Mittwoch, 10. Mai 2017


Mittwoch, 10.05.2017

Morgen also geht es wieder ins Krankenhaus, diesmal aber geplant. Was soll da geschehen? Teil meiner Therapie ist das Sammeln von Stammzellen. Damit die Stammzellen gesammelt werden können ohne dass man im Knochenmark herumbohren muss, motiviert man das Knochenmark die Zellen in das Blut abzugeben. Das geht mit speziellen Medikamenten und das nennt man dann wieder „Chemo“. Ich gehe also morgen in die Stammzellenchemo. Nach ca. 11 Tagen werden dann die Stammzellen aus dem Blut entnommen, tiefstgefroren – um mir dann in einige Wochen zurückgegeben zu werden.

Es ist also ein tiefer Eingriff in mein Immunsystem und auch diesmal hoffe ich, dass alles nach Plan geht.

Aus den bisherigen Plänen bin ich ja schon einige Mal geflogen, seitdem ich Ostern meine Erkältung bekommen habe. Das Fieber verhinderte den planmäßigen Start in die Stammzellenchemo, danach stand die Lungenembolie dem in Wege. Nun also soll es mit zweieinhalbwöchiger Verzögerung losgehen.

Immerhin.



Ungeordnete Gedanken über Gestern und Heute

Leider macht sich bei mir eine gewisse Ungeduld bemerkbar. Wenn es nach mir ginge wäre ich mit dem ganzen Zinnober schon lange durch. Endlich alles hinter mir haben und zur Ordnung zurückkehren. Das ist doch kein Leben so, mit der Krankheit kämpfen bzw. sich dieser aussetzen. Statt dessen sehne ich mich danach, meinen Arbeitsplatz wieder einzunehmen und was zu schaffen. Diese ungeordneten Tage, Wochen, vielleicht Monate gehen mir auf die Nerven. Und da ich gerne rückschauend lebe, gedenke ich des Öfteren scheinbar sorgloser Tage der Vergangenheit. Damals, als die Welt noch in Ordnung schien. Damals, als die Krankheit noch nicht an die Tür geklopft hatte. Damals, als mein Vater noch lebte. Damals, als meine Großeltern noch lebten und ich mich als Kind behütet wusste. Ein schrecklicher Satz hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt:

„Nessun maggior dolore, che ricordarsi del tempo felice nella miseria.“ Auf Deutsch: Kein größerer Schmerz, als sich erinnern glücklich heiterer Zeit im Unglück.

Der Satz ist von Dante – und er spricht so tief in meine Seele, dass ich das italienische Orginal auswendig gelernt habe.

Aber der Satz ist eine Lüge, denn er glorifiziert die vergangenen Zeiten. Ja, es gibt in meinem Leben lange vergangene Zeiten, an die ich voller Dankbarkeit und gerne zurückdenke. Aber auch das Glück von gestern darf mein heute nicht überschatten. Statt dessen soll es mir Kraft geben, nicht Kraft rauben. Besser ist es, auch einen realistischen Blick auf das heute zu werfen. Und da habe ich nun einen zweiten Satz parat:

„Heute ist die gute alte Zeit von morgen.“ Der Satz ist von Karl Valentin.



Unter jedem Dach ein Ach

Ich schaue aus dem Fenster und sehe die Menschen, die ihrem normalen Tagewerk nachgehen – und beneide sie darum. Aber ist das die richtige Perspektive? Jeder Mensch trägt sein Kreuz, unter jedem Dach ein Ach.

Dann erfahre ich, dass ein alter Bekannter in meinem Alter und in vergleichbarer Lebenssituation, zu dem ich mittlerweile kaum noch Kontakt habe, ebenfalls kürzlich an Krebs erkrankt ist. Auch wenn ich Selbsthilfegruppen und ähnliches meide erfahre ich durch solche Nachrichten, dass ich mit meinem Schicksal nicht allein bin. Es gibt andere Menschen, auch mit ähnlichen Rahmenbedingungen, die sich denselben Kämpfen wie ich ausgesetzt sehen.

Nein, ich habe kein Recht, andere Menschen zu beneiden. Wer glücklich ist, soll sich freuen. Wer traurig ist, soll getröstet werden.



Trost

Was machst du, wenn du hingefallen bist? Der Siegertyp sagt: Na klar, ich stehe wieder auf. Und da der Siegertyp gesellschaftlich erwünscht ist, sagen wir alle: „Wir stehen wieder auf.“ Daraus machen wir eine Regel: Wenn wir nur einmal mehr aufstehen als wir hingefallen sind, dann haben wir den Sieg sozusagen im Sack.

Sorry, ich fühle mich dadurch nicht angesprochen. Derzeit bin ich hingefallen und liege. Das Aufstehen und weitermachen ist nicht so einfach. Warum soll ich überhaupt aufstehen? Was soll mich motivieren, das gesellschaftlich Erwünschte zu tun und mich wieder in den Wettlauf des Lebens zu stürzen? Kann das Liegenbleiben auch eine Option sein?

Es geht nicht um Selbstmitleid. Es geht auch nicht um Selbstzerstörung. Es geht noch viel weniger um die Lust am Schmerz. Vielmehr geht es um die Frage nach dem Sinn. Die Frage nach dem Trost. Und dann, viel viel viel später erst, dann kann man die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, aufzustehen.

Bei Paulus lese ich im 2. Korinther 1, 5-6:

„Weil wir Christus gehören und ihm dienen, müssen wir viel leiden, aber in ebenso reichem Maße erfahren wir auch seine Hilfe. Deshalb kommt es euch zugute, wenn wir verfolgt werden, denn unser Leid dient zu eurer Ermutigung und Rettung. Und wenn wir getröstet werden, dann geschieht auch das zu eurem Besten. Es gibt euch Kraft, die gleichen Leiden wie wir geduldig zu ertragen.“

Derzeit liege ich in körperlicher Krankheit und in seelischem Schmerz. Aber ich erfahre auch Trost: Durch Christus, durch Sein Wort. Die Kraft, einen Sinn in all dem zu suchen, kommt nicht aus meiner retrospektiven Gedankenwelt, sondern aus dem Glauben an eben diesen Christus, der mir im Glauben Trost spendet. Wer den getrösteten Leidenden dann betrachtet, der wird zu der Erkenntnis gelangen, dass jedem, der glaubt, der Trost des Christus offen steht. Im Leid erst erfahren wir Trost und in der Betrachtung des Leides wird uns der eigene Trost zur Gewissheit: Gott lässt uns nicht allein. Niemals. Diese Gewissheit lässt uns Christen Leiden ertragen, die über das hinausgehen, was wir uns vorstellen können.

Und das, was die Gesellschaft als „erwünschtes Verhalten“ definiert – das kann uns mal. Wer Christus hat, dem ist Sein Trost wichtiger als alles, was in dieser Welt etwas gilt.

So, morgen geht es ins Krankenhaus. Getröstet, aber mit Zittern.

Alles Gute, Alsterstewart

2 Kommentare:

  1. Lieber Stefan, manchmal, wenn mir die Welt mal wieder zum Hals raushängt ...und wenn wir Zeitung lesen und Nachrichten hören, dann hängt sie uns raus ... dann lese ich einfach gerne Profetien (also Verheissungen ) und die Offenbarung am Ende. Werden wir eine Stadt vom Himmel herunterkommensehen, die 2400 km in Länge, Breite und Höhe misst? Die Perlentore hat und auf Edelsteinen steht? Wo die Namen der Heiligen für immer aufgeschrieben sind? Wo Blätter des Lebensbaumes die Nationen heilen und kristallklares Wasser vom Thron Gottes fliesst? Ich finde es auch grad nicht so einfach mir das alles vorzustellen, aber wenn wir anfangen, die Schrift in Fragezeichen zu zerlegen, dann können wir es auch gleich ganz lassen mit dem Glauben. Entweder stimmt alles oder nichts ! Irgendwie ist es doch sehr bewegend, daß man heute Stammzellen extrahieren kann ...auch das ist Größe Gottes. Verliere den Mut nicht, lieber Stefan. Das Wort ist deines Fusses Leuchte und nicht die Diagnose. Lieben Gruss Beide Lehmanns

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  2. Mr. Stwart,

    Sie schaffen das. Wir sind gedanklich bei Dir. Und meldet Euch wenn wir in Aktion treten sollen. Alles Gute und bis bald,

    Cl & Jo

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