Nachtgedanken über den Glauben
Diesen Text schreibe ich schlafloser Nacht.
Es sind jetzt ein paar Wochen ins Land gegangen, seitdem ich damit begonnen habe, mich wieder dem (christlichen) Glauben zuzuwenden. Ich kann dabei feststellen, dass mir die bekannten Aussagen und Inhalte näher stehen als so manches, was mir auf meiner spirituellen Reise der letzten eineinhalb Jahre begegnet ist. Da kann ich nicht aus meiner Haut, die christlich eingefärbt und geprägt ist.
Aber worin besteht der Glaube für mich?
Ist nicht schon die Frage "für mich" eine Abschwächung des Bekenntnisses? Das kann durchaus sein. Gleichwohl finde ich hierin einen Zugang zur Welt des Glaubens, der zu mir passt.
In den alten Formen, wie ich sie noch bis vor fünf Jahren gepflegt habe, finde ich mich nicht wieder. Diese Formen sind: Sonntags geht es in den Gottesdienst, dort treffe ich die Gemeinde. Also sitzen oder stehen wir zusammen, singen die Lieder aus der Lobpreisliste ab, verdrehen vor Entzücken die Augen, hören uns das eine oder andere Erbauungsstück an, schließlich kommt die Predigt, die wieder einmal zu Jüngerschaft, Dienst und Nachfolge auffordert, anschließend Kollekte, Gebet und Schluss. Es war ein Zeitabsitzen, bis endlich das Ende erreicht war. Gelegentliche Blicke in die Publikationen meiner alten Gemeinde haben mir gezeigt, dass sich an diesem Schema auch nicht viel geändert hat.
Das alles passte mir vor zehn Jahren so wenig wie vor fünf Jahren. Bedingt durch Krankheit und dann Corona sind diese Sonntagtermine in den Hintergrund getreten. Ich vermisse sie nicht, oder besser: kaum.
Einige Menschen meinen, dass die christliche Gemeinschaft doch trägt, hält und in den Krisen des Lebens Halt gibt. Das ist das Idealbild. Aber bei mir war das anders. Als ich vor vier Jahren (2017) infolge der Krebsbehandlung ins Krankenhaus gehen sollte, wurde meiner Familie für die Zeit meiner Abwesenheit praktische Hilfe fest zugesagt. Beruhigt fand ich mich im Krankenhaus ein. Aber dann erfuhr ich, dass diese Hilfe dann doch nicht geleistet werden konnte. Es fand sich einfach niemand, der das übernehmen wollte, nicht einmal der Pastor, der das organisieren wollte, fand die entsprechende Zeit. OK, das musste ich zur Kenntnis nehmen. Als Mitglied der seinerzeitigen Gemeindeleitung hatte ich den "Kreis der Brüder", die zusammenstehen wollten, was damals die "Ältesten" waren. In den Wochen im Krankenhaus gab es von dort allerdings auch kein Zeichen, keine Nachricht, nichts. Die Leitung der Gemeinde war einfach zu beschäftigt, um sich um die Kranken zu kümmern. An dieser Stelle begann mein persönlicher Entfremdungsprozess von der Gemeinde, der ich seit 2001 angehört hatte.
Ich rede dabei nicht von den vielen Menschen, die mir aus der Gemeinde bekannt waren und mit mir durch soziale Medien verbunden geblieben sind. Deren Anteilnahme, Gebet und Feedback haben mich seither begleitet und waren bzw. sind mir eine Stütze.
Kurzum: Die alten Formen sind passé.
Aber welches Fahrzeug fährt mich sozusagen zurück in den Glauben? Was ist die Form, die zu mir passt?
Ich befreie mich vom Dogmatismus der Vergangenheit. Ein Fehler in der alten Zeit war es, dass ich den Glauben in ein Dogmenkorsett eingezwängt hatte. Das fiel mir als Jurist nicht schwer. Dieses Korsett aber machte aus dem Glauben selbst eine Rechtsordnung, wodurch das Lebendige allmählich erstickte. Glaube soll doch lebendig sein. Darum kippe ich die Dogmen über Bord, sie haben mir nicht geholfen.
Statt dessen rückt das Sinnliche, Erlebbare, Fassbare in den Vordergrund: Die entzündete Kerze, die zugleich ein Gebet ist. Der aufsteigende Weihrauch, der die Welt der Menschen mit dem Himmel in Berührung bringt. Die Ikonen, die die Fenster zur Realität der göttlichen Gegenwart sind. Die Liturgie, die das, was immer gilt, in unsere heutige Zeit überträgt. Die Musik, die den klassischen Formen christlicher Musik in Europa folgt und die durch die Generationen den Glauben an den dreieinigen Gott feiert. Das persönliche Gebet, das sowohl klassisch mit eigenen Worten, oder klassisch mit formulierten Texten gebetet wird. Das Gebet, das durch einen Gegenstand wie etwa einem Rosenkranz unterstützt wird. Aber eben auch das wortlose Gebet, das aus Gesten oder auch nur aus dem stillen Dasein bestehen kann. In alledem nähere ich mich der Gegenwart Gottes - und Er nähert sich mir. Die von mir im letzten Posting erwähnte Beziehung zum DU des Glaubens kann hergestellt werden.
Gott ist überall. Seine unsichtbare Gegenwart erfüllt diese Welt. Seine vergebende und erfahrbare Liebe ist mir immer nahe. Dennoch ist er unbegreiflich, nicht einzufangen und unverfügbar. Gerade dies Letzte hat mich in den letzten Jahren an den Rand des Glaubens, ja auch darüber hinaus gedrängt.
Ehrlich gesagt mische ich dabei durchaus einige der Erkenntnisse, die ich in den letzten Jahren gesammelt habe mit Versatzstücken der christlichen Konfessionen, wie ich sie kennen gelernt habe. Da findet Orthodoxes, Katholisches und Evangelisches gleichermaßen Platz. Ich stehe dazu. Nennt es Patchwork-Glauben von mir aus. Doch das ist der Weg, den ich gehe.
Endlich gehe ich meinen eigenen Weg der Nachfolge Jesu.
Und was ist mit meiner Gesundheit?
Offen gestanden: Ich weiß es nicht. Meistens fühle ich mich den Umständen entsprechend gut. Oftmals muss ich mich erinnern oder daran erinnern lassen, dass ich krank bin. Nur in meinem Körper finde ich mich wieder nicht zurecht. Ich fühle mich mit ihm unsicher und weiß nicht, was ich mir zutrauen darf und kann. Die Therapie ist angelaufen, wie sie letztlich läuft, ob sie erfolgreich ist, kann ich nicht sagen. Das wird erst ein Arztgespräch ergeben, das in den übernächsten Woche angesetzt ist.
Zudem hat sich in meine Gedanken eine tiefe und existenzielle Angst eingegraben, die einfach nicht gehen will oder die immer wieder kommt. Sie speist sich aus Bemerkungen von Ärzten aus den letzten Wochen, dem Port, den ich unter der Haut trage, den Ereignissen der letzten Wochen. Zudem registriere ich den dritten Sterbefall in meiner Verwandtschaft seit Beginn des Jahres und das kürzlich Ableben eines Krebskameraden, den ich seit vier Jahren mitverfolgt habe. Dass ich heute Nacht keinen Schlaf finde, gehört zu den Auswirkungen dieser Angst.
Körperlich geht es also mit Einschränkungen akzeptabel, psychisch bin ich ziemlich angeschlagen.
So ist es also. Mal sehen, wie es weitergeht.
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