Sonntag, 12. November 2017
12. November 2017 (Sonntag)
Ab morgen geht es los: Der Weg zurück in den Alltag. Das, was wir sonst für selbstverständlich halten, muss morgen wieder für mich selbstverständlich werden.
Was meine ich damit?
Morgen werde ich wieder in den Kreis der Berufstätigen zurückkehren. Der übliche Trott von morgens aufstehen, zur Arbeit fahren, dann arbeiten, nach Hause fahren und dann Feierabend machen, auf den dann einen Tag später dasselbe Muster folgt - das wird morgen für mich wieder zur Realität. Und so soll es auch sein. Seit Mitte April, Gründonnerstag, bin ich aus diesem Alltag komplett ausgeschieden. Nicht, dass es mir langweilig geworden wäre, aber so ganz ohne produktive Arbeit fehlt mir doch etwas. Es gibt Menschen, denen fällt bei zu langer Abwesenheit vom Arbeitsplatz buchstäblich "die Decke auf den Kopf". Ganz so arg drücke ich das nicht aus, aber wieder etwas anderes um die Ohren zu haben, wissen, dass man etwas zum Unternehmenserfolg beisteuern kann, seine Tätigkeit als sinnvoll zu erleben, das ist für mich wichtig.
Doch mehr als das: Es ist "normales Leben".
Ich kehre in das normale Leben zurück. Das Leben der Menschen, die gesund sind oder wenigstens als gesund erscheinen (ich weiß: unter jedem Dach ist ein Ach). Diese Rückkehr ist aber bei mir ein Kampf.
Ein Kampf gegen die Erfahrungen der letzten Monate. In mir gibt es die Stimmen, die mir sagen: "Ist das nicht zu früh?". "Und wenn es Stress gibt?". "Und wenn du es nicht schaffst?". "Blutdruck". "Unverständnis anderer". Diese Stimmen muss ich zum Verstummen zwingen. Das fällt mir schwer, da diese Stimmen unangemeldet kommen - und sich in meinen Gedanken breit machen.
Ein Kampf gegen die Skepsis der anderen. Viele Menschen reagieren mit Skepsis darauf, wenn ich erzähle, dass ich gleich voll einsteigen möchte in meinen Arbeitsallltag. "Wäre stufenweise Rückkehr nicht besser?". Das sind oft berechtigte Einwände, getragen von Sorge, Mitgefühl oder Betroffenheit. Natürlich habe ich mich damit auch auseinandergesetzt. Aber der Reiz des Normalen und mein Überdruss an der Annormalität der Krankheitssituation überwiegt diese Skepsis - jedenfalls bei mir.
Ein Kampf gegen meine eigene Unsicherheit. Freilich weiß ich nicht, was mich morgen erwartet. Gedanken dazu habe ich viele: Was hat sich in den letzten Monaten alles verändert? Wie hat sich die Abteilung verändert? Welche gruppendynamischen Prozesse sind gelaufen, auf die ich keinen Einfluss nehmen konnte? Und: Hat man mich vielleicht längst ausgeplant? Gerade dieser letzte Punkt verunsichert mich am meisten.
Wenn mich meine Krankheit in den letzten 10 Monaten eines gelehrt hat, dann dies: Es kommen Herausforderungen auf mich zu, denen ich nicht ausweichen kann - sogar nicht ausweichen darf.
Ich denke dabei an Ereignisse der letzten Monate: Knochenmarkpunktion, Chemotherapiesitzungen, Lungenembolie, Verlegung von Zentralen Venenkathedern, Stammzellensammlung, Stammzellentransplantation, drei Nächte und drei Tage neben einem sterbenden Lungenkrebspatienten liegen, das Zelltief (Aplasie) und das erhebliche Infektionsrisiko, dazu das psychische Auf und Ab..... In diesen Situationen wusste ich nie so genau, was auf mich zukommen wird. Vieles war unangenehm, schmerzhaft, fürchterlich, gefährlich, riskant oder bis zum Anschlag anstrengend. Aber ich habe diese Herausforderungen angenommen, akzeptiert und durchgestanden.
Ich bin da durch! Der Krebs hat mich nicht zerbrochen, er hat mich nicht fertig gemacht, er hat mich sogar stärker als gemacht als ich vorher war. Deutlich stärker. Die todbringende Krankheit hat für mich ihren Schrecken verloren, der Respekt vor ihr ist geblieben.
Was erwartet mich also morgen? Keine Herausforderung, die sich hinsichtlich ihrer Tragweite annähernd mit dem messen könnte, was ich bereits hinter mir habe. Sicherlich muss ich kämpfen, um ins normale Leben zurückzufinden. Aber ich habe es nun gelernt, zu kämpfen.
Klar: Ich kann scheitern. Aber ebenso klar: Ich kann auch in den Kampf gehen.
Liebe Grüße, Alsterstewart
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Lieber Stefan, wir beten - wörtlich - jeden Tag für dich. Du bist mit dieser neuen - eigentlich ja alten - Herausforderung nicht allein, denn ich bin sicher, da sind viele in der Gemeinde, die dich im Gebet begleiten. Dir und der Familie wünschen wir nach allen Schrecken wieder eine lange, entspannte Zeit. Lieben Gruss Peter u. Ulla
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