Sonntag, 22. März 2020




Multiples Myelom in den Zeiten von Corona



Im Laufe der letzten Jahre bin ich schon fast ein Fachmann in Sachen "medizinisches Vokabular" geworden. Ich bekam es mit so vielen Ärzt*innen (wie schreibt man das richtig?) zu tun, die mir allerhand auf dem Weg gaben. Ein positiver Effekt, den das alles auf mich hat, besteht darin, dass ich meinen Körper mehr und mehr aus der medizinischen Perspektive betrachten kann. Was bedeutet es zum Beispiel, wenn man eine Stammzellentransplantation bekommt? Wie entsteht eine Krebszelle? Was macht und wie wirkt die Chemotherapie? Was bedeutet "unheilbar"? Die ganze Tortur dauert nun mehr als drei Jahre und ist von diversen Aufs und Abs gekennzeichnet.

Wo stehe ich heute? Morgen muss ich zu meiner neuen Onkologin. Die erzählt mir dann, wie es um mich steht.

Und in dieser Zeit dann: Corona.

Viele Menschen sind nun besorgt. Allenthalben wird die Angst beschworen. Der unsichtbare Feind, winzigklein, bedroht uns. Uns alle, mich auch. Eben noch war der Mensch kerngesund, nun bereits infiziert und auf gut Glück in die Behandlung geschickt. Die Medien, klassische wie digitale, bespielen das Thema rauf und runter. Irgendwann dreht dann fast jeder Mensch durch. Das ist ja auch nicht zum Aushalten.

Im letzten Blogpost hatte ich nun bereits darauf hingewiesen, dass ich zur absoluten Risikogruppe gehöre. Sollte ich das Pech haben und die Covid-19-Krankheit bekommen, wird es für mich durchaus sportlich. Mein Immunsystem ist miserabel, dank MM habe ich die berühmt-berüchtigte "Vorerkrankung". Meine ganz private Corona-Party wäre dann der Überlebenskampf.

So weit, so wenig schön.

Wie gehe ich nun mit der neuen Situation um?

Mein Arbeitgeber hat mir sehr deutlich gemacht, dass es mir als Risikoperson verboten ist, die Firma zu betreten. Dann sind alle Vorkehrungen getroffen, um mir ein Arbeiten von zuhause aus zu ermöglichen. Seit dieser Woche nun bin ich im "Homeoffice". Ich kann nicht sagen, dass mir das besonders gefällt, ich brauche eigentlich den Abstand von den eigenen vier Wänden, um effektiv zu sein. Es gibt aber keine vernünftige Alternative.

Gerne bin ich auch draußen. Wer mich kennt weiß, dass ich jeden Tag meine 10.000 Schritte abreiße. Das bedeutet, dass ich bei fast jedem Wetter eine zeitlang draußen bin. Das habe ich bisher auch nicht geändert, sehe indessen zu, dass ich anderen Menschen aus dem Weg gehe. Schließlich ist mir unbekannt, ob diese Menschen dann doch eine Krankheit mit sich tragen, die sich auf mich übertragen lässt. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.

Stets versuche ich mir ins Gedächtnis zu rufen, was über Corona und Co. bekannt ist. Das Virus fliegt ja nicht durch die Luft, insofern gibt es Orte, an denen ich sicher bin. Dies ist v.a. das eigene Heim. Ich kann es nicht nachvollziehen, dass immer noch Zeitgenoss*innen unterwegs sind, die meinen, sie müssten in dieser Zeit kreuz und quer durch die Weltgeschichte zu ihrem Vergnügen gondeln. Aber sicher fühle ich mich einfach zuhause.

"Ein Schnupfen saß auf der Terrasse,
Dass er sich ein Opfer fasse.
Und stürzt sich dann mit Ingrimm
Auf einen Menschen namens Schrimm.
Paul Schrimm sagt prompt "Haptschü!"
Und hat ihn dann bis Montagfrüh".
(Christian Morgenstern)

So ist es eben bei Corona nicht. Was bleibt ist das Händewaschen.

"Sorgt nicht" sagt Jesus in der Bergpredigt. Als ich Christ wurde, dachte ich, damit wären alle Sorgen abwesend, und "wehe, wehe", wenn du dich sorgst. Verstärkt wurde dies durch eine gewisse vulgärtheologische Überlegung, die meinte, wenn ich mich sorgte, dann offenbarte das einen Glaubensmangel und wäre folglich Sünde. 

Hmn, sind also Sorgen dann Sünde? Doppeltes Ungemach, doppelt Pech gehabt?

Ich meine, dass die Sorgen zum Menschenleben dazu gehören - gerade auch in dieser Zeit. Jesus sagte ja nicht nur, dass wir uns nicht sorgen sollen, sondern auch dass es reicht, wenn "jeder Tag seine eigene Sorge hat". So ist es: Von Tag zu Tag denken. 

Viele Menschen fragen jetzt:

"Was kommt nach der Corona-Zeit?"
"Wie lange dauert die Ausgangssperre?"
"Werde ich mich infizieren und was bedeutet das dann?"
"Wird mein Job diese Zeit überstehen?"
"Werde ich an Corona sterben?"

usw.

Diese Fragen sind mir nicht fremd, siehe oben. Es sind Fragen, die ich mir seit drei Jahren stelle, nur die Krankheit ist eine andere - zudem sehr reale. Aber meine Krankheit hat mir beigebracht, dass wirklich jeder Tag seine eigene Sorge hat. Als ich in die Chemotherapie hineinging war mir nicht klar, welche Strapazen auf mich zukommen werden. Jeder einzelne schmerzhafte Schritt, den ich zu gehen hatte, erforderte meine ganze Kraft. Hätte ich mich immer mit Sorgen und Fragen aufgehalten, wäre ich zusammengebrochen. So ist das auch heute: Welche Herausforderungen stehen heute an? Worüber sorge ich mich FÜR heute? 

Die einzige Zukunftsperspektive, die ich mir stets erlaubt habe, ist: Hoffnung. 

Hoffnung ist das, was wir investieren dürfen, wenn wir an die Zukunft denken. Hoffnung gibt uns die Kraft, in diese Zeit hineinzugehen. Hoffnung motiviert uns, wenn Medien, Umwelt und andere Menschen uns die Probleme vor Augen halten. Hoffnung ist der Grund für Optimismus.

"Es gibt keine vernünftige Alternative zum Optimismus."






Dienstag, 10. März 2020


CORONA - Grüße aus der Risikogruppe


In der ersten Nacht, die ich im Januar/Februar im Krankenhaus wegen Gürtelrose verbringen durfte, wurde ich spätabends noch von einer Dermatologin geweckt. Meine Bluttests wären da und - siehe da - die weißen Blutkörperchen wären ziemlich weit unten. Das war für mich nicht so überraschend, für die junge Ärztin indessen schon. Ich bat, umgehend Kontakt mit den UKE-Onkologinnen aufzunehmen, die wüssten gut bei mir Bescheid. Was der Dermatologin Anlass zur Besorgnis war, hielten die Onkologinnen für noch OK. Aber selbstverständlich waren und sind mir die Konsequenzen niedriger weißer Blutkörperchen bekannt: Das Immunsystem ist ramponiert.

Mit dem Bakterium, das meinen Aufenthalt im UKE um zweieinhalb Wochen verlängerte, wäre ein normales Immunsystem vermutlich gut klar gekommen. Bei mir war das anders, das wurde mir klar.

Und nun: CORONA!

Vorausgeschickt: Ich bin gegen Influenza geimpft und genieße auch den Schutz gegen die meisten Erreger einer Lungenentzündung. Für MM-Erkrankte sollte das zur Standardausrüstung gehören. Trotzdem erleide ich immer wieder einige Infekte, darunter auch die grippalen, die es so in Hamburg und Umgebung gibt. Mein Immunsystem lässt vieles rein, was andere Immunsysteme rücksichtslos ausmerzen.

Und nun: CORONA!

So richtig gefährdet ist bei Corona die "Risikogruppe". Klar, dass auch andere Menschen daran erkranken können. Aber in der Risikogruppe bestehen lebensgefährliche Risiken, sollte man an Corona erkranken. Wer gehört zur Risikogruppe? Alte und Menschen mit "Vorerkrankungen". Hurra, in der Liga spiele ich mit, denn mit "Vorerkrankung" kann ich dienen. Das Multiple Myelom gehört definitiv dazu. Ich kenne noch eine Frau, die an COPD ("Raucherhusten") erkrankt ist. Die darf sich ebenfalls dazu zählen. Sollten wir uns mit Corona anstecken, dürfen wir uns auf eine abenteuerlich-spannende Zeit einstellen.

Pardon, ich habe kein Verständnis, wenn Corona auf die ganz leichte Schulter genommen wird. "Mir passiert schon nix" sagen viele Menschen. Sie haben auch recht, IHNEN passiert auch wenig. Da ist dann Corona ein Infekt wie viele auch, nur das Fieber ist etwas höher und die Dauer etwas länger, als sonst gewohnt. In der Zwischenzeit aber haben diese Leichtsinnigen ausgiebig Gelegenheit, Menschen wie mich anzustecken, für die ein Infektion eben gravierend verlaufen kann.

Pardon, ich habe kein Verständnis, wenn simpelste Hygienemaßnahmen, die doch in aller Munde sind, außer acht gelassen werden. In die Gegend husten, die Hände freudig zur Begrüßung entgegenstrecken und dann leicht verägert sein, wenn ich sie nicht ergreife... Die Liste kann fortgesetzt werden. Ich will mich partout nicht mit diesem Zeugs infizieren, besten Dank.

Pardon, ich habe kein Verständnis, wenn sich Menschen die erforderlichen und harmlose Impfungen auslassen. Noch gibt es bei Corona keine Impfung. Aber bei Grippe etwa. Trotzdem lassen sich viel zu wenige Menschen dagegen impfen - und gefährden dadurch Menschen wie mich.

Und nun: Corona!

Ich meide nun öffentliche Verkehrsmittel, auch größere Menschenansammlungen (wenn möglich). In meiner Firma arbeite ich - wie alle in meiner Abteilung - in einer Art Box aus Kunststoffteilen, die um meinen Arbeitsplatz herum gebaut ist und die nicht nur Geräusche dämmt, sondern auch Viren fernhalten kann. Seitdem ich aus dem UKE entlassen worden bin, nutze ich wieder das Auto, um von A nach B zu kommen. Die Vorstellung, in einer vollbesetzten U-Bahn zu sitzen, gruselt mich. Dann wasche ich mir die Hände bis zum Exzess. 

Gibt es Grund zur Panik? Ich meine, nein. Aber etwas mehr Gedanken als sonst können wir uns alle machen, wie wir mit Infektionskrankheiten und unserer Verantwortung für uns selbst und andere umgehen können.

Ich gehöre zur Risikogruppe.