Tag 9/5
Eigentlich müsste ich seit Dienstag, 25. April im
Krankenhaus sein. Das wäre der Starttermin für die Stammzellenchemo gewesen. Die
sollte sich an die ganze Einleitungstherapie anschließen. Eigentlich. Doch eine
leicht fiebrige Erkältung, die ich mir Ostern aufgesackt hatte, machte einen
Strich durch die Rechnung. Die Therapie wurde um eine Woche verschoben.
Also noch einmal eine Gnadenfrist.
Wirklich?
Schmerzen im Fuß
Am Dienstagmorgen entdeckte ich einige Schmerzen im linken
Fuß. Kenne ich schon, dachte ich, das
sind wieder Fersenspornbeschwerden. Nichts dramatisches also, damit
kenne ich mich gut aus, damit kann ich leben. Aber als ich mir den Fuß näher
besah entdeckte ich eine deutlich sichtbare Schwellung knapp oberhalb des
Sprunggelenks, das Gelenk selbst war knapp 2 cm dicker als das Sprunggelenk auf
der rechten Seite. War ich irgendwann irgendwo umgeknickt? Dazu kamen noch
Druckschmerzen im Knöchelbereich. Und überhaupt „Knöchel“ – der war nicht mehr
zu sehen vor lauter Schwellung.
Was macht man dann? Ganz einfach: Kam von allein, geht von
allein. Das ist wieder so eine Nebenwirkung. Also Abwarten. Morgen ist es
bestimmt vorbei.
Mittwochmorgen: Da ist nichts weggegangen. Alles so wie
gestern im linken Fuß, nur kann ich da kaum noch auftreten. Nützt alles nichts,
ab zum Arzt.
Meine Hausärztin besieht sich die Sache. Nach einigem hin
und her sagt sie: „Das kann eine Thrombose sein. Fahren sie am besten ins UKE
in die Notaufnahme, ich gebe Ihnen eine Einweisung mit.“ WAAAAS? THROMBOSE?
NOTAUFNAHME? EINWEISUNG? Aber bei allem Schrecken: Was soll ich anderes tun als
das, was am Naheliegendsten ist? ´
Also Notaufnahme.
Die Notaufnahme
Und nun mache ich es chronologisch:
13:00 Ich erreiche
die Notaufnahme des UKE. Vor mir erläutern zwei Männer einem
Empfangsmitarbeiter ihren Arbeitsunfall. Sie sehen eigentlich ziemlich gut
gelaunt aus. Ich aber kann kaum noch stehen. Endlich winkt mich eine
Mitarbeiterin heran. Jetzt darf ich mich samt Einweisung, Ausweisen und
Krankenkassenkarte anmelden. „Die Pflegemitarbeiterin spricht gleich noch mit
ihnen“, sagt die Empfangsdame und weist auf eine genervte Frau in blauem
Kittel. „Ich kann jetzt nicht.“ , blafft die zurück. Ich darf mich ins
Wartezimmer verkrümeln. „Die Kollegin kommt auf sie zu.“ Gut.
13:50 Ich warte
geduldig und starre – wie alle – in den sich allmählich füllenden Wartebereich.
Dabei entdecke ich: Alle haben ein Papierarmband, auf dem sie als
Notaufnahmepatient gekennzeichnet sind. Das fehlt mir! Und gesprochen hat mit
mir noch niemand! Also jachtere ich zum Empfangstresen: „Mir fehlt das
Papierarmband“ sage ich zu einer anderen Frau. „Das haben wir schon entsorgt“. Die
genervte Pflegefrau sagt: „Nee, das habe ich noch.“ OK, denke ich. Endlich
erhalte ich das. „Warum sind sie denn hier?“ fragt die Pflegefrau. „Bei mir
besteht Thromboseverdacht.“ „Gut, dann nehmen sie Platz.“ Prima. Ich bin so
weit wie vorhin – habe aber das Armband. Voller Vorfreude auf die baldige
ärztliche Hilfe nehme ich den gewohnten Platz im Wartezimmer ein.
14:30 Geschätzt
warten hier 30 Menschen auf einen Arzt. Bislang wurden gerade mal 5 Leute
aufgerufen. Ein älteres Paar neben mir verliert allmählich die Geduld. Sie
stacheln sich gegenseitig auf und schimpfen vor sich hin.
15:00 „Herr
Wartisch bitte“ Was? Da ist eben mein Name gerufen worden. Ich fasse es kaum
und folge einer jungen Krankenhausmitarbeiterin in einen Behandlungsraum, auf
dem „Ersteinschätzung“ zu lesen ist. Business as usual: Blutabnahme, EKG. Kenne
ich alles schon. Aber endlich geht es los. Während des EKG berechne ich, wie
lange ich noch brauche, bis ich das UKE wieder verlassen kann: Um 18 Uhr bin
ich im Haus.
15.15 Zurück im
Wartezimmer. Da ist es immer noch voll. Aber ich habe meine
Ersteinschätzung!!!!! Jetzt geht es los.
15.30 Sitze im
Wartezimmer. Mein Buch macht mir keine Freude mehr. Also daddele ich am Handy
herum. Das ist aber auch spaßlos. Was denn noch? Aufs Klo gehen? Das wäre
sicherlich nötig, aber dann verpasse ich bestimmt meinen Namensaufruf. Bloß das
nicht. Ich sitze und „schwitze mir das Bedürfnis durch die Rippen“. Warten.
16:00 Ich warte
immer noch.
16:30 „Herr
Wartisch bitte“ Ich falle vor Schreck fast auf den Boden. Mein Name wurde
aufgerufen. Eine junge Ärztin nimmt mich in ein Sprechzimmer mit. Dort muss sie
erst einmal telefonieren. Dann widmet sie sich mir. Ein Interview also. Wann
die Beschwerden anfingen? Luftnot? Brustschmerzen? „Zeigen sie mir mal die Füße.
Links sieht das nicht nach Gicht aus.“
Sie raunt etwas von einem Gerinnungswert, der noch fehlt. „Das Labor hat
viel zu tun.“ Und schließt mit: „Für die Lunge brauchen wir noch eine CT“. Dann
darf ich wieder wohin? – Natürlich ins Wartezimmer.
17:00 Das Warten
hat mich wieder. Ich schreibe eine Liste der Dinge, die ich für einen
Aufenthalt im UKE benötige und schicke sie an Christiane, die mir vorher schon
gesagt hat, dass das hilfreich wäre. Sie will kommen. Nur wann? Und wo treffen
wir uns?
17:30 Ich warte.
18:00 Ich warte.
18:15 Christiane
fragt, wo sie mich findet. Sie fährt jetzt los. Ich sitze im Wartezimmer.
18:30 Ein Pfleger
nimmt mich mit. In einem Nebenzimmer verpasst er mir eine Heparinspritze. Und
dann soll ich im Wartezimmer 2 Platz nehmen. „Wo ist das?“ – „Gehen sie einfach
durch die Glastür und dann rechts.“ Ich gehe also tiefer ins Labyrinth des UKE
hinein und finde das rappelvolle Wartezimmer 2. Da sitzt eine Frau, die ich
bereits aus dem ersten Wartezimmer kenne. „Haben sie es auch hierher geschafft?“ fragt
sie. „Ja, ich bin jetzt aufgestiegen.“
18:45 Christiane
kündigt ihr Erscheinen in den nächsten 10 Minuten an. Ich schicke die Nachricht,
wo sie mich jetzt findet.
19:00 „Herr
Wartisch bitte“ – ausgerechnet jetzt. Aber die CT kommt nun. Man führt mich durchs
UKE-Labyrinth in einen Raum. Da darf ich warten. Nach 20 Minuten werde ich
weitergeführt. Dann kommt die Lungen-CT. Während dessen sucht Christiane mich
irgendwo im Gewirr von Gängen und nicht zuständigem Personal.
19:45 Ich bin
wieder im Wartezimmer 2. Und dann kommt auch Christiane. Wie schön. Jetzt
warten wir gemeinsam. Ihre Jazzprobe hat sie abgesagt, das hier ist für sie
jetzt wichtiger.
20.00 Christiane
fragt, ob ich schon etwas gegessen habe. Das muss ich verneinen. Dafür kann ich
jetzt endlich auf Klo. Dann besorgt Christiane ein Abendbrot bei Edeka.
20.45 Vesperzeit im
UKE.
20.50 – 21.45 Mit
uns warten noch ein nettes Geschwisterpaar, das sich seine Zeit mit dem
Pokalspiel Bayern gegen den BVB vertreibt und ein Ehepaar, dessen männlicher
Teil leukömiekrank und hoch fiebrig ist. Da ich seit 13 Uhr im Haus bin, liege
ich dort im Mittelfeld. Die Geschwister sind seit wenigen Stunden, der
Leukämiekranke seit 11:30 Uhr in der Notaufnahme.
21:45 Meiner Frau
platzt der Kragen. „Jetzt beschwere ich mich.“
Als sie wiederkommt erzählt sie, dass hier viel zu tun ist und wir
Wartenden ein wenig in den Hintergrund gedrängt worden sind. Die beiden
Krebskranken sollen aber im Haus bleiben, es gibt nur keine freien Betten. Aber
bald kümmert man sich um uns.
22:10 Jetzt platzt
mir der Kragen, es ist immer noch nichts passiert. Ich stampfe an den
Empfangstresen und frage energisch nach, was mit mir nun passiert und wann ich
einen Arzt sehe. Keine fünf Minuten
später kommt ein Arzt, ein Vertretungsarzt, kurioserweise ein Onkologe, den ich
schon vor zwei Wochen hatte. „Sie haben eine beidseitige Lungenembolie, wir
müssen sie zur Beobachtung hierbehalten.“
„Und wo soll ich hin?“ frage ich. „Das regeln wir irgendwie.“
22:20 Eine
Krankenschwester, Christiane und ich erreichen das Behelfszimmer. Hier darf ich
meine allererste Nacht im Krankenhaus verbringen. Nachdem ich mich einigermaßen
eingerichtet habe verabschiedet sich Christiane. Es war auch für sie ein langer
Abend.
Wie geht es weiter? Fortsetzung morgen.
Ach, Stefan ...wenn du das alles mal in vielen Monaten betrachten wirst, hoffe ich, daß Du über deinen eigenen Text etwas lachen musst ...nicht weil die Situation lustig ist, aber du schreibst es mit Humor . Vielleicht wird ja sogar ein kleines Buch draus, das dann wieder andere lesen und sagen: "Ach ja, das kenne ich ..." Dann hat es ein Gutes gehabt. Gute Besserung, wir beten fleissig weiter. Deine Lehmanns (lieben Gruss an Christiane und die kids )
AntwortenLöschenLieber Stefan, ja, Du schreibst es mit einem guten Humor, doch die Situation ist ja echt ein Hammer. Da wundert es einen, dass nicht mehr Leute im Wartebereich sterben und dann kommt wohl der Kommentar "ja, hätten Sie mal was gesagt ..." oder "tja, war echt voll heute" und die Lage in Deutschland soll noch viel besser sein als im Ausland. Wie gut, dass Du Gott an Deiner Seite hast ... Weiterhin viel Kraft und hoffentlich bald die Nachricht von einer positiven Wendung. Reichlich Segen wünscht Claudia
AntwortenLöschenLieber Stewart,
AntwortenLöschensehr gut gemacht. Du hast Dir in dieser schrägen Situation nicht "die Butter vom Brot" nehmen lassen und Prof. XY in die Verantwortung genommen. Wir unterstützen Dich/Euch gerne,
Cl & Jo