Verschickung: Sechs Wochen „Kinderkurheim Gutermann“ in Oberstdorf 1971
Ich muss mich einem Thema widmen, das ich noch nie im Blog verarbeitet hatte. Immerhin war bisher „Krebs“ das Hauptthema. Aber es gibt noch eine andere Sache, die ich ansprechen muss. Das Thema lautet: „Verschickung“.
Verschickung war in der Zeit zwischen 1950 und 1990 ein Begriff. Seinerzeit wurden Kinder von ihren Eltern für meistens sechs Wochen ver-schickt. In aller Regel erfolgte dies auf Anraten eines Kinderarztes und in Abstimmung mit einer Krankenkasse, die für die Kosten aufkam.
Die Gründe für eine Verschickung waren vielfältig: Chronische Krankheiten (wir sprechen von einer Zeit, in der fast alle Eltern rauchten und die Luft draußen in den Städten voller Abgase war), Unterernährung, Überernährung, Verhaltensauffälligkeit, Entwicklungsverzögerung und andere Gründe. Bei mir war es chronische Bronchitis. Nach intensivem Drängen des Kinderarztes beschlossen meine Eltern, mich für sechs Wochen zu verschicken. Die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK), bei der meine Eltern versichert waren, empfahl einen Aufenthalt in „sauberer Gebirgsluft“ und wies mich in das „Kinderkurheim Gutermann“ in Oberstdorf ein. Anfang Januar 1971 sollte es losgehen.
Aus meiner Erinnerung:
Ich erinnere mich noch an einen Spaziergang mit meinen Eltern Anfang Januar 1971: Meine Mutter schob die Kinderkarre mit meinem jüngeren Bruder darin, mein Vater ging rechts von mir und ich in der Mitte. Eine bleischwere Beklemmung stieg in mir auf: Bald muss ich fort. Bald bin ich ganz weit weg von hier…. Meine Tante Elke versprach mir, dass sie mir einen schönen Zitronenkuchen backt, wenn ich wieder da bin.
Bald darauf ging es los. Meine Mutter hatte meine Sachen in einen großen Koffer, in die Kleidungsstücke waren von ihr und meiner Oma kleine Stoffschildchen mit meinem Namen darauf eingenäht worden. Die Reise startete vom Bahnhof Altona. Ich erhielt ein Schild mit meinem Namen um den Hals gehängt. „Damit du nicht irgendwo verloren gehst“. Ein älteres Ehepaar nahm mich und 1-3 weitere Kinder in Empfang. Freundliche Leute. Wir nahmen in einem Abteil Platz – und dann ging die Fahrt auch schon los. Davon habe ich nur noch in Erinnerung, dass ein Mädchen zwischendurch eine Burg erspäht hatte. Das war für uns spannend. Wir kam am späten Abend in Oberstdorf an und ich kann mich gut erinnern, wie es als Abendmahlzeit für uns Hühnersuppe gab. Die war sogar richtig gut.
Ab da kann ich meine Erinnerung nicht mehr chronologisch ordnen. Es sind Bruchstücke aus sechs Wochen. Ich war fünf Jahre alt, als ich ankam – und beging dort meinen sechsten Geburtstag. Lesen und Schreiben konnte ich noch nicht, nur ein paar Wörter wie meinen Vor- und Nachnamen konnte ich identifizieren.
Die Bruchstücke
Ziemlich am Anfang der Zeit. Wir gehen in einer größeren Gruppe von Kindern durch die verschneiten Wälder rings um unser Heim. An einer Stelle finden wir große hölzerne Behältnisse. „Das ist für die Rehe und Hirsche, damit sie im Winter etwas zu Fressen finden.“ In der Ferne sehen wir die Sonne, die das Nebelhorn (den Oberstdorfer Hausberg) rötlich färbt.
Meine „Tante“ stellt sich vor: Frau H.. Sie wird sich in den nächsten Wochen um mich kümmern. Ich freue mich, denn so wie sie heißt auch der Polizist in meiner Lieblingsserie „Polizeifunk ruft“. Aber Frau H, ist alles andere als eine Freude. „Setz dich mal richtig hin! Schau freundlich! Sei still! Iss den Teller ganz auf!“ Sie hat für mich (und die anderen) nur Befehle. Alle Frauen, die sich um uns Kinder kümmern, heißen hier "Tanten". Wir Kinder nennen sie allerdings "Wärterinnen".
Frühstück im Speiseraum. Ich bekomme Haferschleim oder -brei, ungesüßt. Der schmeckt einfach scheußlich. Ich würge ihn herunter. Hartmann: „Kau gefälligst!“ Was gibt es dazu zu trinken? Warme Milch mit Haut obendrauf. Die Hautstückchen müssen mitgetrunken werden. Am Tisch hinter mir erbricht sich ein Mädchen ins Essen. Helle Aufregung. Die dort Dienst habende „Tante“ fängt an zu schimpfen, das Mädchen ist verschüchtert und fängt an zu weinen. Der Tisch wird gereinigt und das Mädchen wird angeherrscht, jetzt den Rest der Portion aufzuessen. Ob das Erbrochene da noch drin war? Als die Kinder an meinen Tisch fertig sind und wir aufstehen, sitzt das Mädchen immer noch vor dem Teller. So lange sie den Teller nicht aufisst, darf sie nicht nach draußen zum Spielen. Sie sitzt dann allein im Speiseraum.
Das Gebet. Auch an diesem Ort darf das fromme Gebet nicht vernachlässigt werden. „Komm Herr Jesus und sei unser Gast, segne, was du uns bescheret hast.“ Wer dabei Faxen macht, bekommt Spielverbot.
Mittagsschlaf. Den kenne ich nicht, zuhause halte ich keinen Mittagsschlaf. Hier im „Kinderkurheim Gutermann“ ist er aber angeordnet. Also geht es ab in die Zimmer zum Mittagsschlaf. Ich liege in meinem Bett (Doppelstockbett unten) und warte. Da öffnet sich die Tür und eine der „Tanten“ schaut rein. Sofort schließe ich die Augen. Denn die „Tante“ kontrolliert, ob die Kinder auch wirklich schlafen. Wer es nicht tut, den erwartet eine Strafe. Ein Junge meldet sich vorsichtig: „Ich muss auf Klo“. Die „Tante“ sagt: „Das hättest du früher erledigen können, jetzt ist Mittagsschlaf!“ Beim Wecken am Nachmittag ist sein Bettlaken nass.
Eines Morgens. Ich erwache nach einem Traum am Morgen. Im Traum habe ich bei meiner Tante Inge im Garten gespielt. Dort muss ich dringend auf Klo. Ich erleichtere mich ins Gebüsch. Beim Erwachen stellt sich heraus, dass ich ins Bett gemacht habe. Der Schlafanzug, das Bettlaken und die Decke sind nass. Die „Tante“ Frau H. erscheint, reißt mich aus dem Bett und fängt an zu schimpfen. Dann soll ich das Laken abziehen, was ich auch mache. Sie hält das Laken hoch und verkündet: „Schaut mal alle her! Der Stefan hat ins Bett gemacht. Lacht ihn aus!“ Die anderen Jungs im Zimmer schauen mich an und lachen. Sie lachen mich aus.
Nachts. Ich verspüre einen Drang, auf Toilette zu gehen. Die Toilette ist im Flur unten. Vorsichtig schleiche ich mich einen dunklen Gang entlang. Am Ende des Ganges ist die Treppe nach unten. Als ich auf der Treppe bin, höre ich eine der „Tanten“ kommen. Wie ein Blitz haste ich zurück ins Zimmer. Auf Toilette zu gehen ist strengstens verboten. „Das hättest du vorher erledigen können.“ Also versuche ich wieder zu schlafen. Am nächsten Morgen ist mein Laken nass.
Wieder Frühstück. Ich esse die bereit liegenden Marmeladenbrote. Ein Mädchen am Tisch sagt zu „Tante“ Frau H.: „Schau mal. Der Stefan isst nur Marmeladenbrot.“ Neben den Marmeladenbroten liegen noch Honigbrote. Und ich hasse den Geschmack und den Geruch von Honig. Beides löst bei mir reinsten Ekel aus. „Tante“ Frau H. bellt mich an: „Du nimmst jetzt Honigbrot!“ Ich: „Das mag ich aber nicht.“ Darauf die "Tante" H.: „Du isst jetzt Honigbrot!!!“ Eingeschüchtert nehme ich das Brot mit Honig und würge es hinunter.
Mittagessen. Nach der Sitte im Hause meiner Eltern beginne ich, die Kartoffeln mit einer Gabel kleinzudrücken. „Musen“ nennen wir das in Hamburg. „Tante“ Frau H. sieht das und fährt mich an: „Der liebe Gott hat dir Zähne zum Kauen gegeben. Das hört jetzt sofort auf!“
Vormittag. Viele Kinder spielen am Rodelberg. Das kenne ich so aus Hamburg nicht. Es liegt richtig viel Schnee und es ist ein richtiger Berg hinter dem Haus. „Bahn frei, Kartoffelbrei“ wird gerufen. Ich bekomme einen Schlitten zu fassen, erklimme den kleinen Berg und sause herunter. Das macht richtig Spaß, also nochmal das Ganze. Leider erwartet mich unten „Tante“ Frau H. und zerrt mich weg. „Du kommst sofort mit! Keine Widerrede!“ Sie hat schlechte Laune, sogar sehr schlechte Laune. Statt den Rodelberg herunterzurodeln muss ich mit „Tante“ Frau H. und ein paar anderen Kindern dem Ort Oberstdorf einen Besuch abstatten. Eine weitere „Tante“ ist mit dabei.
Krankenzimmer. Ich bin krank geworden und habe Fieber. So komme ich ins Krankenzimmer. Was für eine Erleichterung. Weit weg von „Tante“ Frau H.. Hier kümmert sich eine jüngere „Tante“ um die zwei, drei kranken Kinder. Im Krankenzimmer begehe ich auch meinen sechsten Geburtstag. Beim Erwachen stehen da drei „Tanten“ an meinem Bett und singen mir ein schönes Geburtstagslied. Meine Eltern haben mir ein Paket geschickt mit Spielsachen und Süßigkeiten. Die Süßigkeiten darf ich nicht behalten und mit den Spielsachen spiele ich dann. Ich freue mich sehr darüber, einen Gruß von zuhause zu erhalten. Später werden mir die Spielsachen weggenommen - ich erhalte sie auch nicht mehr zurück. Sie wandern in den Fundus des Heims.
Karten schreiben. Natürlich müssen meine Eltern und Großeltern wissen, wie es mir geht. Also setzt sich „Tante“ Frau H. mit mir hin und schreibt Karten. Da ich nicht schreiben kann, übernimmt sie das Schreiben. Ich soll sagen, was ich so erlebe in Oberstdorf. „Aber du sagst nur das Schöne. Das andere wollen deine Eltern nicht wissen.“ Also lasse ich schreiben, wie schön es in Oberstdorf ist, wie viel Schnee da liegt und wie sehr ich das Essen mag. Lauter Nichtigkeiten also. Von dem allgegenwärtigen Heimweh kein Wort. Von dem allgegenwärtigen Zwang kein Wort.
Abends. Uns wird eine Geschichte im Speisesaal vorgelesen. „Das kleine Gespenst“ oder so… „Tante“ Frau H. liest. Ich sitze auf einem hölzernen Stuhl. Dieser Stuhl knarzt, wenn man sich bewegt. Ich bewege mich. Daraufhin sagt „Tante“ Frau H.: „Wehe, du machst das noch einmal. Dann musst du dich hinstellen.“ Kurze Zeit später knarzt der Stuhl erneut. Also muss ich stehen. Ich bin auch nicht das einzige Kind, das stehen muss. Bei anderen ist das ähnlich passiert. Mit der Zeit beginne ich, mich allmählich auf den Fußboden zu setzen. Dem setzt „Tante“ Frau H. direkt etwas entgegen: „Stell dich hinter oder es passiert etwas!“. Also stehe ich wieder, obwohl ich so müde bin, dass ich mich kaum auf den Beinen halten kann.
Oliver. Oft sitzt ein Junge, so alt wie ich, nach dem Frühstück vor dem großen Fenster des Speiseraums. Er heißt Oliver. Warum sitzt er da? „Tante“ Frau H. sagt: „Der guckt sich Oberstdorf von oben an.“ Ganz still sitzt er da mit sehr verschlossener Miene. Manchmal stützt er seinen Kopf auf der Fensterbank auf. Er darf nicht angesprochen werden, das haben die „Tanten“ verboten. Irgendwann stehe ich mal neben ihm. Ich frage: „Warum sitzt du nach den Frühstück immer vor dem Fenster und guckst dir Oberstdorf an?“ Er antwortet: „Weil ich beim Frühstück gezappelt habe. Ich darf nicht mitspielen, ich muss am Fenster sitzen, hat „Tante“ N.N. gesagt.“ Er wird also bestraft. Gezappelt beim Frühstück.
Die „Tanten“. Wir nennen die Frauen, die uns betreuen, übrigens nicht „Tanten“. Wir sagen „Wärterinnen“. Das trifft es auch besser. Die meisten von ihnen behandeln uns Kinder wie Gefängniswärter alter Zeiten die Gefangenen. Wir Kinder haben keinen eigenen Willen mehr zu haben. In allem herrscht das Regiment dieser „Tanten“.
„Ich habe solches Heimweh.“ – „Stell dich nicht so an.“
„Ich will jetzt aber spielen.“ – „Wenn du nicht mitkommst, darfst du nie wieder nach Hause.“
„Ich habe keinen Hunger.“ – „Du bleibst hier so lange sitzen, bis du aufgegessen hast.“
„Ich weine.“ – „Hör sofort mit der Flennerei auf.“
Warum gehorchen wir ihnen? Weil wir Kinder sind. Wir sind weit weg von unseren Eltern, von unseren Geschwistern, von unseren Großeltern, von unseren Freunden. Allein unter „Tanten“. Weglaufen können wir nicht. Ungehorsam wird drakonisch bestraft. Ich erinnere mich namentlich nur an drei von ihnen: Die alte Frau Gutermann, die ich nur selten zu Gesicht bekomme. Ihre Tochter, Fräulein Gutermann, die mal nett und aber sehr oft unerträglich war. Und dann natürlich Frau H., die launisch und unsympathisch ist. Dann sind da noch andere „Tanten“, die uns ebenfalls mit harter Hand durch diese sechs Wochen führen. Nur eine einzige „Tante“ ist immer nett, zu der wollen alle Kinder. Sie ist auch deutlich jünger (heute vermute ich, dass sie etwa 20 Jahre und darunter gewesen sein muss). Freundlichkeit, Empathie – dies und anderes findet man auf Seiten der „Tanten“ selten bis nie.
Das Paradoxon. Ich hatte das Toilettengehverbot bereits angesprochen. Zu bestimmten Zeiten war es verboten, auf Toilette zu gehen. Dies betraf vor allem die Bettzeiten mittags und nachts. Wir tranken also zur Mahlzeit unsere Milch oder Tee. Wenn wir vor dem Schlafengehen dann nicht zur Toilette konnten, mussten wir bis zum Ende der Bettzeit warten. Das ging halt bei manchen, wie bei mir, daneben. Selbstverständlich war auch Einnässen des Bettes verboten, es kam nur eben recht oft vor, dass wir Kinder die Betten besudelten. Der naheliegende Schluss, dass zwischen Toilettenverbot und Einnässen des Bettes ein kausaler Zusammenhang besteht, wurde seitens der „Tanten“ offensichtlich nicht gezogen. Wir mussten also mit diesem Paradoxon leben.
Das Gute. Es gab auch Gutes in Oberstdorf: Die Landschaft drumherum war für mich atemberaubend schön. Viele Berge, was mir als Hamburger vollkommen unbekannt war. Schnee in Hülle und Fülle, wo bei uns nur etwas fiel, lag der Schnee im Allgäu eben meterhoch. Der Rodelberg, von dem man sich auf dem Schlitten abwärts stürzen konnte. Eine Faschingsfeier, bei der ich das von mir gewünschte Kostüm als „Prinz“ mit einem Schwert an der Seite anziehen durfte. Und die eine junge „Tante“, die einfach lieb war.
Reflexion
Ich kann hier natürlich nicht alles schreiben, was im „Kinderkurheim Gutermann“ zwischen Januar und Februar 1971 passiert ist. Ich weiß auch, dass Erinnerungen trügerisch sind und sich selbst Erlebtes und von anderen Erzähltes mischen können. Aber ich habe eigentlich einen positiven Blick auf meine Kindheit – bis auf die Zeit in Oberstdorf. Das war für mich eine Hölle aus Heimweh, Angst, Demütigungen, willkürlicher Bestrafung und Ausgeliefertsein an nicht wohlwollende Fremde.
Nein, ich wurde hier nie geschlagen. Mir ist auch nicht bekannt, dass jemand von uns geschlagen worden ist. Wir wurden meines Wissens auch nicht in einen dunklen Keller gesperrt. Aber wir wurden gedemütigt, hart bestraft und einfach mies behandelt. Wir durften unsere Spielsachen nicht behalten, die wurden uns abgenommen und wir bekamen am Ende auch nicht alle zurück. Die „Tanten“ brannten Schneisen der Verwüstung in unsere Seelen, es kümmerte sie herzlich wenig. Die Leiterin des Heimes, Frau Gutermann, wurde für ihren „selbstlosen“ Einsatz im Ort gelobt. Für uns war sie die Hauptaufseherin der Kinderhölle.
Ich trage es der Familie Gutermann nicht nach, dass ihr Kurheim für viele Kinder eine Hölle war. Sie wussten es nicht anders, sie waren Gefangene ihrer Zeit, so wie ich auch. Als Qualifikation für den Betrieb eines „Kinderkurheims“ brachte Herr Gutermann, der vor 1971 bereits verstorben war, die Tätigkeit als Landwirt mit. Frau Gutermann war Korbflechterin. Sie haben ihre eigenen Kinder großgezogen, das hat wohl ausgereicht. Jedoch begreife ich bis heute nicht, dass die seinerzeitigen Verantwortungsträger wie die „Deutsche Angestellten-Krankenkasse“ (DAK) nicht genauer hingesehen haben, an wen sie die Kinder verschicken. Nichts gegen Landwirte und Korbflechter mit eigenen Kindern – aber etwas mehr Expertise braucht es doch, um fremde Kinder zu betreuen. In dieser Zeit der Jahre 1950 bis 1980 haben Kinder nicht viel gezählt, man hat sie einen drakonischen Regiment unterworfen, das auf kindliche Befindlichkeiten keine Rücksicht genommen hat. Das war auch meinem Kinderarzt bewusst, der vor allem meine Mutter massiv unter Druck gesetzt hat, mich in die Verschickung zu bringen.
Das ganze System war krank und brachte folgerichtig Menschen wie „Tante“ Frau H. hervor, die ihre Machtposition dafür nutzte, den Willen von Kindern mit psychischem Druck zu brechen. So sehr ich heute keinen Groll gegen die Familie Gutermann mehr habe, so sehr ist in mir immer noch der tiefe Groll gegen diese eine Frau, die große Teile meiner Kindheit zerstört hat.
Was habe ich übrig behalten von dieser Zeit? Bis zum Januar 1971 hatte ich eine ganz normale Kindheit und war ein zwar ruhiges, aber aufgeschlossenes Kind. Ja, die Freude war groß, als ich wieder im Hause war. Meine Eltern haben mir ein Fahrrad geschenkt und ich erinnere mich noch ganz genau, wo sie es hingestellt hatten. Meine Tante Elke hatte mir überdies den versprochenen Zitronenkuchen gebacken. Aber ich war seit Oberstdorf verschlossen und misstrauisch geworden. Mir fiel es schwer, zu anderen Menschen Vertrauen zu entwickeln und aufzubauen. Das betraf auch Gleichaltrige. Ich entwickelte mich in der Schulzeit daher zum Außenseiter und wurde so zur Zielscheibe von Mobbing durch Mitschüler.
Und was ist aus der chronischen Bronchitis geworden? Die soll sich gebessert haben, sagte man mir.
Meine Mutter meinte später zu mir, dass sie mich nie weggeschickt hätte, wenn sie all das gewusst hätte, was mir in Oberstdorf widerfahren ist. Ein Gutes hatte das alles: Meinem jüngeren Bruder, bei dem auch eine Verschickung angeraten worden war, blieb das erspart.
Immerhin.
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Das „Kinderkurheim Gutermann“…. Im Schnee, wie ich es im Januar und Februar 1971 erlebt habe.
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Unter der kleinen „Turmspitze“ lag der Speiseraum. Vorne rechts neben dem Eingang muss das Krankenzimmer gewesen sein. Im ersten Stock dann die Kinderschlafzimmer.
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Vorne im ersten Stock war eine kleine Turnhalle. Dahinter die Fenster auf der rechten Seite des 1. Stockwerks: Das erste Fenster war mein Schlafzimmer.
PS: Um die Persönlichkeitsrechte zu wahren, habe ich den Namen der "Tante" abgekürzt.