14. Juli 2017 (Freitag)
Vorgestern hatte ich einen Blogpost abgesetzt, der im Wesentlichen schilderte, was sich in der Krankenhauszeit so zugetragen hat. Was etwas untergegangen ist: Wie sieht es in meinem Inneren aus? Keine Sorge, das hier ist nicht der Ort für umfangreiche Seelenstriptease, aber das eine oder andere ist es durchaus wert, reflektiert zu werden.
Dankbarkeit und Demut
Zwei Zimmergenossen haben mir gezeigt, wie gut ich es eigentlich habe. Der jüngere Mann mit dem Lungenkarzinom, dem Tode nahe, hat mir verdeutlicht, wie sehr meine Position dem Leben deutlich nahe liegt. Und der Flugzeugbauingenieur, der ebenfalls mit MM zu kämpfen hat, litt unter starken Schmerzen - vom Beginn seiner Krankheit an bis zum Krankenhaus, wo er in etwa dieselbe Behandlung wie ich erfuhr. Starke Schmerzen, nein, die hatte ich die ganze Zeit über nicht. Schmerzen ja, auch unangenehme, die Bewegung einschränkende, die hatte ich - aber so richtig stark? Das eher nicht. Und seit Ende Februar bin ich weitgehend schmerzfrei.
Vergleiche ich meine Lage mit der dieser beiden Leidensgenossen, dann habe ich allen Grund zur Dankbarkeit. Mir sind solche Schmerzen und Schwierigkeiten Gott sei Dank erspart geblieben. Gerade der Vergleich mit ihnen macht deutlich, dass ich allen Grund zur Dankbarkeit und zur Demut habe. Das Schicksal hat auch mich hart getroffen, aber das Allerschlimmste ist nicht eingetroffen. Bei mir gab es nichts, was die Stabilität meines Skeletts gefährdete, was sonst bei vielen MM-Patienten der Fall ist. Mikrofrakturen im Schulterbereich, that´s all.
Die Hand Gottes ist über mir. Das erfüllt mich mit Dankbarkeit und Demut.
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Blick aus meinem Zimmer 422, UKE, O 24, hinten der Fernsehturm |
Der Wert des Besuchs
Man sagt mir nach, dass ich Menschen gerne auf Distanz halte. Das mag stimmen. Vieles, was heute als Sozialisation üblich erscheint, ist mir fremd. Ich mag keinen Small-Talk, kein Netzwerkknüpfen, keine Teamseminare und ähnliches. Ein gutes Buch, ein guter Gedanke, etwas, woran mein Geist kauen kann, das ist mir viel wert.
Im Krankenhaus aber waren Besuche willkommene Unterbrechungen der Routine. Ich habe viel gelegen und dabei vor mich hin gedacht. Die Konzentration reichte oft nicht aus, um eine Buch zu lesen oder fernzusehen. Wenn dann die Tür aufging und ein lieber Mensch zu Besuch kam, habe ich mich durch die Bank weg gefreut. Endlich ein Mensch!
Jesus selbst beschreibt den Krankenbesuch als etwas, das für die Beziehung zwischen Menschen eminent wichtig ist. "Ich war krank, und ihr habt mich besucht." Die Freude ist beim Kranken, der besucht wird und dem es schlecht geht. Und der Besucher nimmt am Leiden des Kranken Anteil: "Du bist nicht vergessen." Indem der Kranke vermittelt bekommt, nicht vergessen zu sein, kann er wieder am Leben der Menschen teilhaben. So ging es mir, wenn meine Frau, meine Mutter, mein Bruder, liebe Freunde zu Besuch kamen.
Übrigens geht es mir auch so, wenn der Blog kommentiert wird. ;-)
Menschen sind wichtig, wichtiger vielleicht als ein Buch, ein Gedanke.
"Lohnt sich das?"
Mir ist bewusst geworden, dass das Leben blitzschnell zu Ende gehen kann. Von einem auf den anderen Moment kann der Vorhang fallen. So wie er bei mir gefallen ist, als es hieß: "Ja, Sie haben Krebs." Das verändert alles.
Die Lehre, die ich bekommen habe, lautet: Dein Leben ist endlich. Tue also mit dem, was Dein Leben ausmacht, etwas Relevantes. Wenn ich heute sterbe, dann möchte ich meine Zeit bis dahin teuer ausgekauft haben, wie es der Apostel Paulus ausdrückt: "Nutzt die Zeit aus, denn es ist böse Zeit."
Wie kaufe ich die Zeit aus? Es geht darum, Prioritäten zu setzen und entsprechend dieser Prioritäten dann zu leben. Dazu überlege ich mir, was ich in meinem Leben vor dem Krebs getan habe - und was ich davon in mein Leben mit dem Krebs noch hinübernehmen möchte. Bei vielen Sachen ist mir klar geworden: Das hat keinen Wert. Bei anderen Dingen weiß ich, dass ich sie nicht aufgeben möchte oder kann. Schließlich gibt es die Kategorie von Sachen, bei der ich nicht weiß, wie mit damit verfahren möchte.
Gerade Letztgenanntes ist schwierig. Und da fällt mir die Formel ein, die ich einst bei einem Personaltrainer lernte, den mein Arbeitgeber engagiert hatte. Er nannte sie "LSD - Lohnt sich das?". Wenn ich Für und Wider abgewogen habe und kein Ergebnis habe, dann bleibt LSD und damit ein nüchterner Blick auf das Szenario.
Ich gestehe, dass ich Familie, Freunde, Arbeit, Glaube nicht auf den Prüfstand stelle. Das gehört zu meinem Leben dazu, daran ändert auch der Krebs nichts. Aber die Ausgestaltung, die Prioritätensetzung mag sich ändern. Da wird einiges durcheinandergewirbelt.
Aber bei vielem anderen stellt sich dann doch die Frage: LSD? Lohnt es sich, dass ich eine Sache verfolge, hinter der ich nicht mehr stehen kann? Wie viel Zeit verschwende ich darauf, die ich andernorts gewinnbringend investieren kann? Hier wird es noch in diesem Jahr Entscheidungen geben, die sicherlich nicht jedem gefallen werden.
Aber die Leute, die Hoffnungen in dich setzen, denke ich dann. Tja, die müssen dann eben umdenken. Es ist mein Leben. Ich habe nur dieses. Und ich bin Gott verantwortlich für das, was ich mit dem Leben anfange. Vielleicht ist es nur mein Geltungsbedürfnis, das nach Anerkennung schreit? Na und!
Also vieles ist offen, manches wird neu, anderes bleibt, wieder anderes erscheint in neuem Gewand.
Liebe Grüße, Alsterstewart
Es stimmt, Stefan: Eine Krebsdiagnose verändert das Leben. Wann wurde die Wohnung zuletzt gestrichen? Müssen die Gardinen mal wieder gewaschen werden ? Ist der Flur gesaugt? Alles Pillepalle. Man macht eine neue Prioritäten- Liste. Der Glaube stand immer ganz oben, höher geht nicht, hat sich auch nicht verändert. Die Familie ! Jawohl, die hat immer gezählt . Gemeinde ist wichtig. Freunde haben wir nicht mehr soviele, weil wir unseren Glauben leben - das mögen die Menschen nicht, die nicht gläubig sind. Wir sind nicht gesellig und reden anders als früher. Ich habe mich innerlich auch von einigen Verwandten befreit,die sind immer noch auf dem Trip möglichst viel von diesem Leben hier zu raffen, weil "danach ja nichts mehr kommt". Angeblich.Sie wollen nichts von Gott hören, der stört sie.Sie wollen sich auch nicht retten lassen - wofür? warum? Und dann erzählen sie lang und breit von Plänen, von Reisen, die sie noch machen wollen oder Anschaffungen, die geplant sind. Als ob sie ewig leben würden. Ich rede ja jetzt auch von Leuten, die altersgemäß schon kurz vor dem Grab stehen.Die wollen erst recht noch was raffen, solange der Körper noch mitmacht. Sterben? Ach, das tun doch bloss die anderen. Und dann sei sowieso alles vorbei ...ja, was macht man mit denen? Atheistisch ist doch jetzt modern. Das können sie ja dann mit dem Herrn bereden, wenn es soweit ist. Schade um jeden. Die Nettesten sind noch die, die uns in Ruhe lassen, wenn wir sie in Ruhe lassen. Ich hab eine "Freundin" von früher, die wechselt die Straßenseite, wenn sie mich sieht, aus Angst, ich könnte über Jesus reden. Inzwischen wechsel ich auch die Straßenseite, wenn ich sie sehe, wir wohnen ziemlich dicht beieinander. Hat keinen Zweck, obwohl wir ja alle mal getauft und konfirmiert wurden. Tradition, das machte man so. Für uns Christen, ist Jesus unser Hirte und unsere Hoffnung. Immer mehr.
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