Donnerstag, 13. April 2017


Tag 14/4

Und schon wieder so viel Zeit vergangen. „Schreibst Du eigentlich noch?“ wurde ich schon einmal gefragt. Es gehört vermutlich zu den Eigenheiten eines Schreibunterfangens, dass sich Phasen äußersten Mitteilungsbedürfnis mit Phasen der Stille abwechseln. Nun, jetzt schreibe ich halt doch wieder.

Körperlich geht es mir nicht so klasse. Die zahlreichen Nebenwirkungen der letzten Wochen setzen mir deutlich zu. Kopfschmerzen, Schwindel, Nasenbluten und und und… Was mich ehrlich ein wenig erschrocken hat ist meine Kurzatmigkeit. Mein Arbeitsplatz liegt im dritten Stock – wenn ich angekommen bin, muss ich nach Luft jappen und etwas drückt schwer auf meine Brust. Das ist neu und das mag ich gar nicht. Schlafen kann ich auch nicht mehr so richtig. Nach drei Stunden wache ich auf – und wechsele dann in einen Intervallschlaf: Drei weitere Stunden bleiben mir dann, in denen ich ungefähr alle Stunde einmal aufwache. Das hat natürlich Folgen.

Meine Ärztin meinte: „Herr Wartisch, sie machen doch alles gut mit. Die Nebenwirkungen sind normal. Andere Patienten haben ganz andere Schwierigkeiten und mussten ihre Therapien schon unterbrechen.“ Ach, schlimmer geht also auch? Dann geht es mir doch noch gold – in diesem Szenario.

Psychisch? Die Seelenkräfte sind mindestens ebenso erschöpft. Seit vier Monaten herrscht in meiner Seele absoluter Kampf. Dabei wurde mir bewusst, dass ich innerhalb von jetzt auf gleich in ein komplett neues Setting wechseln musste: Aus „Gesund“ in „Sehr krank“. Das selbstbestimmte Leben wechselte in ein Patientendasein. Und das für unabsehbare Zeit.

Wie gewinne ich meine Freiheit wieder? Freiheit innerhalb meiner Lebensumstände?

Jedenfalls ist der erste Teil der Therapie jetzt erst einmal durch. Die Einleitungsphase der Chemotherapie liegt hinter mir, jetzt kommt als nächstes: Stammzellenentnahme und – tusch – HOCHDOSISTHERAPIE. Das klingt bedrohlich. Das klingt nach „Ich will das nicht.“ Das klingt nach „Da musst du nun durch“. ES GIBT KEINEN WEG DRUMHERUM.

Am letzten Montag (10.4.) saß mir ein Vertretungsarzt gegenüber, der mir das weitere Verfahren erläuterte und dankenswerterweise auch aufschrieb. Mit dürren, tonlosen Worten beschrieb er den Weg von der Stammzellentnahme bis zur Hochdosistherapie, gab mir meine Blutwerte in die Hand, hätte auch einiges anders gemacht als die mich betreuende Ärztin, malte ein Szenario nach der Hochdosistherapie auf, fragte nach Rezepten… Das mag sein Stil sein, ich war jedenfalls platt. Auch wenn er Erforderliches, Unausweichliches beschrieb – ich habe seither einiges zu verdauen. Irgendwie fühle ich mich seitdem aus den letzten Bahnen geworfen, die mich noch in der Sphäre des Normalen hielten.

Und dann wieder diese Geschichten. Im „idea-spektrum“ wird ein Arzt vorgestellt, der dieselbe Krankheit in etwa demselben Alter wie ich bekommen hat. Auch beim ihm begann es mit plötzlich eintretenden Schmerzen, die er erst für lästig, aber harmlos gehalten hat. Und der freimütig erzählt, wie er sein Testament gemacht hat. Seinen Job als Klinikleiter hat er krankheitsbedingt quittiert.

Ich scheue solche Stories. Welche Unterschiede gibt es? Wenn er von 4-7 Jahren redet, die ihm noch bleiben, gilt das auch für mich? Nein? Ja? Muss ich auch irgendwann krankheitsbedingt mit dem Erwerbsleben aufhören? So abgesichert wie ein gut verdienender Klinikleiter bin ich nicht. Ich habe seitdem wieder Stoff zum Grübeln – also genau das, was ich gerne vermeiden will.

Auf die Frage, ob er für Heilung betet, antwortete er: „Nein. Diese Krankheit ist nicht heilbar.“ Richtig, es gibt derzeit für MM keine medizinische Heilung. Er aber betet dafür, dass Gott ihn in dieser Zeit durchträgt. Ich sehe das ähnlich. Klar sehne ich mich nach kompletter Heilung, aber andererseits sehne ich mehr noch nach der Gegenwart Gottes. Was ist die Wahl?

Er sagte dem „idea-Spektrum“ auch: „Manche Christen meinen, Gebet sei als wenn man eine Münze in eine Musikbox schmeißt, damit dann die eigene Musik gespielt wird.“ Da mag etwas Wahres dran sein. Gebet ist aber auch der Schrei einer Seele, die sich verlassen fühlt, nach der Gegenwart Gottes. „Wie ein Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele zu dir, mein Gott“ heißt es in den Psalmen. ICH SCHREIE! Und wo ich nicht mehr schreien kann, schreien andere für mich.

Viele Christen sagen: „Ich bete für dich.“ Und ich weiß, dass sie das sehr ernst nehmen. Das bedeutet mir viel und ich danke allen, die in dieser Zeit für meine Frau, meine Kinder und für mich beten. Wir werden noch mehr Gebet brauchen, denn die Wegstrecke ist noch lang, die vor uns liegt.

Jetzt komme ich in eine Ruhephase, die bis zum 24.4. anhalten wird. Der Körper muss sich etwas regenerieren, dann folgt die Stammzellenanregung stationär im UKE. Dann wird man weitersehen.

Alles Gute, Alsterstewart

PS: Bald mehr.


1 Kommentar:

  1. Hallo Stefan, es fällt mir so schwer zu erwidern. Eine sehr gute Freundin von mir wird morgen eine Kerze für Dich anzünden. Sie sagt du würdest es verstehen. Ich bin Gedanken bei Dir. Michael

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