Sonntag, 2. April 2017


Tag 2/4

Nanu? Schon lange nichts mehr geschrieben? Ist was passiert? Ist nichts passiert?

Ehrlich gesagt: Auch über die letzte Zeit zu schreiben ist Lust- und Launesache. Tatsächlich passiert manchmal gar nichts, mal habe ich keine Lust, über die Krankheit und ihre Begleitumstände zu schreiben und dann fehlt auch zuweilen die Inspiration für einen Text. Aber diesmal, bei Sonnenschein und milden Temperaturen schreibe ich doch ein paar Zeilen.

Vielleicht ein körperliches Zwischen-Resümmee?

In der Regel kämpfe ich mehr mit den Nebenwirkungen der Chemotherapie als mit der Krankheit selbst. Die Blutdruckprobleme sind geblieben, also nehme ich nun die doppelte Dosis des Medikaments dagegen. Die Folgewirkungen sind dann ein schwächer werdender Geschmack, ein trockener Reizhusten und die Sorge, ob das hält. Das Kortison macht mir Beschwerden und sorgt bei mir für eine rote Birne oberhalb des Halses. Manche finden das toll („warst wohl in der Sonne“). Meine Schwiegermutter fand, dass ich nun endlich nicht mehr so eingefallene Wangen habe (sie meint das Kortison-Mondgesicht, ggf. googeln). Die Durchschlafstörungen sind geblieben, wenn ich mal vier Stunden am Stück schlafe, bin ich schon zufrieden. Maximal komme ich auf sechseinhalb Stunden, meistens auf fünfeinhalb (Wachphasen mitgerechnet). Leider blutet die linke Nase beständig, was vom Aspirin kommen soll. Dann noch zitternde Hände, langsames Gehen, mal ein Kribbeln links, eine schmerzende Sehne rechts…. Ja, so in etwa fühlt es sich an.

Seelisch? Hmn, drunter und drüber. Auf jeden Fall kann es launisch werden und die Stimmung von einem auf den anderen Moment kippen. Auch das hat mit Medikamenten zu tun  - aber sicherlich nicht nur.

Gibt es denn auch Positives? Auf jeden Fall. Die Schmerzen im linken Schulterblatt (die Mikrobrüche made by Herrn K) sind deutlich reduziert bis kaum mehr spürbar. Und für einen MM-Kranken sind meine Blutwerte recht gut (das sagt meine Ärztin jedes Mal, wenn sie mir diese überreicht). Die Muskelverspannungen auf der rechten Seite, die mit der linken Schulter korrespondierten, sind auf ein erträgliches bis minimales Maß zurückgegangen.

Heute bin ich wieder mal Auto gefahren. Ich legte den Rückwärtsgang ein, fuhr aus meiner Parklücke heraus, legte den ersten Gang ein und fuhr los. Da war plötzlich etwas anders als in den letzten Wochen. Was war denn das bloß? Ach ja: Ich konnte BESCHWERDEFREI beide Gänge einlegen. Das war mir zuletzt im November vergönnt. Diese kleine Begebenheit heute mag illustrieren, warum mir die Grunderkrankung aus dem Bewusstsein rückt.




Und gerade das ist das Tückische an MM. Man merkt den Krebs nicht. In den meisten Fällen wird er erst entdeckt, wenn er Schmerzen bereitet – so wie bei mir im Schulterblatt. Gedanke: Das ist wohl bei vielen (allen?) Krebsarten so.

An Tagen wie heute, aber auch in den letzten zweieinhalb Wochen, gerät die Krankheit aus dem Blickfeld. Und ich denke „So soll es bleiben“. Aber dann folgt gleich ein mächtiger, dumpf angeschlagener Akkord: „MM“. Nein, Herr K ist präsent.



Gedanken über das Ende

Die Bibel lehrt: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ (Psalm 90:12). Das Bewusstsein, dass dieses Leben einmal zu Ende geht, soll den Menschen nicht verloren gehen. An das Ende zu denken schärft die Frage, wo die Lebensprioritäten zu setzen sind ungemein. Durch die christliche Literatur der vergangenen Jahrhunderte taucht diese Frage immer wieder auf. Wir finden sie in den Regel des heiligen Benedikt im fünften Jahrhundert, in den Schriften des Thomas a Kempis aus dem 15. Jahrhundert und bei Jonathan Edwards in seinen Entscheidungen aus dem frühen 18. Jahrhundert. Viele kennen sicherlich noch andere Autoren, die sich aus christlicher Sicht mit dieser Frage auseinandergesetzt haben.

Was bedeutet es, wenn man auf dieses Ende hin zu lebt? Was bedeutet es, wenn das Ende dieses Lebens näher ist als man es sich ursprünglich gedacht hat?

Mir persönlich war immer klar: Der Tod gehört dazu. Aber bitte: Nicht so bald. Und dann kommt so eine ungebetene Krankheit um die Ecke  - und alles sieht anders aus. Das Leben kann ganz schnell zu Ende sein, viel eher, als ich es mir ausgemalt habe. Nicht „erst“ mit 75, 80, 85 oder 90 Jahren, sondern deutlich früher. Was müsste ich in meinem Leben jetzt ändern wenn ich mir bewusst bin, dass ich nur noch 5 oder 10 Jahre vor mir hätte?

Es kommen dann unangenehme Wahrheiten zu Tage. Mit wie viel trivialem Schund belaste ich mein Leben? Muss ich mir das alles geben, was sich mir als „wichtig“ aufdrängt? Wer oder was steuert mein Leben durch diese Zeit?

Diese Frage stelle ich mir jetzt. Das soll nicht heißen, dass ich vorhabe, in den nächsten 5 bis 10 Jahren das Zeitliche zu segnen, aber – im Ernst – rechnen muss ich damit. Und darin unterscheide ich mich im Grunde nicht von jedem anderen Menschen, der dies liest. Wir sind mitten im Leben doch vom Tod umgeben, nur haben wir den Gedanken an den Tod vertrieben und lenken uns ab. Ablenkungen sind an sich nicht schlimm, wir können und dürfen sie genießen. Aber ich lasse mir von ihnen nicht mehr vorschreiben, die Lebensprioritäten zu setzen.

Also klar: Etwas HSV geht immer. Etwas bis sehr viel Musik und Literatur gehört dazu. Aber ich beschließe für mich, dass ich nur noch das nehmen möchte, was mich aufbaut, was mir weiterhilft und was mein Leben bereichert. (Manche würden das beim Thema HSV bestreiten, na gut).



Wo sind die Prioritäten?

So leid es mir tut: In den Himmel mitnehmen kann ich nichts. Was ich mir wünsche ist, dass ich dort möglichst viele Menschen wiedersehe, die ich in diesem Leben bei mir hatte. Gottes Reich in dieser Welt besteht vor allem aus Beziehungen zu Menschen, dann erst  aus Weisheiten und Wissen. Bei mir stand bislang Weisheit und Wissen meistens vor den Beziehungen. Da lässt sich was ändern, n´est-ce pas?

Bill Hybels schreibt in seinem Buch „Einfach“, dass wir ein Vermächtnis hinterlassen sollen für die Menschen, die nach uns kommen. Was hinterlasse ich, wenn ich von dieser Welt gehe?

Ich lasse an dieser Stelle die Antworten einfach mal offen, mag jeder Leser selbst entscheiden, was dort einzusetzen ist. Sicher aber ist, dass ich diese Gedanken vertiefen werde.



Der Monatsspruch in den Losungen für den April 2017 lautet: „Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten. Er ist nicht hier, er ist auferstanden.“ (Lukas 24, 5-6). Das ist ein österlicher Vers. Jesus ist auferstanden und damit hat der Tod keine Macht mehr. Wenn man mich fragt, worauf ich hoffe, dann ist es das Leben mit Jesus. Mehr braucht es nicht, denn in Ihm ist alles.

Herzliche Grüße von Alsterstewart.














1 Kommentar:

  1. Ein schönes wahres Wort für euch :An dem Tag als mein Stiefvater starb lag er mit Lungenkrebs in der Klinik. Er war schmerzfrei und bereit, in den Himmel zu gehen. Er starb um acht Uhr früh in Frieden und jetzt kommt`s. Ein betender Freund aus dem Pfingstkreis hat das GESEHEN. Im Morgengebet sah er eine Himmelsleiter mit Engeln und hörte die Worte "Gloria, Hallelujah, er ist angekommen." (Mein Vater ) Die Botschaft war klar: Du kannst jetzt mit dem Beten aufhören...Unser Freund sah das Bild übrigens mit geschlossenen und offenen Augen gleich. Solche Wunder brauchen wir manchmal, wenn man etwas mutlos wird. Aber Gott steht über jeder Krankheit und unsere Lebenszeit ist in seinen Händen. Wir haben einige Menschen zwischen 45 und 55 Jahren urplötzlich an Herzinfarkten verloren, da war vorher nichts angekündigt.
    Du sahst übrigens großartig aus, Stefan. Ich dachte, du wärest gewachsen, aber vermutlich schrumpfe ich in inzwischen schon. Lieben Gruss ulla

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