar, nicht ein Hauch. Kein entartetes Proteinchen, keine Anomalie bei den Leukozyten, mit den Thrombozyten ist auch alles klar.

Rätselhaft.

Und dann....

Er begann mit einem leichten Ziehen auf meiner linken Seite und wanderte diese dann hoch, blieb an der linken Schulter und verharrte dort bis heute. Was? Na, der Schmerz. Seit Donnerstag habe ich ihn wieder. Die ganze Schulter schmerzt ohne dass ich sie bewege. Es fühlt sich gerade so an wie in der schrecklichen Zeit Dezember 2016 und Januar 2017. "Lassen sie das doch mal im CT abklären" riet mir meine Onkologin. "Und meine Werte?" fragte ich. "Die sind sehr gut, der Therapieverlauf ist exzellent, danach ist die Krankheit in Remission" meinte sie. Also lief ich zur UKE-Radiologie. "Gerne machen wir ein CT, der Termin ist dann am 1.6." beschied mir eine freundliche Mitarbeiterin. "Wie, nicht eher?" erwiderte ich in aufsteigender Panik. "Nein, keine Chance."

Soll ich also bis zum 1.6. warten? Das Dumme an Krebs ist ja, dass der Betroffene immer SOFORT etwas machen möchte. Jedenfalls geht mir das so. Das stimmt für viele Krebsarten auch, bei meinem Krebs in meinem Überwachungsstadium ist das anders, das weiß mein Verstand. Meine Seele weiß das nicht, die ist nun mit allerhand Panik angetriggert.

So schlage ich mich Sonnabend, Sonntag, Montag, Dienstag mit immer wieder neuen Panikattacken herum. Der Schmerz wird nicht weniger, sondern heftiger. Nachts flüstert es in meine Gedanken: "Das war´s. Eineinhalb Jahre gekämpft, Resultat: Nada, niente, nothing, rien. NIX."

"Ja aber... was ist mit den Werten? Die sind doch gut. Das kann doch alles mögliche sein." sage ich diesen Gedanken. Doch: Hatte ich schon erwähnt, dass Krebs ein Arschloch ist, das kein Spielregeln respektiert? "Ja" , sagt er, "die Werte sind super. Aber ich fliege mit meiner Zerstörungskraft unterhalb des Onkologen-Radars. Ich habe einfach die verräterische Eiweißproduktion eingestellt und haue Dich jetzt so lange mit Infekten und Knochenschmerzen, bis Du aufgibst." Was soll ich erwidern? Der allerschlimmste Alptraum wird angetriggert, alles steht in Frage. Und weil Krebs ein Arschloch ist, sagt er auch: "Mir sind Eure Spielregeln egal, die Werte sind fehlerhaft. Dein letztes Jahr war für mich spaßig, ich spendiere mir auf Deine Kosten ein weiteres Jahr."

Das ist in jeder Hinsicht zermürbend.

Als ich heute Vormittag ganz unten war, diverse Panikattacken durchlitten hatte (und ich schreibe lieber nicht, was für verheerende Folgen dies für meine Familie hat), konnte ich endlich wieder einen klaren Gedanken fassen.

Mein Psychoonkologe riet mir vor Monaten, dass ich ein "freundlicher, aber unbequemer Patient" werden soll. Das heißt also, dass ich im Zweifel meinen Ärzten auf die Nerven gehen soll mit Fragen und Bitten. "Das erhöht", so der Psychologe, "nachweislich ihre Überlebenschancen".

Also schrieb ich meine Onkologin per E-Mail an und fragte nach, wie es nun weitergeht, ob Eile geboten ist, ob der Krebs aktiv ist, wie es mit den Infekten ist, was die Schmerzen zu bedeuten haben und was ich tun kann. Die vielbeschäftigte Frau.... antwortete sofort, was mich erstaunte. Sie antwortete (sinngemäß), dass besondere Eile nicht geboten sei, dass für die Schmerzen durchaus andere Ursachen in Frage kommen als der Krebs, dass die Infekte bedenklich sind, man sich da aber aber Gedanken machen muss und - vor allem - dass die Therapie bislang tatsächlich exzellent verlaufen sei. Alles weitere können wir dann nächste Woche im regulären Termin klären.

EXZELLENT. EXZELLENT VERLAUFEN. An diesem Begriff hänge ich mich nun erstmal auf, wenn das Arschloch wieder mit Schmerz und Zermürbung um die Ecke kommt und in meine Seele flüstert.

Ist die Kuh damit vom Eis? Nein, aber vorerst auf ein Normalmaß gestutzt. 

Wenn die Ergebnisse da sind, dann bin ich entweder beruhigt oder habe dann Gelegenheit, mir Sorgen zu machen. Aber eben erst dann.

"Wenn du ein Problem hast, dann löse es. Wenn du es nicht lösen kannst, dann mache es nicht zu deinem Problem." - östliche Weisheit






1 Kommentar:

  1. Lieber Stefan. Ja, das Schlimme ist die Angst. Und die Angst vor der Angst.
    Dagegen hilft nur Vertrauen in den Einen. Der hat einen Plan für dein Leben. Einen Plan für uns alle. Ich rede nicht ganz im Zustand "Null Ahnung", das weisst du. Auch für mich gilt: Das Biest ist erledigt. Mausetot. Bei dir auch. Ja, die Infekte...das ist nicht gut. Das muss besser werden. Eine klitzekleine technische Hilfestellung kann dir vielleicht etwas helfen : Wir haben immer Blockmalz im Haus. Sobald einer hustet, hauen wir uns die Dinger rein. Hilft immer,zumindestens erleichternd. Du bist jeden Tag in unserem Gebet, haben es noch nie vergessen. Herzlich Ulla u. PH

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