Dienstag, 12. Februar 2019


Mittlerweile sind es zwei, drei Monate, seitdem ich den letzten Post veröffentlicht habe. Gibt es nichts mehr mitzuteilen oder zu posten? Der ganz große Druck ist irgendwie weg, der Gedankenstau im Kopf, der aufzulösen ist, den gibt es so nicht mehr.

Dennoch.

In der letzten Zeit beschäftige ich mich damit, wie meine Krankheit Teil meines Lebens geworden ist. Unübersehbar sind die Tage, an denen ich zur Antikörper-Infusion ins UKE muss. Da wird mir immer wieder aufs Neue bewusst, dass das Thema Krebs lange nicht erledigt ist. Wenn die Therapie insgesamt abgeschlossen sein wird, bleibt der sichere Rückfall.

Nun ja,

Ich habe eine deutlich größere Freiheit in der Auseinandersetzung mit dem Multiplen Myelom gewonnen. Als ich vor zwei Jahren in die Chemo ging war alles für mich bedrohlich. Hörte ich davon, dass andere Patienten gut mit der Krankheit klargekommen sind, dachte ich, dass die eben Glück gehabt haben und das für mich nicht gelten könne. Wenn ich dann vom traurigen Schicksal derjenigen erfuhr, die an MM erkrankt und verstorben waren, rechnete ich mich das als das zu, was mir alsbald bevorstand. Daher war es unerträglich, mich mit anderen Patienten und Betroffenen über das Thema MM auszutauschen. MM war und blieb daher mein Einzelthema. Noch in der Reha im September 2017 verspürte ich keine Neigung, mich mit anderen Betroffenen, die sich dort zur Austauschrunde trafen, zu unterhalten.

Das hat sich seit ein paar Monaten geändert, was nicht nur daran liegt, dass ich mich der Remission erfreue. Vielmehr kann ich das MM besser einordnen und weiß in etwa, was da alles passiert. Die entscheidende Lektion aber in puncto MM ist, dass die Krankheit je Patient individuell unterschiedlich ist. Der eine hat Dauerschmerzen, der andere merkt fast nichts. Ein Patient leidet an andauernden Infektionen, der andere unter Übelkeit. Alles ist möglich. Zudem ist die Reaktion des Körpers auf die Chemotherapie auch je Patient verschieden. 

Es gibt also nicht „den“ Fall, es gibt „die“ Fälle.

Gerade wenn ich an die Zeit vor zwei Jahren zurückdenke, erfüllt mich durchaus eine Dankbarkeit dafür, dass ich überhaupt noch da bin und dass mich MM und seine Begleiterscheinungen körperlich kaum beeinträchtigen. Es bleibt eine erhöhte Infektanfälligkeit und eine besondere Sensibilität für die Vorgänge in meinem Körper. 

Letzte Woche stellte meine Hausärztin bei mir eine leichte Blutarmut fest. ALARM! Das ist ein Symptom eines aktiven MM. Ich gestehe, dass mir das Herz in die Hose rutschte - aber nur für einen Augenblick. Für Blutarmut gibt es mehr als nur eine Ursache. Außerdem hätte man es mir im UKE bereits diagnostiziert, falls MM wieder aktiv wäre. Also: Ruhig atmen. Blutarmut kann eher im Zusammenhang mit einem Medikament stehen, das ich zu meiner Chemotherapie seit Monaten einnehme.

Es gibt sogar Tage, da ist der Krebs nicht nur Teil meines Lebens, sondern auch so etwas wie mein Freund. Jedenfalls bilde ich mir ein, ihn zu kennen und mit ihm umgehen zu können. Vermutlich täusche ich mich in ihm, aber mir kommt es so vor. MM bietet mir eine Art von Sicherheit in stürmischer Zeit. Einen Hafen, in den ich ganz sicher fahren werde. Dass die freundschaftliche Umarmung des Myeloms lebensgefährlich ist, nehme ich in Kauf oder verdränge ich.

Natürlich beschäftige ich mich auch mit dem Glauben. Dass ich überhaupt noch glaube, ist nicht selbstverständlich. Letztes Jahr wäre ich glatt abgerutscht.

Doch ist der Glaube seines Zierrats beraubt worden und steht bloß vor mir. Dabei mache ich die Erfahrung, dass die Betrachtung des Glaubensinhalts mir Frieden schenkt. Besser gesagt: Die betende Betrachtung des leidenden Gottessohnes führt mich auf den Grund meiner Hoffnung. Es geht nicht mehr um Triumphalismus, auch nicht um Rechtgläubigkeit oder Außenwirkung - es geht um die persönliche Begegnung mit Christus in der betrachtenden Stille. Da war ich schon einmal vor vielen Jahren, als ich neu war im christlichen Glauben. Jetzt, nach dieser einschneidenden Zeit, komme ich an diesen Punkt zurück.

Ist meine Glaubensbiographie dann ein Irrweg gewesen?

Nein. Es ist das Leben, das ich geführt habe und noch führe und in dem ich nun an diesen Ort gekommen bin. Ich habe viel erlebt, viele Menschen auf diesem Weg kennengelernt, habe Verantwortung getragen und übertragen, viel gelernt und weitergeben können. Nun aber komme ich dahin zurück, was meiner Natur am ehesten entspricht.


Mit dem Gepäck meines Lebens, mit meiner Krankheit, mit meinen Hoffnungen.

2 Kommentare:

  1. Du schreibst mir aus der Seele
    Auch wenn ich nicht im Geringsten das durchmache was du durchmachst
    Es ist sinnlos Gott verstehen zu wollen. Aber zu wissen dass das was er anfängt ein gutes Ende hat ist tröstlich

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  2. Lieber Stefan, ich hoffe, daß du alles aufgehoben hast, was du geschrieben hast. Irgendwann könntest du ein ganzes Bild davon zeichnen - rückblickend.Einbeziehung von Familie, Kollegen und Umfeld insgesamt. Vielleicht wird es mal ein Buch werden, das vielen anderen Menschen Mut und Hoffnung gibt. Du wirst das nicht "umsonst" durchmachen. Gott sagt: "Jetzt trage ich dich über die Hindernisse". Warum du das durchmachen musst, weiss ich nicht. Ich weiss aber auch nicht, warum insgesamt soviel Leid in der Welt ist. Ja, bei "Sündern" kann man ja noch nach Erklärungen suchen, aber bei Gläubigen? Mein Mann hatte durch zuvieles Tragen große Schulterprobleme. Eine Schulter wurde spontan und wunderbar geheilt, die andere mußte operiert werden. Das Gleiche kenne ich von einer christlichen Bekannten. Ein Eierstock musste entfernt werden, der andere wurde "durch ein göttliches Wunder" spontan geheilt. Versteht man auch nicht. Eine andere Christin , die medizinisch gesehen als absolut unfruchtbar galt, hat 3 Kinder geboren - was will ich damit sagen? Gottes Wege sind uns unbegreiflich ... Für dich beten wir unentwegt und zwar um Heilung. Nichts weniger.

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