Tag 14/4
Und schon wieder so viel Zeit vergangen. „Schreibst Du
eigentlich noch?“ wurde ich schon einmal gefragt. Es gehört vermutlich zu den
Eigenheiten eines Schreibunterfangens, dass sich Phasen äußersten
Mitteilungsbedürfnis mit Phasen der Stille abwechseln. Nun, jetzt schreibe ich
halt doch wieder.
Körperlich geht es mir nicht so klasse. Die zahlreichen
Nebenwirkungen der letzten Wochen setzen mir deutlich zu. Kopfschmerzen,
Schwindel, Nasenbluten und und und… Was mich ehrlich ein wenig erschrocken hat
ist meine Kurzatmigkeit. Mein Arbeitsplatz liegt im dritten Stock – wenn ich
angekommen bin, muss ich nach Luft jappen und etwas drückt schwer auf meine
Brust. Das ist neu und das mag ich gar nicht. Schlafen kann ich auch nicht mehr
so richtig. Nach drei Stunden wache ich auf – und wechsele dann in einen
Intervallschlaf: Drei weitere Stunden bleiben mir dann, in denen ich ungefähr
alle Stunde einmal aufwache. Das hat natürlich Folgen.
Meine Ärztin meinte: „Herr Wartisch, sie machen doch alles
gut mit. Die Nebenwirkungen sind normal. Andere Patienten haben ganz andere
Schwierigkeiten und mussten ihre Therapien schon unterbrechen.“ Ach, schlimmer
geht also auch? Dann geht es mir doch noch gold – in diesem Szenario.
Psychisch? Die Seelenkräfte sind mindestens ebenso
erschöpft. Seit vier Monaten herrscht in meiner Seele absoluter Kampf. Dabei
wurde mir bewusst, dass ich innerhalb von jetzt auf gleich in ein komplett
neues Setting wechseln musste: Aus „Gesund“ in „Sehr krank“. Das
selbstbestimmte Leben wechselte in ein Patientendasein. Und das für unabsehbare
Zeit.
Wie gewinne ich meine Freiheit wieder? Freiheit innerhalb
meiner Lebensumstände?
Jedenfalls ist der erste Teil der Therapie jetzt erst einmal
durch. Die Einleitungsphase der Chemotherapie liegt hinter mir, jetzt kommt als
nächstes: Stammzellenentnahme und – tusch – HOCHDOSISTHERAPIE. Das klingt
bedrohlich. Das klingt nach „Ich will das nicht.“ Das klingt nach „Da musst du
nun durch“. ES GIBT KEINEN WEG DRUMHERUM.
Am letzten Montag (10.4.) saß mir ein Vertretungsarzt gegenüber,
der mir das weitere Verfahren erläuterte und dankenswerterweise auch
aufschrieb. Mit dürren, tonlosen Worten beschrieb er den Weg von der
Stammzellentnahme bis zur Hochdosistherapie, gab mir meine Blutwerte in die
Hand, hätte auch einiges anders gemacht als die mich betreuende Ärztin, malte
ein Szenario nach der Hochdosistherapie auf, fragte nach Rezepten… Das mag sein
Stil sein, ich war jedenfalls platt. Auch wenn er Erforderliches,
Unausweichliches beschrieb – ich habe seither einiges zu verdauen. Irgendwie
fühle ich mich seitdem aus den letzten Bahnen geworfen, die mich noch in der
Sphäre des Normalen hielten.
Und dann wieder diese Geschichten. Im „idea-spektrum“ wird
ein Arzt vorgestellt, der dieselbe Krankheit in etwa demselben Alter wie ich
bekommen hat. Auch beim ihm begann es mit plötzlich eintretenden Schmerzen, die
er erst für lästig, aber harmlos gehalten hat. Und der freimütig erzählt, wie
er sein Testament gemacht hat. Seinen Job als Klinikleiter hat er
krankheitsbedingt quittiert.
Ich scheue solche Stories. Welche Unterschiede gibt es? Wenn
er von 4-7 Jahren redet, die ihm noch bleiben, gilt das auch für mich? Nein?
Ja? Muss ich auch irgendwann krankheitsbedingt mit dem Erwerbsleben aufhören?
So abgesichert wie ein gut verdienender Klinikleiter bin ich nicht. Ich habe
seitdem wieder Stoff zum Grübeln – also genau das, was ich gerne vermeiden
will.
Auf die Frage, ob er für Heilung betet, antwortete er: „Nein.
Diese Krankheit ist nicht heilbar.“ Richtig, es gibt derzeit für MM keine
medizinische Heilung. Er aber betet dafür, dass Gott ihn in dieser Zeit
durchträgt. Ich sehe das ähnlich. Klar sehne ich mich nach kompletter Heilung,
aber andererseits sehne ich mehr noch nach der Gegenwart Gottes. Was ist die
Wahl?
Er sagte dem „idea-Spektrum“ auch: „Manche Christen meinen,
Gebet sei als wenn man eine Münze in eine Musikbox schmeißt, damit dann die
eigene Musik gespielt wird.“ Da mag etwas Wahres dran sein. Gebet ist aber auch
der Schrei einer Seele, die sich verlassen fühlt, nach der Gegenwart Gottes. „Wie
ein Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele zu dir, mein
Gott“ heißt es in den Psalmen. ICH SCHREIE! Und wo ich nicht mehr schreien
kann, schreien andere für mich.
Viele Christen sagen: „Ich bete für dich.“ Und ich weiß,
dass sie das sehr ernst nehmen. Das bedeutet mir viel und ich danke allen, die
in dieser Zeit für meine Frau, meine Kinder und für mich beten. Wir werden noch
mehr Gebet brauchen, denn die Wegstrecke ist noch lang, die vor uns liegt.
Jetzt komme ich in eine Ruhephase, die bis zum 24.4.
anhalten wird. Der Körper muss sich etwas regenerieren, dann folgt die
Stammzellenanregung stationär im UKE. Dann wird man weitersehen.
Alles Gute, Alsterstewart
PS: Bald mehr.
Hallo Stefan, es fällt mir so schwer zu erwidern. Eine sehr gute Freundin von mir wird morgen eine Kerze für Dich anzünden. Sie sagt du würdest es verstehen. Ich bin Gedanken bei Dir. Michael
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