Mittwoch, 6. September 2017


5. September 2017 (Dienstag)

In den letzten Tagen hatte ich häufig leichte bis mittlere Schmerzen in der linken Schulter. Diese weiteten sich vom Schulterblatt auf große Teile des Schultergelenks, von dort in den hinteren Rippenbogen und dann sowohl den linken Arm hinunter als auch zur rechten Schulter hinüber aus.

Eine Verspannung? Etwas Harmloses?

Diese Schmerzen kamen mir bekannt vor. Ebenso auch der Gedanke an eine lästige, aber harmlose Muskelverspannung. So dachte ich doch bereit vor einem Jahr - und dann war das doch etwas Bösartiges. Jetzt also wieder bösartig? Klar, dass hier tiefe Ängste, die sich aus üblen Erinnerungen speisen, angetriggert wurden. In den Tiefen meines Bewusstseins schlich sich eine Ahnung ein: Der Krebs ist wieder da - oder könnte wieder da sein - oder könnte nie wirklich weggegangen sein. Habe ich nicht bereits solche Geschichten von MM-Patienten gelesen: Mit einem Mal war der Krebs wieder da, trotz allem?

Wir haben halt so Erfahrungen.

Und nun?

Klar, dass die Psyche nun verrückt spielt.

Da traf es sich gut, dass ich gestern zur Knochenmarkpunktur (KMP) in die Onkologie des UKE musste. Die KMP ist ein Standardverfahren zur Gewebeentnahme direkt aus dem Knochenmark. Hierzu wird in der Regel bei lokaler Betäubung mir einer Nadel fest in einen Beckenknochen hineingestoßen und dann dort Gewebe entnommen. Die Analyse des Gewebes dient dem Nachweis, ob sich im Gewebe Krebszellen befinden. An und für sich ist die KMP unangenehm, man spürt Druck und bekommt auch mit, wie dem Körper Substanz entnommen wird. Bei mir ist die KMP erforderlich, um das an und für sich erfreuliche Blutergebnis von Juli zu bestätigen - oder zur widerlegen.

Im Gespräch mit der Ärztin, die die KMP durchführen sollte, kam ich auch auf die Schulterschmerzen zu sprechen und auf die damit verbundenen Gedanken und Ängste. Für die Onkologin war das nicht ungewöhnlich: Es sei klar, meinte sie, dass ich da Schmerzen habe. Aber diese Schmerzen könnten nicht mehr vom Krebs herrühren, das gäbe das Blutbild nicht her. Statt dessen seien dies die kleinen Brüche, die sich halt bei bestimmten Anlässen (wie etwa körperliche Erschütterungen) oder auch ohne Anlass bemerkbar machen. Knochengewebe braucht seine Zeit, um wirklich auszuheilen. Sie ließ dann noch einige Ausführungen zum Thema "Krebs und Psyche" folgen, die ich hier noch nicht weitergeben möchte, und meinte dann: "Ihre Schmerzen kommen nicht vom Krebs". Um das Thema dann abzuschließen betastete sie noch meinen Rücken und meine Schultern. Das Ergebnis: Meine Muskeln sind links total verspannt, das sind die Schmerzausstrahlungen von der Schulter her.

Ich durfte mich entspannen, als sie mir sagte, dass die Muskel verspannt sind. Kurios. Und nun ließen die Schmerzen in der Schulter und mit ihnen die Schmerzen im Oberkörperbereich allmählich nach. Nun bin ich annähernd schmerzfrei.

Übrigens: Während die Onkologin die KMP vorbereitete, erhielt sie einen Telefonanruf. Anscheinend ein dringender Fall. Ich bekam mit, wie sie "das können wir nur noch lokal eingrenzen", "da haben wir nur noch palliative Möglichkeiten" und "dann müssen wir leider den Dinge ihren Lauf lassen" ins Telefon sprach. Während dessen lag ich da und wartete auf die KMP. Was ging mir dabei durch den Kopf? Nur zwei Sachen: "Der arme Mensch, über dessen Schicksal sie spricht" und "die Krankheit ist ernst". So ist es.

Nebenbei: Nach der KMP musste ich noch eine Stunden liegenbleiben. Als ich dann aufstand, war die Welt anders. Jedenfalls für mich. Denn ich hatte komplett unterschätzt, dass die KMP ein tiefer Eingriff in meinen Körper gewesen ist. Die Beinen sackten mir weg, kein Wunder, denn der untere Rückenbereich ("Hintern" und Co) war noch leicht betäubt. Zudem drehte sich die Welt um mich herum, der Blutdruck kam nicht so ganz mit. Ich fühlte mich gelähmt und musste mir jeden einzelnen Schritt genauerstens überlegen. So schwankte ich unvernünftigerweise Richtung UKE-Ausgang, machte da aber kehrt und setzte mich zur Erholung auf eine Bank im UKE. Ich kenne mich da ja inzwischen gut aus. Ich hätte hinfallen können, da die Beine mir den Dienst versagen wollten. 

Glücklicherweise ist nichts passiert. Nach einer halben Stunde Wartezeit auf der Bank konnte ich dann befriedigend gehen. Auch der Schwindel legte sich nach einer Mahlzeit wieder.



6. September 2017 (Mittwoch)

Morgen werde ich zur Reha nach Ratzeburg starten. Ich bin natürlich gespannt, was mich dort erwartet. Hoffentlich viel Gutes.

Was möchte ich da eigentlich?

Ich wünsche mir sehr, wieder eine Beziehung zu meinem Körper aufnehmen zu können. In den letzten Monaten ist mir mein eigener Körper etwas fremd geworden. Und das liegt daran, dass er sozusagen von einem auf den anderen Moment von "gesund" auf "todkrank" umschaltete (jedenfalls kam mir das so vor). Die Schmerzen, die Unsicherheit, die Nebenwirkungen der Chemotherapie, die Nebenwirkungen der Medikamente gegen die Nebenwirkungen, die Thrombose, Embolie, Gewichtsabnahme, Gewichtszunahme, das Kortison, die Krebsmedikation, Bluthochdruck, Blutniedrigdruck, Blutungsrisiken, Zelltief, Übelkeit usw..... Kurz und gut: Mein Körper fühlt sich anders an als vor einem Jahr.

Und das nervt mich!

Es ist bedrückend, wenn ich mir gewahr werde, dass ich für den Start eines kurzen Sprints zum Bus überlegen muss, wie ich den Sprint überhaupt ansetze. Es ist richtig niederdrückend, wenn ich meinen Jakob auf dem Spielplatz nicht von einem Gerüst herunterhelfen kann. Mal ist Schwimmen verboten, mal wird mir vom Fahrrad fahren abgeraten, mal sind Treppen für mich herausfordernd, mal fehlt es woanders.

Kurz und gut: Das muss sich ändern.

Während der Reha gibt es sicherlich ausreichend Möglichkeiten, Körper und Seele wieder zueinander finden zu lassen. Das ist für mich da das Wichtigste überhaupt.

Sollte ich dort über WLAN verfügen, wird der Blog auch während der Reha fortgeführt. Sonst mal kucken.


Wie soll es eigentlich weitergehen?

Ehrlich gesagt weiß ich das noch nicht. Ich lerne, dass ich mit meinen Planungen nicht immer weiterkomme. Vieles zerschlägt sich und einiges kommt dann doch anders als geplant. Es ist aber sicher, dass die Prozeduren im UKE mit mir noch ca. 2 Jahre weitergehen werden. Die Intensität soll nachlassen und meine Unabhängigkeit vom UKE sukzessive größer werden. Das ist auch bitter nötig.

Ich sehne mich nach bald 10 Monaten Krebs und Krebstherapie nach Normalität. Einer der Träume von Glück, die ich habe, lautet: "Ich möchte morgens aufstehen und absolut keine Lust zur Arbeit haben." Das aber wird noch dauern.

Stärker noch wird mich die Erkenntnis beschäftigen, wie zerbrechlich das Leben ist. Was ich heute als selbstverständlich erachte kann morgen schon dahin sein. Die Frage ist dann: Wie nutze ich die Zeit, die ich habe? Das geht problemlos für mich mit schlechter Laune und Pessimismus. Und zwar berechtigt, ich weiß schließlich, wie schnell das Glück dahin ist. Mit Pessimismus aber verderbe ich meiner Umwelt und mir das Leben, er vergiftet die Seele und das Herz. Warum nicht die Alternative wählen? Es geht doch auch mit Genuss durchs Leben, eben weil es morgen schon ganz anders aussehen kann. Genuss. Lebensfreude. Vielleicht auch Optimismus. Nur so komme ich weiter.

Herzliche Grüße, Alsterstewart



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