Multiples Myelom in den Zeiten von Corona
Im Laufe der letzten Jahre bin ich schon fast ein Fachmann in Sachen "medizinisches Vokabular" geworden. Ich bekam es mit so vielen Ärzt*innen (wie schreibt man das richtig?) zu tun, die mir allerhand auf dem Weg gaben. Ein positiver Effekt, den das alles auf mich hat, besteht darin, dass ich meinen Körper mehr und mehr aus der medizinischen Perspektive betrachten kann. Was bedeutet es zum Beispiel, wenn man eine Stammzellentransplantation bekommt? Wie entsteht eine Krebszelle? Was macht und wie wirkt die Chemotherapie? Was bedeutet "unheilbar"? Die ganze Tortur dauert nun mehr als drei Jahre und ist von diversen Aufs und Abs gekennzeichnet.
Wo stehe ich heute? Morgen muss ich zu meiner neuen Onkologin. Die erzählt mir dann, wie es um mich steht.
Und in dieser Zeit dann: Corona.
Viele Menschen sind nun besorgt. Allenthalben wird die Angst beschworen. Der unsichtbare Feind, winzigklein, bedroht uns. Uns alle, mich auch. Eben noch war der Mensch kerngesund, nun bereits infiziert und auf gut Glück in die Behandlung geschickt. Die Medien, klassische wie digitale, bespielen das Thema rauf und runter. Irgendwann dreht dann fast jeder Mensch durch. Das ist ja auch nicht zum Aushalten.
Im letzten Blogpost hatte ich nun bereits darauf hingewiesen, dass ich zur absoluten Risikogruppe gehöre. Sollte ich das Pech haben und die Covid-19-Krankheit bekommen, wird es für mich durchaus sportlich. Mein Immunsystem ist miserabel, dank MM habe ich die berühmt-berüchtigte "Vorerkrankung". Meine ganz private Corona-Party wäre dann der Überlebenskampf.
So weit, so wenig schön.
Wie gehe ich nun mit der neuen Situation um?
Mein Arbeitgeber hat mir sehr deutlich gemacht, dass es mir als Risikoperson verboten ist, die Firma zu betreten. Dann sind alle Vorkehrungen getroffen, um mir ein Arbeiten von zuhause aus zu ermöglichen. Seit dieser Woche nun bin ich im "Homeoffice". Ich kann nicht sagen, dass mir das besonders gefällt, ich brauche eigentlich den Abstand von den eigenen vier Wänden, um effektiv zu sein. Es gibt aber keine vernünftige Alternative.
Gerne bin ich auch draußen. Wer mich kennt weiß, dass ich jeden Tag meine 10.000 Schritte abreiße. Das bedeutet, dass ich bei fast jedem Wetter eine zeitlang draußen bin. Das habe ich bisher auch nicht geändert, sehe indessen zu, dass ich anderen Menschen aus dem Weg gehe. Schließlich ist mir unbekannt, ob diese Menschen dann doch eine Krankheit mit sich tragen, die sich auf mich übertragen lässt. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
Stets versuche ich mir ins Gedächtnis zu rufen, was über Corona und Co. bekannt ist. Das Virus fliegt ja nicht durch die Luft, insofern gibt es Orte, an denen ich sicher bin. Dies ist v.a. das eigene Heim. Ich kann es nicht nachvollziehen, dass immer noch Zeitgenoss*innen unterwegs sind, die meinen, sie müssten in dieser Zeit kreuz und quer durch die Weltgeschichte zu ihrem Vergnügen gondeln. Aber sicher fühle ich mich einfach zuhause.
"Ein Schnupfen saß auf der Terrasse,
Dass er sich ein Opfer fasse.
Und stürzt sich dann mit Ingrimm
Auf einen Menschen namens Schrimm.
Paul Schrimm sagt prompt "Haptschü!"
Und hat ihn dann bis Montagfrüh".
(Christian Morgenstern)
So ist es eben bei Corona nicht. Was bleibt ist das Händewaschen.
"Sorgt nicht" sagt Jesus in der Bergpredigt. Als ich Christ wurde, dachte ich, damit wären alle Sorgen abwesend, und "wehe, wehe", wenn du dich sorgst. Verstärkt wurde dies durch eine gewisse vulgärtheologische Überlegung, die meinte, wenn ich mich sorgte, dann offenbarte das einen Glaubensmangel und wäre folglich Sünde.
Hmn, sind also Sorgen dann Sünde? Doppeltes Ungemach, doppelt Pech gehabt?
Ich meine, dass die Sorgen zum Menschenleben dazu gehören - gerade auch in dieser Zeit. Jesus sagte ja nicht nur, dass wir uns nicht sorgen sollen, sondern auch dass es reicht, wenn "jeder Tag seine eigene Sorge hat". So ist es: Von Tag zu Tag denken.
Viele Menschen fragen jetzt:
"Was kommt nach der Corona-Zeit?"
"Wie lange dauert die Ausgangssperre?"
"Werde ich mich infizieren und was bedeutet das dann?"
"Wird mein Job diese Zeit überstehen?"
"Werde ich an Corona sterben?"
usw.
Diese Fragen sind mir nicht fremd, siehe oben. Es sind Fragen, die ich mir seit drei Jahren stelle, nur die Krankheit ist eine andere - zudem sehr reale. Aber meine Krankheit hat mir beigebracht, dass wirklich jeder Tag seine eigene Sorge hat. Als ich in die Chemotherapie hineinging war mir nicht klar, welche Strapazen auf mich zukommen werden. Jeder einzelne schmerzhafte Schritt, den ich zu gehen hatte, erforderte meine ganze Kraft. Hätte ich mich immer mit Sorgen und Fragen aufgehalten, wäre ich zusammengebrochen. So ist das auch heute: Welche Herausforderungen stehen heute an? Worüber sorge ich mich FÜR heute?
Die einzige Zukunftsperspektive, die ich mir stets erlaubt habe, ist: Hoffnung.
Hoffnung ist das, was wir investieren dürfen, wenn wir an die Zukunft denken. Hoffnung gibt uns die Kraft, in diese Zeit hineinzugehen. Hoffnung motiviert uns, wenn Medien, Umwelt und andere Menschen uns die Probleme vor Augen halten. Hoffnung ist der Grund für Optimismus.
"Es gibt keine vernünftige Alternative zum Optimismus."
Hoffnung, auch die lässt mich am Leben teilhaben. Als ehemaliger Magenkrebspatient sehen mich die Ärzte als geheilt an, doch niemand gibt mir die Gewissheit, die Sicherheit, dass ich nicht im nächsten Augenblick doch wieder erkranken kann, an Krebs, an dieser neue Krankheit, die uns alle nun seit einiger Zeit und sicher noch in den nächsten Wochen, vielleicht sogar in den nächsten Monaten in der Angst leben lässt, davon befallen zu werden.
AntwortenLöschenDie Hoffnung bleibt, den Blick in die Zukunft gerichtet, an die ärztliche Kunst glauben, sicher auch im christlichen Sinne erwarten, dass ein gütiger Gott seinen Schutz über einen ausbreiten möge.