Samstag, 29. April 2017


Tag 9/5



Eigentlich müsste ich seit Dienstag, 25. April im Krankenhaus sein. Das wäre der Starttermin für die Stammzellenchemo gewesen. Die sollte sich an die ganze Einleitungstherapie anschließen. Eigentlich. Doch eine leicht fiebrige Erkältung, die ich mir Ostern aufgesackt hatte, machte einen Strich durch die Rechnung. Die Therapie wurde um eine Woche verschoben.

Also noch einmal eine Gnadenfrist.

Wirklich?


Schmerzen im Fuß
Am Dienstagmorgen entdeckte ich einige Schmerzen im linken Fuß. Kenne ich schon, dachte ich, das  sind wieder Fersenspornbeschwerden. Nichts dramatisches also, damit kenne ich mich gut aus, damit kann ich leben. Aber als ich mir den Fuß näher besah entdeckte ich eine deutlich sichtbare Schwellung knapp oberhalb des Sprunggelenks, das Gelenk selbst war knapp 2 cm dicker als das Sprunggelenk auf der rechten Seite. War ich irgendwann irgendwo umgeknickt? Dazu kamen noch Druckschmerzen im Knöchelbereich. Und überhaupt „Knöchel“ – der war nicht mehr zu sehen vor lauter Schwellung.

Was macht man dann? Ganz einfach: Kam von allein, geht von allein. Das ist wieder so eine Nebenwirkung. Also Abwarten. Morgen ist es bestimmt vorbei.

Mittwochmorgen: Da ist nichts weggegangen. Alles so wie gestern im linken Fuß, nur kann ich da kaum noch auftreten. Nützt alles nichts, ab zum Arzt.

Meine Hausärztin besieht sich die Sache. Nach einigem hin und her sagt sie: „Das kann eine Thrombose sein. Fahren sie am besten ins UKE in die Notaufnahme, ich gebe Ihnen eine Einweisung mit.“ WAAAAS? THROMBOSE? NOTAUFNAHME? EINWEISUNG? Aber bei allem Schrecken: Was soll ich anderes tun als das, was am Naheliegendsten ist? ´

Also Notaufnahme.

Die Notaufnahme


Und nun mache ich es chronologisch:

13:00     Ich erreiche die Notaufnahme des UKE. Vor mir erläutern zwei Männer einem Empfangsmitarbeiter ihren Arbeitsunfall. Sie sehen eigentlich ziemlich gut gelaunt aus. Ich aber kann kaum noch stehen. Endlich winkt mich eine Mitarbeiterin heran. Jetzt darf ich mich samt Einweisung, Ausweisen und Krankenkassenkarte anmelden. „Die Pflegemitarbeiterin spricht gleich noch mit ihnen“, sagt die Empfangsdame und weist auf eine genervte Frau in blauem Kittel. „Ich kann jetzt nicht.“ , blafft die zurück. Ich darf mich ins Wartezimmer verkrümeln. „Die Kollegin kommt auf sie zu.“ Gut.

13:50     Ich warte geduldig und starre – wie alle – in den sich allmählich füllenden Wartebereich. Dabei entdecke ich: Alle haben ein Papierarmband, auf dem sie als Notaufnahmepatient gekennzeichnet sind. Das fehlt mir! Und gesprochen hat mit mir noch niemand! Also jachtere ich zum Empfangstresen: „Mir fehlt das Papierarmband“ sage ich zu einer anderen Frau. „Das haben wir schon entsorgt“. Die genervte Pflegefrau sagt: „Nee, das habe ich noch.“ OK, denke ich. Endlich erhalte ich das. „Warum sind sie denn hier?“ fragt die Pflegefrau. „Bei mir besteht Thromboseverdacht.“ „Gut, dann nehmen sie Platz.“ Prima. Ich bin so weit wie vorhin – habe aber das Armband. Voller Vorfreude auf die baldige ärztliche Hilfe nehme ich den gewohnten Platz im Wartezimmer ein.

14:30     Geschätzt warten hier 30 Menschen auf einen Arzt. Bislang wurden gerade mal 5 Leute aufgerufen. Ein älteres Paar neben mir verliert allmählich die Geduld. Sie stacheln sich gegenseitig auf und schimpfen vor sich hin.

15:00     „Herr Wartisch bitte“ Was? Da ist eben mein Name gerufen worden. Ich fasse es kaum und folge einer jungen Krankenhausmitarbeiterin in einen Behandlungsraum, auf dem „Ersteinschätzung“ zu lesen ist. Business as usual: Blutabnahme, EKG. Kenne ich alles schon. Aber endlich geht es los. Während des EKG berechne ich, wie lange ich noch brauche, bis ich das UKE wieder verlassen kann: Um 18 Uhr bin ich im Haus.

15.15     Zurück im Wartezimmer. Da ist es immer noch voll. Aber ich habe meine Ersteinschätzung!!!!! Jetzt geht es los.

15.30     Sitze im Wartezimmer. Mein Buch macht mir keine Freude mehr. Also daddele ich am Handy herum. Das ist aber auch spaßlos. Was denn noch? Aufs Klo gehen? Das wäre sicherlich nötig, aber dann verpasse ich bestimmt meinen Namensaufruf. Bloß das nicht. Ich sitze und „schwitze mir das Bedürfnis durch die Rippen“. Warten.

16:00     Ich warte immer noch.

16:30     „Herr Wartisch bitte“ Ich falle vor Schreck fast auf den Boden. Mein Name wurde aufgerufen. Eine junge Ärztin nimmt mich in ein Sprechzimmer mit. Dort muss sie erst einmal telefonieren. Dann widmet sie sich mir. Ein Interview also. Wann die Beschwerden anfingen? Luftnot? Brustschmerzen? „Zeigen sie mir mal die Füße. Links sieht das nicht nach Gicht aus.“  Sie raunt etwas von einem Gerinnungswert, der noch fehlt. „Das Labor hat viel zu tun.“ Und schließt mit: „Für die Lunge brauchen wir noch eine CT“. Dann darf ich wieder wohin? – Natürlich ins Wartezimmer.

17:00     Das Warten hat mich wieder. Ich schreibe eine Liste der Dinge, die ich für einen Aufenthalt im UKE benötige und schicke sie an Christiane, die mir vorher schon gesagt hat, dass das hilfreich wäre. Sie will kommen. Nur wann? Und wo treffen wir uns?

17:30     Ich warte.

18:00     Ich warte.

18:15     Christiane fragt, wo sie mich findet. Sie fährt jetzt los. Ich sitze im Wartezimmer.

18:30     Ein Pfleger nimmt mich mit. In einem Nebenzimmer verpasst er mir eine Heparinspritze. Und dann soll ich im Wartezimmer 2 Platz nehmen. „Wo ist das?“ – „Gehen sie einfach durch die Glastür und dann rechts.“ Ich gehe also tiefer ins Labyrinth des UKE hinein und finde das rappelvolle Wartezimmer 2. Da sitzt eine Frau, die ich bereits aus dem ersten Wartezimmer kenne.  „Haben sie es auch hierher geschafft?“ fragt sie. „Ja, ich bin jetzt aufgestiegen.“

18:45     Christiane kündigt ihr Erscheinen in den nächsten 10 Minuten an. Ich schicke die Nachricht, wo sie mich jetzt findet.

19:00     „Herr Wartisch bitte“ – ausgerechnet jetzt. Aber die  CT kommt nun. Man führt mich durchs UKE-Labyrinth in einen Raum. Da darf ich warten. Nach 20 Minuten werde ich weitergeführt. Dann kommt die Lungen-CT. Während dessen sucht Christiane mich irgendwo im Gewirr von Gängen und nicht zuständigem Personal.

19:45     Ich bin wieder im Wartezimmer 2. Und dann kommt auch Christiane. Wie schön. Jetzt warten wir gemeinsam. Ihre Jazzprobe hat sie abgesagt, das hier ist für sie jetzt wichtiger.

20.00     Christiane fragt, ob ich schon etwas gegessen habe. Das muss ich verneinen. Dafür kann ich jetzt endlich auf Klo. Dann besorgt Christiane ein Abendbrot bei Edeka.

20.45     Vesperzeit im UKE.

20.50 – 21.45     Mit uns warten noch ein nettes Geschwisterpaar, das sich seine Zeit mit dem Pokalspiel Bayern gegen den BVB vertreibt und ein Ehepaar, dessen männlicher Teil leukömiekrank und hoch fiebrig ist. Da ich seit 13 Uhr im Haus bin, liege ich dort im Mittelfeld. Die Geschwister sind seit wenigen Stunden, der Leukämiekranke seit 11:30 Uhr in der Notaufnahme.

21:45     Meiner Frau platzt der Kragen. „Jetzt beschwere ich mich.“  Als sie wiederkommt erzählt sie, dass hier viel zu tun ist und wir Wartenden ein wenig in den Hintergrund gedrängt worden sind. Die beiden Krebskranken sollen aber im Haus bleiben, es gibt nur keine freien Betten. Aber bald kümmert man sich um uns.

22:10     Jetzt platzt mir der Kragen, es ist immer noch nichts passiert. Ich stampfe an den Empfangstresen und frage energisch nach, was mit mir nun passiert und wann ich einen Arzt  sehe. Keine fünf Minuten später kommt ein Arzt, ein Vertretungsarzt, kurioserweise ein Onkologe, den ich schon vor zwei Wochen hatte. „Sie haben eine beidseitige Lungenembolie, wir müssen sie zur Beobachtung hierbehalten.“  „Und wo soll ich hin?“ frage ich. „Das regeln wir irgendwie.“

22:20     Eine Krankenschwester, Christiane und ich erreichen das Behelfszimmer. Hier darf ich meine allererste Nacht im Krankenhaus verbringen. Nachdem ich mich einigermaßen eingerichtet habe verabschiedet sich Christiane. Es war auch für sie ein langer Abend.

Wie geht es weiter? Fortsetzung morgen.


3 Kommentare:

  1. Ach, Stefan ...wenn du das alles mal in vielen Monaten betrachten wirst, hoffe ich, daß Du über deinen eigenen Text etwas lachen musst ...nicht weil die Situation lustig ist, aber du schreibst es mit Humor . Vielleicht wird ja sogar ein kleines Buch draus, das dann wieder andere lesen und sagen: "Ach ja, das kenne ich ..." Dann hat es ein Gutes gehabt. Gute Besserung, wir beten fleissig weiter. Deine Lehmanns (lieben Gruss an Christiane und die kids )


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  2. Lieber Stefan, ja, Du schreibst es mit einem guten Humor, doch die Situation ist ja echt ein Hammer. Da wundert es einen, dass nicht mehr Leute im Wartebereich sterben und dann kommt wohl der Kommentar "ja, hätten Sie mal was gesagt ..." oder "tja, war echt voll heute" und die Lage in Deutschland soll noch viel besser sein als im Ausland. Wie gut, dass Du Gott an Deiner Seite hast ... Weiterhin viel Kraft und hoffentlich bald die Nachricht von einer positiven Wendung. Reichlich Segen wünscht Claudia

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  3. Lieber Stewart,

    sehr gut gemacht. Du hast Dir in dieser schrägen Situation nicht "die Butter vom Brot" nehmen lassen und Prof. XY in die Verantwortung genommen. Wir unterstützen Dich/Euch gerne,

    Cl & Jo

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