Dienstag, 31. Januar 2017


Tag 5/1

Ich schreibe unregelmäßig. Die letzten Tage waren nicht so einfach, dabei war ich der Ansicht, dass ein oder zwei Tage reichen würden, den Körper an die Chemo zu gewöhnen. Dem ist aber nicht so. Stattdessen: Schwindelgefühle, Zittern, Abgeschlagen sein und Mattigkeit, die sich abwechseln.

So schleppte ich mich durch den Sonntag, schwerfällig und unsicher. Vieles, was mir sonst leicht von Hand gegangen ist, dauert jetzt erheblich länger. Und nein, ich bin kein Meister darin, andere Menschen um Hilfe zu bitten. Hänge ich meine Selbstachtung daran, was ich alles noch selber machen kann?



Gedanken zu Tabletten

Ich hasse Tabletten. Lieber lasse ich mir eine Spritze setzen. Aber Tabletten, die man wie Bonbons nehmen kann und die dann im Körper werweiswas anstellen?

Nein!

Ich nehme nun jeden Tag mindestens sechs verschiedene Medikamente zu mir, an einigen Tagen auch noch weitere. Und die schlimmste Tablette kommt jeden Abend nach dem Abendessen. Lecker. Also am besten alles absetzen, dann gibt es auch keine Nebenwirkungen, oder? Dummerweise funktioniert mein Körper nun anders. Da kam mir gestern der Gedanke: Die Tabletten helfen mir mit allen ihren blöden Nebenwirkungen, dass der Körper wieder ins Lot kommt. Ohne Tabletten also keine Gesundheit. Bumms, aus, fertig.

Da muss ich die Einstellung zu den Dingern also ändern?

Ja.

Nun steht mir gegen die Schmerzen ein Opiat zur Verfügung. Die Ärztin im UKE nennt sie die „Omadosis“, d.h. gut verträglich und nicht abhängig machend. Aber: Das Opiat macht leicht schläfrig. Autofahren ist dann nicht mehr. Zwar fahre ich derzeit kein Auto, aber auch hier: Das kratzt meine Selbstachtung an, wenn ich nicht mehr das Auto bewegen darf.

Was ist also wichtiger?

Mich erstaunt, wie meine Gedanken zu diesem Tablettenthema Aufschluss über das Grundgerüst meiner Gedanken und meiner Persönlichkeit geben. Schritt für Schritt drängt sich ein anderes Leben in mein bisheriges und stellt mir die Frage: Was, Stefan, ist dir wirklich wichtig?

Bei Timothy Keller fand ich den Satz, der in etwas so lautet: „Die Menschen begreifen nicht, was sie alles an Jesus haben, bis Jesus alles ist, was sie noch haben.“



Gedanken über Menschen und Herrn K

Krebs ist die ultimative Krankheit, so kommt es mir vor. Wer Krebs hat, über den ist das rasche Todesurteil bereits gesprochen. Wie weit ist er schon? Wie lange hast du noch? Ein Arbeitskollege kam am Donnerstag zu mir (er hatte es gerade erst erfahren) und sagte: „Wirst Du ab nächste Woche keine Haare mehr haben?“ – und er sagte das in ehrlich besorgtem Ton.

Herr K schreckt. Mich. Dich. Viele.

Fast jeder hat seine Vorstellungen und Erfahrungen mit dieser Krankheit. Und sie stellt die bange Frage: „Und wenn es mich treffen sollte?“ Viele kennen wenigstens aus der Familie, dem Freundeskreis, den Berufskollegen Krebsfälle – und ziehen Vergleiche. Mit einem Male steht die Endlichkeit des auch eigenen Lebens vor der Tür.

Herr K stellt Fragen, die ins Eingemachte gehen.

Mir dämmern immer Krebsgeschichten anderer Menschen aus meinem Umfeld auf: Mein Vater 1993, ein Kollege 2010, ein Nachbar 2016. Alle tot. Und bei mir im Haus: 2 weitere Krebskranke, z.T. seit Jahren leidend. Zu welcher Gruppe gehöre ich? Zu den Todgeweihten? Zu den Erfolgsgeschichten?

Ehrlich: Ich bin der Ansicht, dass Herr K sehr individuell vorgeht. Daher gleichen sich die Geschichten nicht wie ein Ei dem anderen, sondern sind im Seelenkern immer unterschiedlich. Wie viele Krebsarten gibt es? 100? 1000? Und was heißt das überhaupt: Krebs? Tumor im Gehirn, Metastase in der Lunge, zu viele Blutkörperchen in der Vene, Bauchspeicheldrüse auf halb acht, zusammenstürzendes Knochengewebe und und und…

Bin ich also ein hoffnungsloser Fall?

Nein!

Kein Krebs im Endstadium. Kein Krebs, der in die Kategorie „Palliativmedizin“ fällt.





Hoffnungsschimmer

Ich hasse den Satz „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Das ist so eine Durchhalteparole, die ich nicht ertragen kann, sie sagt nämlich: Worauf du deine Hoffnung setzt, das wird dir als letztes zwar, aber ziemlich sicher genommen werden. Und da sage ich: NEIN! Meine Hoffnung stirbt nicht, meine Hoffnung erfüllt sich. „Es bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung – diese drei.“ (1. Korinther 13:13).


Herzliche Grüße, Alsterstewart

2 Kommentare:

  1. Stefan, wir sind mit Dir. Wir beten jeden Tag für Dich/Euch.Wir sehen den Tag, an dem du sagst: Geschafft!
    Das ist unser Gebetsziel. Das Schwierige für dich ist nicht allein die Krankheit, sondern die Befindlichkeit. Grad bist du nicht der zupackende Stefan, den du kennst. So wie jetzt kennst du dich nicht, aber es wird nicht so bleiben. Es gibt ein "danach" - nach der Therapie. Da willst du hin und da kommst du hin. Deine Freunde P+U

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