Die Wochen sind fortgeschritten, eine um die andere. Der
Arbeitsalltag hat mich wieder, also Normalität in einer durchweg unnormalen
Zeit. Habe ich „es geschafft“? Es gab Skeptiker, die meinten, es wäre besser
für mich, wenn ich allmählich einsteige in die Arbeit. Das hat mich nicht
überzeugt, ich bin sozusagen wieder „voll“ da. Das einzige, was mich allerdings
beeinträchtigt hat, ist eine hartnäckige Erkältung, ein Husten, der einfach nicht
weichen will.
Als ich feststellte, dass mit meinen Atemwegen irgendwas
nicht stimmt, lief natürlich sofort ein Film ab. „Bekomme ich genug Luft?“ „Und
wenn es doch etwas Schlimmes ist…?“ Das ergibt sich ganz von selbst. Dabei sagt
die Vernunft: „Lieber Stefan, du nimmst doch deine Medikamente, auch die gegen
Embolien und Thrombosen – da kann nichts
Schlimmes passieren.“ Aber der Bauch sagt:_ „Achtung, Stefan, es kann auch
etwas Schlimmes sein.“ Nun habe ich seit fünf Wochen Husten und bin
dementsprechend gestimmt.
Mein Vater und ich
Mitte November hatte ich so richtig Spaß, denn da stand die
Knochenmarkpunktion an. Und das war die mittlerweile dritte in diesem Jahr nach
denen im Januar und im September. Eigentlich ist das aus meiner Sicht nichts
wirklich Schlimmes, nur unangenehm bleibt es doch. Den Tag vorher muss ich Urin
sammeln (jedes einzelne Tröpfchen!) und dann eine Probe daraus unter Angabe der
Gesamtmenge im Krankenhaus abgeben. Eigentlich eklig. Die Punktion läuft dann
routinemäßig ab: lokale Betäubung, Entnahme des Gewebes, Erholung, Ende.
Unangenehm, aber unspektakulär.
Dieses Mal war es anders: Die Entnahme des
Knochenmarkgewebes war schmerzhaft, es zog durch den ganzen Körper. Ich habe
schon schlimmere Schmerzen erlebt, aber das kam unerwartet.
Doch dann kam in mir ein Gedanke auf: Dein Vater hat
dieselbe Krankheit gehabt wie du.
Mein Vater hat im Jahr 1992 über Schmerzen im Schulter- und
Ischiasbereich geklagt. Über Monate mal mehr und mal weniger intensiv. Im
Frühjahr 1993 hat er sich noch ein neues Auto gekauft und ist mit meiner Mutter
damit an den Gardasee gefahren. Doch irgendwann im Juni 1993 ging gar nichts
mehr. Die Schmerzen waren unerträglich und zogen sich durch den ganzen
Oberkörper.
Was ist nur los mit ihm? Es wurde allmählich klar, dass er
etwas Ernstes hat. „Abstreifungen an den Rippen“ ergab das Röntgenbild. Die
Knochen lösten sich auf. Eine Odyssee von Arzt zu Arzt folgte, kreuz und quer
durch Hamburg und das Hamburger Umland. Endlich fand sich ein Arzt, der ihm
sagte: „Sie werden eine Art Krebs haben.“ Niederschmetternd.
Im Juli kam er ins Krankenhaus (AK Wandsbek). Die
verschiedensten Diagnoseverfahren brachten kein aussagekräftiges Ergebnis. Nur
so viel stand fest: Osteolyse, was Symptom, aber keine Krankheit ist.
Mittlerweile arbeitete der Krebs bereits so intensiv in ihm, dass mein Vater
unentwegt schwitzte und dabei vor Schmerzen weinte. Im Laufe der Wochen setzte
die Wirkung der Morphinpräparate ein und die Schmerzen waren etwas gelindert.
Als ich ihn im August oder September 1993 im Krankenhaus
besuchte, gingen wir zusammen in die Raucherecke (so etwas gab es damals in
Krankenhäusern noch und mein Vater war starker Raucher). Wir führten dort unser
letztes Gespräch über Gott und die Welt. Als wir nebeneinander durch das
Krankenhaus in die Raucherecke gingen (mein Vater am Gehwagen) fiel mir auf,
dass er ganz klein geworden war. Nun war er zeitlebens nie ein Riese, aber so
winzig? Was hatte ihn so schrumpfen
lassen? Heute weiß ich es: Die Krankheit hatte Wirbel gebrochen. Das kam mir in
den Sinn, als ich meine Knochenmarkpunktion hatte, denn MM führt zur Osteolyse.
Eine Woche später wurde uns mitgeteilt, dass er nur noch ein
paar Wochen zu leben hat, Anfang Oktober 1993 ist mein Vater dann gestorben. Es
hieß, dass der „Primärherd“ seiner Krebserkrankung nicht gefunden werden
konnte, vielleicht säße er in der Lunge.
Für mich war damals klar: Er war Raucher, hat sich wenig
bewegt, einiges getrunken und er hatte beruflich enorm viel Stress. Irgendeinen
Krebs hat er heraufbeschworen, vermutlich Lungenkrebs.
Heute denke ich anders: Das Krankheitsbild passt anhand
meiner Erinnerungen zu meiner Krankheit. Dieser Gedanke erschreckte mich. Dann
aber dachte ich nach.
Wie weit war die Forschung 1993? Und wie weit ist sie heute?
Wann wurde der Krebs bei ihm entdeckt – und wann erhielt ich meine Diagnose?
Welche Therapie stand ihm damals zur Verfügung ? Keine! Und welche mir? Diverse!
Natürlich kann ich mich irren. Aber der Gedanke bleibt: Wir
haben bzw. hatten dieselbe Krankheit. Dass ich bisher durch diverse Therapien
gegangen bin und diese auch relativ gut durchgestanden habe, macht mich
dankbar. Und gleichzeitig motiviert mich das, den Kampf gegen die Krankheit
unbeirrt und kompromisslos fortzusetzen.
Ich werde nie aufhören, an meinen Vater zu denken.
Daß du grübelst, kann ja jeder verstehen, aber ob Dich das weiter bringt, muss man bezweifeln. Dein Vater war Raucher und hat vermutlich - wie auch mein Stiefvater - bis zum letzten Tag geraucht. Mein Vater starb an Lungenkrebs und eine Freundin auch. Mein Vater wollte keine Therapie, hat nichts mehr unternommen. Allerdings war er gläubig,auch in der Krankheit fühlte er sich in Gott geborgen. Er starb völlig friedlich, mit Gott und Menschen im Reinen. Aber du hast noch Jahrzehnte vor dir, das glaube ich wirklich. Wir beten dafür.
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