Dienstag, 13. November 2018
Aus dem Remissionsalltag
Seit annähernd einem Jahr befinde ich mich mit meiner Therapie im Erhaltungsstadium. Das Thema "Chemo" ist also lange nicht abgeschlossen, vielmehr durchlaufe ich seit Ende November letzten Jahres eine Reihe von 28 Zyklen zu je 28 Tagen. Zunächst hatte ich jeden ersten und jeden 15. Tag des Zyklus eine Antikörperinfusion, seit Juni nur am jeweils ersten Tag des Zyklus die Infusion. Jeden Tag nehme ich dazu meine Dosis Revlimid und gegen die Thrombose-Embolie-Gefahr morgens und abends je 5 mg Eliquis.
Das alles läuft so nach den Plänen noch bis Januar 2020. Das bedeutet also eine gewisse Strecke, die noch vor mir liegt. Ich habe noch nicht einmal die Hälfte dieser Erhaltungstherapie erreicht. Aber gut, wenn mich die Chemotherapie eines gelehrt hat, dann das: Geduld führt ans Ziel.
So melde ich mich daher alle vier Wochen im UKE. Ich nenne das - leicht euphemisierend - einen Ausflug an die Ostsee. Das klingt netter als "Onkologie" und fängt überdies auch mit einem "O" an. Warum ausgerechnet Ostsee? Das klärt sich im Laufe dieses Blogposts.
Es ist nun nicht so, dass mir die Einnahme von Medikamenten so richtig Spaß macht - im Gegenteil. Doch habe ich die durchaus lebenserhaltende Lektion gelernt, dass die Medikamente mir da weiterhelfen, wo mein Körper nicht mehr die erforderliche Gegenwehr gegen Krankheiten und Ungemach aller Art bietet. Also prima. Nein? Nicht nur prima.
Mit den Medikamenten kommen auch die Nebenwirkungen. Bei meinem Revlimid-Konsum komme ich auch diverse lustige Begleiterscheinungen. Da sind ab und zu spannende Muskelkrämpfe (vorzugsweise in den Finger-, Zehen- und Wadenmuskeln), eine Neigung zu Infekten aller Art, Schläfrigkeit, Reizbarkeit und unberechenbare Körperreaktionen, wenn es zu Infekten dann kommt. Neulich im Oktober durchlitt ich den xten Infekt dieses Jahres. Innerhalb weniger Tage stieg das Fieber mal wieder in schwindelnde Höhen. Als es dann endlich fiel, erfreute ich mich zahlloser roter Flecken im Gesicht, auf dem Kopf, am Hals und am ganzen Oberkörper. Das war ein juckendes Vergnügen und eine neue Erfahrung.
Nervig ist natürlich die Schläfrigkeit, die mich ab und zu im Alltag überfällt. Da kommt zusätzlich zu den Medikamenten noch die psychische Belastung hinzu.
Ach ja: Es gibt nicht nur die Grunderkrankung, die sonstigen möglichen Krankheiten laufen auch noch mit. Kürzlich diagnostizierte ein Nuklearmediziner bei mir den Verdacht auf "kalte Knoten" in der Schilddrüse. Da habe ich auch noch ein Thema, vielen herzlichen Dank, liebes Leben.
"Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel. Man weiß nie, was man bekommt." (Forest Gumps Mutter, zitiert nach Forest Gump).
Zweifellos aber stellen die Infusionstage die Höhepunkte im Remissionsalltag dar. Wie gesagt: Alle vier Wochen freitags. Im UKE.
Das Ritual läuft immer ähnlich ab: Anmeldung, Wartezeit, Blutabnahme, Einfinden auf dem Infusionssessel, Vormedikation (intravenös und oral), Arztgespräch, Hauptmedikation (intravenös) und Nebenmedikation (ebenfalls in die Vene). Je nach Organisation, Patientenandrang, Personalsituation dauert das dreieinhalb bis vier Stunden, manchmal auch länger. Ich bekomme eine schöne Portion Elotuzumab, so nennt sich das Präparat, das aus einem Beutel in meine Blutbahn tropft. Irgendwie unspektakulär.
Auf den Sesseln links und rechts neben liegen und sitzen andere Patienten. Einige erhalten Kühlpackungen auf die Hände und die Füße. Ich wage nicht zu fragen, was ihnen verabreicht wird.
Sorry UKE, aber die Räume strahlen eine tiefe Trostlosigkeit aus. Wären da nicht in jedem Raum an den Wänden diese.... fantastischen... Entspannung verheißenden... Frieden ausstrahlenden....
FOTOS (s. Darstellung, leicht schräg über dem Stuhl angeordnet).
Ja, das sind Ostsee-Motive!
Während die Chemotherapie in meine Vene tropft, bin ich in Gedanken irgendwo zwischen Darß, Zingst, Rügen und Usedom unterwegs. Was könnte schöner sein.....?!
Ein Infusionsfreitag ist ansonsten ein lustiger Tag. Die Medikamente wirken leicht euphorisierend, ich darf nur nicht Auto fahren. Ansonsten fühle ich mich benommen, aber stark.
Am Sonnabend geht es mit den Kräften leicht abwärts und der Sonntag ist dann ein Tag zum Vergessen. Da hänge ich total durch, da ist mit mir nichts mehr anzufangen. Erst am Montag oder Dienstag komme ich wieder zu mir.
Remissionsalltag eben in der Erhaltungstherapie.
OK, es hätte schlimmer kommen können.
Noch mehr als ein Jahr, dann bin ich mit der Therapie durch. Und dann....?
Es lebt sich so lala mit MM.
Alles Gute.
Freitag, 12. Oktober 2018
Es ist ein langer Weg….
(Eine Reise des Glaubens und Nichtmehrglaubens.)
In Zeiten der Krise kann sich die Persönlichkeit schneller verändern als in den Zeiten, in denen es im Leben glatt geht. Bei mir ist da so.
Dazu gehört auch die Suche nach einem Glauben, der trägt, und einem Glaubensort, der mir Heimat ist.
Ich ging in die Therapie meiner Krebserkrankung hinein in der Gewissheit, dass der Glaube an Gott mich komplett hält. Die Voruntersuchungen und die ersten Wochen der Chemotherapie waren durchdrungen von den Psalmen der Schrift und den individuellen Gebeten.
Doch je länger die Therapie anhielt, desto schwieriger fiel es mir, an dem Glauben festzuhalten, der mich all die letzten Jahre ausgemacht hatte. Mit der in meiner christlichen Gemeinde mittlerweile dominanten Hillsong-Spiritualität konnte und kann ich ohnehin noch nie viel anfangen. Die eher calvinistisch begründete Theologie, die ich „im stillen Kämmerlein“ kultivierte ließ mich ohne Trost zurück, das war für eher etwas für die Kopf. Alles andere erschien mir fremd und bedeutungslos geworden.
Ich fand mich im Sommer 2017 bekanntlich im Krankenhaus wieder. Da waren Hochdosischemotherapie und Stammzellentransplantation angesagt. Ich hatte in dieser Zeit buchstäblich alle Hände voll zu tun, nicht die Nerven zu verlieren.
Es gibt im Leben von Christen Momente, da ist kein Gedanke mehr an Gott möglich. Bei mir war das im Krankenhaus in dieser Zeit oft der Fall.
Aber ich hatte eine Hoffnung: Spätestens mit dem Anbruch des Jahres 2018 sollte alles anders und besser werden. Mir war klar, dass das nur eine Atempause sein wird, aber immer noch schöner als der Mist, durch den ich 2017 gehen musste.
Doch folgte ab dem Spätherbst 2017 Krise auf Krise, in der Regel warfen mich Infektionen darnieder. Meine Frau Christiane hatte mitgezählt: Bis zum Herbst 2018 erfreute ich mich nicht weniger als sieben Infektionen, teils mit Fieber, teils mit Erkältung, teils mit Schmerzen.
Das hat natürlich etwas in mir verändert. Die Hoffnungen des Jahres 2017 waren zerstoben und neue Herausforderungen zeigten sich als Hochgebirge.
Am heftigsten tobten dabei die Kämpfe in der Seele.
Und irgendwo in dieser Zeit ging mir … der Glaube an Gott abhanden. Jedenfalls der Glaube daran, dass es dieser Gott gut mit mir meint. Er schien weit entfernt und an meinem Schicksal desinteressiert. „Nach Diktat verreist“ stand an seiner Bürotür.
Die uralte Frage „Warum das alles?“ kreiste durch meinen Schädel. Ja, warum? Die christlichen Antworten kannte ich alle: „Frag nicht warum, frag wozu?“ „Gott will dich erziehen.“ „Gott hat alles in der Hand.“ „Du kennst das ganze Bild noch nicht.“ usw. usf. Da war ich längst in einem Stadium, in dem ich nur sagen konnte: „OK, wenn ich Gott und seinen Kennern das alles abkaufe, dann muss doch irgendwann mal Schluss sein. Es MUSS IRGENDWANN MAL SCHLUSS SEIN MIT DIESEN GANZEN PRÜFUNGEN!“:
Aber es gab kein Schluss.
Infektion Ende Februar überstanden, Infektion Mitte April taucht auf…. usw. „Hast Du immer noch nicht genug, Gott?“ fragte ich mich. Jaja, mein alter Lehrmeister John Piper kam mir in den Sinn, der schrieb einen netten Sermon „Warum man nie sauer auf Gott sein darf.“ Ich war aber nicht nur sauer, ich war zornig. Jeder Gedanke an Gott rief Zorn, Wut, Aggression hervor.
Zu Ostern 2018 legte ich mein Gemeindeamt nieder, immerhin war ich ja pro forma immer noch Teil der Leitung dieser Gemeinde. Wie sollte ich aber ich eine Gemeinde leiten können, wenn ich um meine Gesundheit kämpfen soll und überdies eigener Glaube dahinschmolz wie ein Schneemann in der Frühlingssonne?
Der christliche Glaube hatte mir wenig bis nichts zu sagen. Tausendmal gehört, jetzt passiert nichts mehr. Gequatsche, für mein Leben irrelevant.
Was gibt es denn sonst so auf dem Weltanschauungsmarkt? Offenbarungsreligionen und Esoterik haben es bei mir schwer, es blieben nur: Buddhismus und Atheismus.
Also beschäftigte ich mich mit dem Buddhismus. Da fand ich tatsächlich einige hilfreiche Anregungen, wie ich mein eigenes Leiden deuten und transzendieren kann. Auch gibt es Hilfreiches zum Thema „Wie lebe ich im Augenblick?“ und „Wie gehe ich mit anderen Menschen um?“. Aber insgesamt war mir dieses philosophische System zu fremd. Mir schwirrte der Kopf von Begriffen wie Rad des Dharma, Karma und Mahayana. Da kam und komme ich nicht mit. Aber ich gestehe, dass ich immer von der Weisheits- und Gelassenheitslehre des Buddhismus profitiere.
Vielleicht aber ist der Glaube an einen Gott ohnehin nichts anderes als eine Illusion. „Gott existiert und er hat einen wundervollen Plan für Dein Leben“ hatte sich bei mir gerade erledigt. Auf diesen wundervollen Plan mit Krebs und Co kann ich gut verzichten. Da lag der Atheismus nahe. Und eines halte ich dem Atheismus zugute: Er hat bemerkenswert gute Argumente für seine durchweg humanistisch-säkulare Weltsicht. Viele dieser Argumente erhielten von mir einen Haken: Ja, das ist gut vertretbar, gut durchdacht und kann so hinkommen. Doch eines fehlt dem Atheismus, wie ich ihn kennengelernt habe: Er hat keine Musik. Ihm fehlt das Gespür für das Unerklärliche im Leben, das Gefühlige. Daher weicht er darauf aus, dass er sich selbst zur intelligentesten Weltanschauung erklärt. Das ist ist mir zu elitär. Eine unmusikalische Weltanschauung ist nichts für mich.
Was bitteschön ist mein geistliches Zuhause? Brauche ich überhaupt eines?
Gottseidank habe ich zwei sehr gute christliche Freunde, mit denen ich - ohne ein Blatt vor dem Mund zu nehmen - offen darüber sprechen kann. Da kann ich auch einmal Gedanken ins Unreine aussprechen, Gedanken, die noch nicht zu Ende gedacht sind. Da hat mir sehr geholfen.
Kann es sein, dass ich als durch die Krankheit heimatlos gewordener Mensch in diesen Menschen der Liebe Christi begegnet bin? Dass mich an diesem Ort die Liebe Gottes noch einmal eingeholt hat? Vermutlich. Sehr stark vermutlich.
Und nun?
„Nähme ich Flügel der Morgenröte / und bliebe am äußerten Meer / so würde auch dort deine Hand mich führen / und deine Rechte mich halten. /Spräche ich: Finsternis möge mich decken / und Nacht statt ich Licht um mich sein -, / so wäre auch Finsternis nicht Finster bei dir, / und die Nacht leuchtete wie der Tag, Finsternis ist wie das Licht“ (Psalm 139, 10-14)
Kurz und gut: Gott hat mich eingeholt - nein, so wie in der Geschichte vom Hase und dem Igel ist Gott bereits da, wo ich jetzt bin und wartet auf mich, wie ich jetzt - ich betone: JETZT - bin.
Ich bin anders als noch vor zwei Jahren, mein Leben, meine Lebenssicht hat sich verändert. Ich kann den Faden nicht wieder aufnehmen, der mir vor zwei Jahren aus den Händen fiel. Bedeutungslos erscheint mir das, was noch vor knapp zwei Jahren mein christliches Leben ausgemacht hat. Bedeutungslos für heute. Es gibt nun also einen Bruch, eine deutliche Zäsur in meiner Glaubensbiographie.
Mein Psychoonkologe, dem ich viel verdanke, rät mir nicht viel. Aber zwei Dinge hat mir dringend empfohlen: Eine geistliche Heimat zu suchen und das Gebet wieder zu suchen.
Das Gebet habe ich gesucht und es war eines der ehrlichsten Gebete zu Gott dabei, das ich jemals in meinem Christenleben gesprochen habe. Ich habe den hohen Herrn nicht geschont und ihm meine Vorwürfe noch einmal ins Angesicht gedonnert. Dabei kam mir immer wieder das Gesicht Jesu in den Sinn. Ja, bei Jesus fühle ich mich gut, der kann aus eigener Erfahrung nachempfinden, was Leid und Zweifel sind. Auf Jesus kann ich nicht wütend sein.
Wenn in ihm die Liebe Gottes sichtbar ist, dann weiß ich, dass ich in den letzten Monaten zwei Illusionen aufgesessen bin: Die erste Illusion ist die, dass Gott mich nicht liebt. Doch in Jesus, dem Gekreuzigten, der mit dem Gethsemane-Zweifel (so lege ich das aus), hat Gott mir seine Liebe gegeben. Die zweite Illusion ist die, dass ich mit Gott ins Gericht gehen kann. Leider gibt es auf Leid keine wirklich befriedigende Antwort von Gott. Auch und erst recht nicht dann, wenn das Leid kein Ende nehmen will. Da nützt es nichts, wenn ich mich über Gott erhebe.
Jetzt bin ich also auf der Suche nach einer neuen geistlichen Heimat. Das ist der Rat, den mir mein Psychoonkologe gegeben hat. Christsein geht am besten in Gemeinschaft mit anderen Christen. Diese Lektion habe ich am Start meines Christenlebens noch bei Pastor Otto in der Versöhnungskirche gelernt. Aber da, wo ich vor zwei Jahren dabei war, da ist kein Zuhause mehr für mich. Daher muss ich suchen. Wo finde ich einen Platz für mich (und idealerweise für meine Angehörigen)?
Die Krähen schrei’n
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnei’n,
Weh dem, der keine Heimat hat!
(Friedrich Nietzsche)
Oder etwas heiterer:
It's a long way to Tipperary,
It's a long way to go,
It's a long way to Tipperary,
To the sweetest girl I know!
Goodbye Piccadilly! Farewell Leicester Square!
It's a long, long way to Tipperary,
But my heart's right there!
(Henry James Williams)
Es ist und bleibt ein langer Weg.
Sonntag, 26. August 2018
Zur Abwechslung schreibe ich nun wieder etwas zu dem Thema, das mich seit einiger Zeit beschäftigt: Mein Krebs und ich.
Krebs - (k)ein Thema für Small Talk
Vor einiger Zeit fand ich im Warteraum der Psychoonkologie eine lustige Postkarte, die sich "Krebs Bullshit Bingo"nennt. Ich nahm sie mit, weil ich auf ihr einige der Sätze entdeckte, die mir schon begegnet waren.
Auf der Karte stehen unter anderem diese Sätze:
"Man sieht es dir gar nicht an."
"Und wer macht jetzt deine Arbeit?"
"Ach, das haben ja heutzutage so viele."
"Denk an die Leute, die es noch schlechter haben."
Entworfen und getextet hat die Karte die Personaltrainerin Sabine Dinkel, selbst schwer an Krebs erkrankt und Autorin des Buches "Krebs ist, wenn man trotzdem lacht." Ein epochales Werk, leicht zu lesen - für Betroffene, Angehörige und Interessierte.
Daran musste ich denken, als ich neulich in einer lockeren Gesellschaft von drei Personen war, zwei Männer, eine Frau, und im Gespräch war. Das Gespräch war locker und kreiste um diverse Themen. Einer der beiden Männer stellte dann die ehrliche Frage "na, wie geht es dir denn eigentlich jetzt? Erzähl doch mal." Dem wollte ich mich nicht entziehen. Also berichtete ich von Erhaltungstherapie mit Antikörper und Chemo, von Remission und Rezidiv, von den Kämpfen mit den Begleiterscheinungen usw.
"Arbeitest du denn jetzt?" wollte er noch wissen. Ich fing an zu erzählen, wie ich Krankheit und Therapie einerseits und Arbeit unter einen Hut bringe.
Da wurde ich von der Frau unterbrochen: "Aber wenn du Chemo hast, warum hast du dann noch Haare? Meine Mutter hat auch Krebs, die hatte Chemo und hat jetzt keine Haare mehr." Der Frager vom Anfang stellte für mich klar: "Aber Stefan hatte vor einem Jahr keine Haare mehr, die sind wieder nachgewachsen."
Darauf fuhr ich mit der Schilderung fort und beendete das Thema für mich.
Sodann sagte mir die Frau, die mir bis dato völlig unbekannt war: "Meine Mutter hat auch Krebs, die hatte Chemo, wurde operiert, wird jetzt bestrahlt und liegt seit Monaten im Krankenhaus."
Mein Gedanke war: Was soll ich jetzt dazu sagen? Traurig für die Frau mit Familie, noch trauriger für ihre Mutter - aber was hilft mir das? Hier ging es zunächst um meine Geschichte und sorry, ich bin derzeit in einer Phase, da brauche ich etwas Zuspruch.
Der bis dahin stumme zweite Mann intervenierte: "Ich habe einen Nachbarn, der auch Krebs hat. Der kam jetzt aus dem Krankenhaus nach Hause und muss immer so einen Flüssigkeitsbehälter auf dem Rücken mit sich schleppen." Auch das noch. Wie erbaulich, genau jetzt mein Thema.
Die Frau erwiderte: "Und meine Mutter hat..."
Bullshit Bingo: Vier Treffer. Mir wurde es zu viel. Definitiv zu viel. Aber das Gespräch jetzt abbrechen? Was sollen dann die Leute denken? Verletze ich nicht ihre Gefühle?
Mir kam eine gute Freundin, ebenfalls chronisch krank, ins Gedächtnis, die schrieb in ihrem Blog "Was kann ich für die Gefühle anderer Menschen, wenn es um MEINE Krankheit geht?"
Also erhob ich meine Stimme und sagte: "Also ich beende hiermit das Thema Krebs. Ich habe keine Lust mehr, darüber zu sprechen. Tut mir leid für Eure Angehörigen und Nachbarn, aber ICH kann nicht mehr."
Rrrrums! Das Thema war durch.
Krebs taugt nicht für Gespräche wie "ich kenne dazu auch noch eine Story." Small Talk in lockerer Runde und ein Gespräch über ein so ernstes Thema vertragen sich nicht. Jedenfalls nicht bei mir.
Darf man denn gar nicht darüber sprechen?
Oh doch, man darf. Ich lasse es auch zu. Wer selbst Krebs hat oder hatte, wer Angehörige mit dieser Krankheit hat und das Thema ruhig anspricht, ja, da ergibt sich guter Austausch. Was empfindest du? Was hat dir am meisten geholfen? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man sozusagen unter Gleichen auf Augenhöhe miteinander ins Gespräch kommt und für die Story jedes Menschen Platz ist. Dass man es aber auch respektiert, wenn jemand nicht darüber sprechen mag.
Und die anderen? Sabine Dinkel empfiehlt anderen Menschen eine freundliche und aufbauende Kommunikation mit Krebserkrankten. Wenn das nicht geht, dann schweigt man eben dazu. Ins Thema aber zu kommen mit "mein Bekannter X hatte auch und ist jetzt tot",, "meine Bekannte Y hatte auch und lebt noch" ist wenig hilfreich. Dahinter verstecken sich Schicksale, die aber nicht unbedingt demjenigen, dem sie erzählt werden, aufbauen. Sagt also einfach etwas Nettes, Freundliches, Aufbauendes.... Das geht.
Liebe Leute, mir geht es derzeit gesundheitlich nicht besonders gut. Ja, ich kann durchaus etwas Aufbauendes vertragen.
Alles Liebe, Alsterstewart
Freitag, 17. August 2018
Ausnahmsweise verfasse ich hier heute keine neuen
Krebsnachrichten, sondern ein paar Gedanken zu dies und das. Es ist eine
Ausnahme, das schreibe ich lieber am Anfang des Blogposts, damit sich der
geneigte Leser nicht wundert und die Zeit nicht versxchwendet.
Zudem schreibe ich ja auch ein wenig für mich. Die beiden
Texte lagen mir auf der Seele. Zudem sind sie eher etwas für Insider mit
speziellen Interessen: Kirche und Fantasy.
Kirche
In den letzten Monaten erreichten uns Meldungen aus Chicago,
dass ein bekannter christlicher Leiter namens Bill Hybels aus der bekannten Willow
Creek Community Church in den Sumpf von sexuellem Missbrauch gekommen ist.
Offensichtlich hat die in Amerika sehr rührige #metoo-Bewegung auch im
christlichen Milieu Wellen geschlagen. Unziemliche Berührungen, unpassende
Bemerkungen, zu lange Küsse und dergleichen werden ihm vorgeworfen. In den
letzten Tagen kam eine frühere Mitarbeiterin von ihm mit noch schärferen
Vorwürfen.
Ich kann und mag diese Vorwürfe nicht bewerten, aber die
Reaktion darauf.
Als ich auf die ersten Vorwürfe hin die Stellungnahme der
Willow-Creek-Ältesten gelesen hatte, dachte ich „mal sehen, wie lange sie das
durchhalten“. In diesem schneidigen Statement war sinngemäß zu lesen „alle
Vorwürfe sind erstunken und erlogen, wir stehen zu unserem Bill“.
Vor etwa zwei Jahren habe ich Bill Hybels selbst als Redner
kennengelernt. Er machte auf mich den demütigen, freundlichen und wie man sagt
„hingegebenen“ Eindruck eines gestandenen christlichen Pastors. Das ist sein
Leitungs-Charisma. Es ist schwer, sich diesen Menschen als unfreundliches Monstrum
vorzustellen. Daher hatte ich und habe ich Verständnis dafür, dass seine
Ältesten ihr Vertrauen zum Ausdruck brachten.
Nun aber bröckelt die Fassade Hybels weiter und viel
Unschönes kommt in Willow Creek auf den Tisch. Das gerade erst eingesetzte
Leitungspaar ist zurückgetreten, mittlerweile auch die gesamte Ältestenschaft
dieser Gemeinde.
Als ehemaliger Ältester einer Gemeinde habe ich mich
gefragt, wie ich mich verhalten hätte, wenn einer meiner Pastoren in
ebensolcher Weise angeschuldigt worden wäre wie Hybels. Hätte ich bedingungslos
zu ihm gestanden nach dem Motto „alles erstunken und erlogen“ – oder wäre ich
weiser vorgegangen? Das Dumme daran ist, dass diese Frage unbeantwortet bleiben
muss.
Es ist schwer, nicht mit den Wölfen zu heulen, zu deren
Rudel man gehört. Daher bin ich froh, dass ich nicht mehr in dieser
Verantwortung stehe.
Etwas anderes macht dieser Fall aber deutlich, ganz gleich,
ob an den Vorwürfen etwas dran ist oder nicht. Die christliche Gemeinschaft,
namentlich deren freikirchlicher Teil, lebt auch in der Bewunderung ihrer
Stars. Die Stars heißen „Leiter“ oder „Pastoren“. Diese wiederum leben von der
Bewunderung durch das christliche Fußvolk. Sie haben Macht erhalten, Macht
bekommen und leben in ihrer Machtfülle. Diese Macht kann jeden Leiter und jeden
Pastor korrumpieren. Schon wenn er auf die Kanzel steigt und seine Predigt hält
übt er Macht aus, kann sich geschmeichelt fühlen vom Applaus der hörenden
Gemeinde. Etwas Narzissmus ist immer dabei. Immer. Aus der Macht entsteht
Machtbewusstsein und Machtbewusstsein kann zu Grenzüberschreitungen führen. Die
verliehene Macht wird missbraucht, um der Eitelkeit Zucker zu geben. Das kann
sich in Missbrauch niederschlagen, in Manipulationen oder Suggestionen.
Christen – passt auf Eure Leiter auf!
Fantasy
Ich habe mich im Urlaub in Sachen Fantasy weitergebildet,
mehr war bei 35 Grad im Schatten nicht drin. Das Ergebnis war ein
Serien-Marathon „Game of Thrones“, den mir Sky für nicht einmal 5 Euro anbot.
Ich darf jetzt nur die Kündigungsfrist nicht verpassen.
Wie immer stellen sich mir ein paar Fragen:
Der Nachtkönig entpuppt sich als die größte Gefahr für
Westeros. Aber was treibt ihn eigentlich an? Warum überschwemmt er mit seiner
Armee den Kontinent?
Zudem setzt er – wie nahezu alle Fantasy-Schurken – bei der
Kampfkraft seiner Truppen auf Masse statt auf Klasse. Als Elitetruppe hat er
die Weißen Wanderer, die über leidige Intelligenz verfügen, das Tagesgeschäft
des Herummordens und Tötens überlässt seinen Fußtruppen aus lauter längst
verstorbenen Wiedergängern. Die Wiedergänger sind nicht gerade mit Intelligenz
beglückt und ihr Kampfwert ist mäßig. Die schiere Masse macht´s.
Gelingt es, einen Weißen Wanderer auszuschalten, sind dann
die von diesem persönlich wiederbelebten Untoten ebenfalls futsch. Wie dumm für
Herrn Nachtkönig.
Ohne die finale Staffel zu kennen wage ich die Prognose: Der
Nachtkönig in „Game of Thrones“ wird ein ebensolches Ende nehmen wie sein
Amtskollege Sauron in „Herrn der Ringe“. Mit ihm wird dann die ganze dunkle
Bedrohung ihr Ende finden.
Ehrlich gesagt frage ich mich, warum der durchaus spannende
Plot von „Game of Thrones“ dieses Szenario benötigt. Die Verwicklungen und
Machtkämpfe in Westeros und Umzu reichen doch für die Spannung. Am Ende müsste
nicht einmal ein Happy End stehen, ich könnte auch damit leben, wenn die
zusehends psychopathische böse Königin Cersei die Macht behielte und der
strahlende Held Jon Schnee in Gras bisse.
Kommt man ohne die Weißen Wanderer nicht aus, dann ließe ich
sie so nach und nach in Westeros einsickern. In bestimmten Szenen hüpften sie
dann aus dem Versteck wie ein Kastenteufel und hätten ausreichend Gelegenheit,
ihr diabolisches Geschäft zu erledigen. Das wäre übrigens auch gruseliger.
Einige Plots sind mir als gut gemachte Interpretation des
realen Zeitgeschehens aufgefallen: Die „Unbefleckten“ bewegen sich durch das
aufständige Meereen wie US Marines durch arabische Stadtlabyrinthe. Zeitweise
habe ich dabei an „Black Hawk Down“ denken müssen. Die „Söhne der Harpyie“ als
aufständische Meereener sind durchaus mit Taliban vergleichbar.
Interessant inszeniert ist die Religionskritik. Generell
kommt Religion in „Game of Thrones“ nicht gut weg. Religiöse Fanatiker wie die
„Spatzen“ oder die „Roten Priester“ bringen Reiche oder wenigstens
aussichtsreiche Thronkandidaten um Macht und Leben. Der „Feuergott“ fordert
Rechtschaffenheit und jede Menge (nutzloser) Verbrennungsopfer. Der Bußgang vor
den „Spatzen“ gerät zum Fest niederer menschlicher Instinkte. Die religiösen
Führer sind entweder korrupt, glauben nicht an das, was sie predigen oder sie
bestehen darauf, immer recht zu haben und führen ein „das sagen die Götter“ als
Totschlagfloskel auf den Lippen, um schwierigen Fragen aus dem Weg zu gehen.
Kurios ist die Taufe auf den Eiseninseln, bei der zur Ehren
des dort verehrten „Ertrunkenen Gottes“ die Täuflinge so lange durch einen
Priester unter Wasser gehalten werden, bis der Täufling ertrunken ist. Dann
erst wird der Täufling aus dem Wasser geholt. Kommt er dann ins Leben zurück, ist er ein
Eisenmann.
Ein paar schöne Schnacks aus „Game of Thrones“:
„Was tot ist kann niemals sterben.“
„ Ein Lennister bezahlt seine Schuld.“
„Der Norden vergisst nie.“
„Der Winter ist nah.“
„Halte das Tor!“ – „Hodor.“
„Was tot ist kann niemals sterben.“
„ Ein Lennister bezahlt seine Schuld.“
„Der Norden vergisst nie.“
„Der Winter ist nah.“
„Halte das Tor!“ – „Hodor.“
So weit, so gut, Das nächste Mal geht es wieder um
essentielle Lebensfragen. ;-)
Sonntag, 5. August 2018
Lange gewartet, mehr als zwei Monate habe ich nichts geschrieben. Ein lieber Freund meinte, dass man daran merkt, dass alles in Ordnung ist.
Ist alles in Ordnung?
In den letzten Monaten habe ich viel nachgedacht. Komischerweise kommen mir immer die besten Ideen, wenn ich frisch aus der Chemo komme. Dann laufen die Gedanken gut und geschmiert, alles scheint klar, selbst die Gedanken sind klar, die eher dunkel sind. Wenn dann aber die Entspannung kommt oder der Alltag zuschlägt, dann fliegen die Gedanken davon. Sie entziehen sich der Fixierung in ein schriftliches Gefängnis. Die besonders originellen Gedanken bestehen darauf, dass sie fliegen wollen. So erhebt sich mancher Gedanke wie ein Luftballon, zerrt an meinem Kopf und löst sich allmählich. Mir bleibt dann nur noch, dem Gedanken hinterherzuschauen, wie er höher und höher in den blauen Himmel steigt und schließlich nicht mehr zu sehen ist. Fort ist die originelle Idee. Fort die Lösung für viele Probleme. Fort die wegweisende Richtungsentscheidung. Fort. Futschikado.
Dann bleiben nur die Alltagsgedanken: Was esse ich? Was muss ich besorgen? Welche E-Mail möchte ich in der Firma als nächstes schicken?
Toll.
Das Gesundheitliche seit Mai: Die Schmerzen in der Schulter wurden mittlerweile analysiert. Ich wurde durchs CT geschoben, wo meine Knochen abermals fotografiert wurden. Zwei Wochen später konnte meine Onkologin mir eine Reise durch meinen Körper spendieren und landete dabei in meiner linken Schulter. Nein, das ist keine Osteolyse (krebsbedingter Knochenschwund), sondern vermutlich eine beginnende Arthrose, also Kalkablagerungen infolge der Knochenreparatur der letzten Monate. Arthrose ist nicht schön, aber immer noch besser als eine Osteolyse.
Was mich jetzt beunruhigt sind vom Hals ausgehende rechtsseitige Schmerzen, die in den Kopf ausstrahlen. Darunter leide ich nun seit ungefähr 10 Tagen. Zudem huste ich wieder. Was mag das schon wieder für eine Teufelei sein? Nebenwirkung? Infekt? WTF?
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Im Gespräch mit meinem Psychoonkologen meinte ich, dass ich immer gelesen habe, dass Krebspatienten nach überstandenen Therapien davon berichten, nun hätten sie endlich den richtigen Durchblick, würden alles intensiver wahrnehmen, bewusster leben.... Mir aber würde das komplett fehlen. Er antwortete darauf: "Nun, diese Menschen haben oft eine Krebsart, die lokal begrenzt ist oder bei der auch die Tochtertumoren beseitigt werden konnten. Bestrahlung, Chemo, OP oder ähnliches. Bei Ihnen, Herr Wartisch, ist die Krankheit im ganzen System. Und ich kann sagen, dass diese Euphorisierungszustände nicht lange anhalten, jeder wird mit dem Alltag und dem Alltag mit der Krankheit konfrontiert werden." So in etwa.
Nach dem Gespräch habe ich nachgedacht, was sich bei mir geändert haben mag, und zwar zum Besseren. Ist das was?
Also habe ich festgestellt, dass ich etwas gelassener mit den Problemen des Alltags und des Lebens umgehen kann. Schlechte Nachrichten aus der Familie (ja, die gibt es): Ich kann relativ ruhig bleiben. Leider erforderliche große Ausgaben, was mich früher zur Raserei und zu schwersten Sorgen geführt hat: Dann ist das eben so. Was wird morgen mit unseren Finanzen? Das wird schon gehen. Die großen Krisen der Welt? Interessieren mich weniger.
Kurz und gut: Ich bin etwas gelassener geworden. Aus welchem Grund sollte ich schließlich die Zeit, die mir zum Leben gegeben ist, mit Sorgen und Grämen verbringen? Das Leben kann morgen schon vorbei sein, da will ich doch genießen, was Gott mir gibt.
Ein Zitat aus den "Peanuts" bringt das auf dem Punkt. Ich fand es in den absolut lesenswerten Buch "Krebs ist, wenn man trotzdem lacht" der (krebskranken) Autorin Sabine Dinkel:
Charlie Brown: „Eines Tages werden wir alle sterben, Snoopy.“ -Snoopy: „Ja, stimmt, aber alle anderen Tagen werden wir leben.“
Natürlich hat meine Gelassenheit Grenzen. Geht es um die Krankheit oder um undefinierbare Schmerzen, so wie jetzt, dann bin ich nicht ganz so gelassen, wie ich möchte. Aber es ist ein Prozess.
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Als Christ brauche ich eine geistliche Heimat.
Dabei gestehe ich, dass mein Glaube in den letzten eineinhalb Jahren etwas gelitten hat. In den letzten Monaten stellte ich zu meinem Erstaunen fest, dass ich mit den Weisheiten, die aus der christlichen Welt auf mich einprasseln, nicht mehr viel anfangen kann. Irgendwie habe ich das alles schon einmal gehört. Irgendwie ertrage ich die abgedroschenen Bilder nicht mehr. Irgendwie sagen mir die Themen nicht mehr viel. Wenn dann noch - ich spreche mit freikirchlichem Hintergrund - die Aktivierungspredigten kommen, die belehrenden Predigten kommen, die "gib jetzt alles für Jesus"-Predigten kommen, die Predigten, die Alltagsmythen als Illustration benötigen, dann höre ich weg.
Der Glaube wird irrelevant. Gott wird irrelevant. Andere Religionen und Philosophien haben auch passende Antworten, Antworten vielleicht, die besser auf meine Lebenssituation passen.
Finis?
Nein.
Das Besondere an der christlichen Gemeinschaft ist ja, dass man Menschen kennenlernt, mit denen eine tiefere Beziehung möglich ist. So ist es auch bei mir: Ein lieber christlicher Freund war so frei, mich noch einmal auf die tröstende Kraft des Glaubens hinzuweisen. Kein Glaube an ein System, kein Glaube an Predigten und deren Relevanz, nicht einmal ein Glaube an die Bibel und die Kirche. Die tröstende Kraft des Glaubens kommt aus dem Blick auf den in Christus leidenden Gott selbst. Jesus, leidend und gekreuzigt, auferstanden und verherrlicht - das ist das Zentrum des Glaubens. Der Rest ist sozusagen Zugabe.
Mit diesem Trost wurde mir die Kraft des Glaubens wieder offenbar.
Alles Gute, Alsterstewart
Samstag, 19. Mai 2018
Naheliegende Frage: Wie ist es eigentlich weitergegangen mit den Schmerzen?
Ich kann nicht sagen, dass sie mich nicht mehr nerven. Wenn es in der linken Schulter schmerzt, dann denke ich zuerst: Ach, das ist nur eine Verspannung. Aber das Unterbewusste lehnt sich dagegen auf und sagt: "Aber nein, mein Guter. Das hast du schon einmal gedacht. Das ist der Krebs."
Gottseidank kann ich die Gedanken zurzeit gut wegschieben. Das ist wie eine ungenießbare Mahlzeit, die man mir vorsetzt. Ich muss und will sie nicht essen. Vom Ansehen wird mir schon schlecht.
Gestern war ich also wieder im üblichen Zweiwochenrhythmus im UKE zur Infusion. Kaum hatte ich auf dem Infusionsstuhl Platz genommen, meldete sich die bis dahin stumme Schulterpartie. "Hallo, da bin ich wieder." Prima. Dann rebellierte alles in mir: Der Puls ging nach oben und mit ihm der Blutdruck. Auch der Blutdruck meldete sich mit "Huhu, da bin ich wieder auf 145 zur Irgendwas. Zeit für die Blutdrucksenker." Die freundliche Assistentin, die mich im UKE betreut, wiegte ihr Haupt bedenkenschwer und meinte: "Haben Sie immer solche Blutdruckprobleme?" Ich versetzte: "Nein, nur letztes Frühjahr mit viel Cortison und jetzt, weil ich wegen der Schmerzen so aufgeregt bin." Also suchte ich mich zu beruhigen und bemühte alle Entspannungstricks. die ich während der Reha beigebracht bekommen hatte.
Also: Entspanne Dich! Jetzt! Sofort! Du willst doch nicht, dass der Blutdruck auf 180 steigt! Ausrufezeichen! Imperativ!
Keine Entspannung möglich. Dazu lauter Krebspatienten um mich herum. Dabei blickte ich auf ein Foto an der Wand, das ein Stelzenhaus am Strand von Ording zeigte. Da wurde mir zudem noch wehmütig.
Dann kam endlich der Termin bei der Ärztin dran. Es war endlich wieder die freundliche junge Assistenzärztin, die ich schmerzlich vermisst hatte. Kaum eine andere in der Ambulanz ist so empathisch wie diese. Sie ist vor kurzem Mutter geworden und deshalb für ein paar Monate "ausgefallen".
Ihr konnte ich meine Beschwerden noch einmal schildern. Sie hörte aufmerksam zu und meinte dann: "Herr Wartisch, ihre Werte sind hervorragend. Alles im Normalbereich. Die Schmerzen lassen sich dadurch nicht erklären. Es gibt zwar keine 100%igen Garantien, die wir Ärzte ihnen geben können - aber: Ein Rückfall der Krankheit erfolgt in aller Regel auf genau demselben Weg wie das erste Auftreten der Krankheit."
Achso, dachte ich, also fing es 2016 mit Schulterschmerzen an und das bedeutet, dass es mit Schulterschmerzen wieder anfängt? Nein!
Sie fuhr fort: "Ihr Myelom war in den Blutwerten seinerzeit sehr gut zu erkennen. Wenn es wieder auftritt, müssten wir es in denselben Werten heute wiederfinden. Aber da ist nichts zu sehen." Puuh. Und weiter: "Wir wissen nicht oder noch nicht, was Ihnen Beschwerden bereitet. Es kann auch sein, dass wir nichts finden. Es gibt Patienten in ihrer Situation mit Schmerzen, für kein Arzt eine Diagnose stellen kann. Solche Menschen verlieren dann oft das Vertrauen in die Ärzte. Aber noch einmal: Schmerzen können auch andere Ursachen haben als Krebs."
Trotz des Mittelteils ihrer Ausführungen war ich leidlich beruhigt. Lieber habe ich undefinierbare Schmerzen als einen Rückfall in die Krankheit.
In zwei Wochen komme ich ins CT, dann sehen wir weiter.
Einige Zeit, nachdem ich das UKE verlassen hatte, normalisierten sich bei mir auch wieder Puls und Blutdruck. Aufregung, psychischer Stress also.
Was lerne ich aus diesen Ereignissen?
Meine krebsgetriebenen Ängste sind wie ein Vulkan. Nach den Eruptionen des letzten Jahres hat sich eine Schicht von erkalteter Lava firnishaft über dem Vulkankrater gebildet. Blickt man von oben in den Krater hinein, dann sieht man nicht viel. "Der ist erloschen" könnte man denken. Aber unterhalb dieser kalten Schicht, dann blubbert und gurgelt es, da will heißes Gestein an die Oberfläche. Wenn die Angst zuschlägt, dann kommt es an den Rändern des Vulkans zu kleineren Ausbrüchen. Wenn aber, wie vor zwei Wochen, der Druck im Inneren zu stark wird, dann bricht der Vulkan der Ängste aus, schiebt die kalte Schicht beiseite oder besser schmilzt diese Schicht durch und - je nach Stärke des Drucks - fließt in heißen Strömen aus dem Krater heraus nach unten, explodiert in einer gewaltigen Detonation nach oben oder bildet einen pyroklastischen Sturm, der alles hinwegfegt, was sich ihm entgegenstellt.
Vor zwei Wochen floss die Angst als Lava aus dem Vulkan meiner Ängste.
Wo eigentlich ist Gott in diesem Szenario? Gegenwärtig und verborgen zugleich. "Schau auf Jesus, der kennt dich." war ein Ratschlag, den man mir vor ein paar Wochen bei "Christen im Gesundheitswesen" mitgegeben hat. Das war ganz gut, da ich ehrlich gesagt einen gewissen Groll gegen Gott in meinem Herzen habe.
Aus der Versenkung meiner bisher schlimmsten Erfahrungen ist der Marionettenspielergott wieder aufgetaucht: Der hält die Menschen an den Fäden wie ein Marionettenspieler und verfährt mit ihnen nach Belieben. Mal geht es linksrum, mal geht rechtsrum, mal lässt er einige Fäden fallen, mal nimmt er einige wieder auf. Willkürlich. Undurchschaubar. Unmenschlich. Und wir Menschen zappen an seinen Fäden, ihm ausgeliefert. Unser Wille spielt keine Rolle.
Doch es ist tatsächlich allein Jesus, der mir die Gegenwart Gottes in Leid, Schmerz und Angst versichert - eben weil er zugleich Mensch und Gott ist. Jesus sagt von sich, dass er die Wahrheit ist. Die Wahrheit ist also: Gott ist kein Marionettenspieler.
Ich gehe durch ein Schicksal, das ich mir nicht ausgesucht habe, sondern das mir zugemutet wird. Dort, wo es in meiner Seele am dunkelsten ist, da soll das Licht Jesu am hellsten strahlen.
Alles Gute, Alsterstewart
Mittwoch, 9. Mai 2018
EIN ARSCHLOCH
(kein fröhlicher Text)
Habe ich jemals erwähnt, dass Krebs ein Arschloch ist?
Nein?
Dann hole ich es jetzt nach. Ansonsten übe ich mich in Redundanz.
In den letzten Monaten ist mit der Krankheit eigentlich nicht mehr viel passiert. Es hat sich eine gewisse Routine eingeschlichen. Alle 14 Tage gehe ich ins UKE, hole mir meinen Antikörper und Rezepte ab, das dauert dann meisten so knapp 3 Stunden, dann trolle ich mich nach Hause und habe ein Wochenende lang mit Schlappheit zu kämpfen. Zwischendurch gibt es einen Überblick über die Blutwerte, die den Stand meiner Behandlung anzeigen. Und die Blutwerte sind, wie schön, immer hervorragend. Wenn da noch der Krebs sitzt, dann MUSS er sich in den Blutwerten zeigen.
Die tolle Aussicht besteht darin, dass sich die Frequenz der UKE-Besuche ab Mai auf alle 28 Tage erhöht, bis dann die Sache irgendwann Ende 2019 beendet sein wird. Ich nenne das immer "ich fahre einen Tag an die Ostsee", weil in den Räumen der Onkologischen Ambulanz Strandbilder aus Zingst hängen.
Also alles soweit im Griff.
Wenn da nicht.... Ja, wenn da nicht die dummen Erkältungssymptome wären. Denn seit Dezember kämpfe ich in schöner Regelmäßigkeit mit Infekten der schönsten Art. Im Februar schlug dann das Fieber zu: Binnen kurzem war ich auf 39 Grad. Dazu widerlicher Husten. Nach einer Woche sank das Fieber. Schon im April schaute es wieder bei mir vorbei und ich war wieder bei 39 Grad eine knappe Woche lang. Den Husten von da habe ich heute noch.
Prima oder?
Was ist eigentlich das Lebensbedrohliche am Multiplem Myelom? Unter anderem die Infektanfälligkeit des Betroffenen. Man stirbt nicht unbedingt am Krebs, man stirbt an der Lungenentzündung, an einem Versagen der Körperabwehr auf Infekte, die durch ihn hervorgerufen wird.
An dieser Stelle zitiere ich meine Onkologin, die die Blutwerte analysierte und mir neulich sagte: Die Blutwerte sind OK, aber die Infekte sind bedenklich. Immerhin sagte sie nicht "kritisch", sondern "bedenklich". Aber das Wort hallte in meinen Ohren bis heute nach. "Bedenklich". Die Medikamente, die ich bekomme, sollen doch mein Immunsystem aufbauen und stärken, statt dessen ziehe ich nun einen Infekt nach dem anderen. Ich darf an dieser Stelle erwähnen, dass ich zu der Zeit, als bei mir das MM diagnostiziert worden ist, nicht annähernd so viele Infekte aufeinander folgend hatte wie jetzt.
Das ist jetzt nicht gerade entspannend, sondern eher beunruhigend.
Aber wie gesagt: Im Blut ist keine Spur des MM erkennbar, nicht ein Hauch. Kein entartetes Proteinchen, keine Anomalie bei den Leukozyten, mit den Thrombozyten ist auch alles klar.
Rätselhaft.
Und dann....
Er begann mit einem leichten Ziehen auf meiner linken Seite und wanderte diese dann hoch, blieb an der linken Schulter und verharrte dort bis heute. Was? Na, der Schmerz. Seit Donnerstag habe ich ihn wieder. Die ganze Schulter schmerzt ohne dass ich sie bewege. Es fühlt sich gerade so an wie in der schrecklichen Zeit Dezember 2016 und Januar 2017. "Lassen sie das doch mal im CT abklären" riet mir meine Onkologin. "Und meine Werte?" fragte ich. "Die sind sehr gut, der Therapieverlauf ist exzellent, danach ist die Krankheit in Remission" meinte sie. Also lief ich zur UKE-Radiologie. "Gerne machen wir ein CT, der Termin ist dann am 1.6." beschied mir eine freundliche Mitarbeiterin. "Wie, nicht eher?" erwiderte ich in aufsteigender Panik. "Nein, keine Chance."
Soll ich also bis zum 1.6. warten? Das Dumme an Krebs ist ja, dass der Betroffene immer SOFORT etwas machen möchte. Jedenfalls geht mir das so. Das stimmt für viele Krebsarten auch, bei meinem Krebs in meinem Überwachungsstadium ist das anders, das weiß mein Verstand. Meine Seele weiß das nicht, die ist nun mit allerhand Panik angetriggert.
So schlage ich mich Sonnabend, Sonntag, Montag, Dienstag mit immer wieder neuen Panikattacken herum. Der Schmerz wird nicht weniger, sondern heftiger. Nachts flüstert es in meine Gedanken: "Das war´s. Eineinhalb Jahre gekämpft, Resultat: Nada, niente, nothing, rien. NIX."
"Ja aber... was ist mit den Werten? Die sind doch gut. Das kann doch alles mögliche sein." sage ich diesen Gedanken. Doch: Hatte ich schon erwähnt, dass Krebs ein Arschloch ist, das kein Spielregeln respektiert? "Ja" , sagt er, "die Werte sind super. Aber ich fliege mit meiner Zerstörungskraft unterhalb des Onkologen-Radars. Ich habe einfach die verräterische Eiweißproduktion eingestellt und haue Dich jetzt so lange mit Infekten und Knochenschmerzen, bis Du aufgibst." Was soll ich erwidern? Der allerschlimmste Alptraum wird angetriggert, alles steht in Frage. Und weil Krebs ein Arschloch ist, sagt er auch: "Mir sind Eure Spielregeln egal, die Werte sind fehlerhaft. Dein letztes Jahr war für mich spaßig, ich spendiere mir auf Deine Kosten ein weiteres Jahr."
Das ist in jeder Hinsicht zermürbend.
Als ich heute Vormittag ganz unten war, diverse Panikattacken durchlitten hatte (und ich schreibe lieber nicht, was für verheerende Folgen dies für meine Familie hat), konnte ich endlich wieder einen klaren Gedanken fassen.
Mein Psychoonkologe riet mir vor Monaten, dass ich ein "freundlicher, aber unbequemer Patient" werden soll. Das heißt also, dass ich im Zweifel meinen Ärzten auf die Nerven gehen soll mit Fragen und Bitten. "Das erhöht", so der Psychologe, "nachweislich ihre Überlebenschancen".
Also schrieb ich meine Onkologin per E-Mail an und fragte nach, wie es nun weitergeht, ob Eile geboten ist, ob der Krebs aktiv ist, wie es mit den Infekten ist, was die Schmerzen zu bedeuten haben und was ich tun kann. Die vielbeschäftigte Frau.... antwortete sofort, was mich erstaunte. Sie antwortete (sinngemäß), dass besondere Eile nicht geboten sei, dass für die Schmerzen durchaus andere Ursachen in Frage kommen als der Krebs, dass die Infekte bedenklich sind, man sich da aber aber Gedanken machen muss und - vor allem - dass die Therapie bislang tatsächlich exzellent verlaufen sei. Alles weitere können wir dann nächste Woche im regulären Termin klären.
EXZELLENT. EXZELLENT VERLAUFEN. An diesem Begriff hänge ich mich nun erstmal auf, wenn das Arschloch wieder mit Schmerz und Zermürbung um die Ecke kommt und in meine Seele flüstert.
Ist die Kuh damit vom Eis? Nein, aber vorerst auf ein Normalmaß gestutzt.
Wenn die Ergebnisse da sind, dann bin ich entweder beruhigt oder habe dann Gelegenheit, mir Sorgen zu machen. Aber eben erst dann.
"Wenn du ein Problem hast, dann löse es. Wenn du es nicht lösen kannst, dann mache es nicht zu deinem Problem." - östliche Weisheit
Sonntag, 18. März 2018
Nacht zum Sonntag, 18. März 2018
Vorgestern am Freitag war wieder Infusionstag. Das ist der Tag, an dem ich mir den neuen Antikörper abhole. Die Bekämpfung des Krebs mit einem im Labor hergestellten Antikörper ist ein relativ neuer Schrei in der Krebstherapie. Der Antikörper bewirkt zweierlei: Zum einen blockiert er die Signalwege der Tumorzellen, zum anderen aktiviert er die körpereigene Immunabwehr, die üblicherweise degenerierte Zellen zerstört. Einen speziell für meinen Krebs hergestellten Antikörper hole ich mir in die Phase alle 14 Tage im UKE ab und darf ihn mit nach Hause nehmen. Bald wechselt das auf einen 28 Tage-Rhythmus.
Kein Grund zur Panik - oder doch?
Als ich auf dem Weg ins UKE war dachte ich mir, dass der Krebs eigentlich seinen bedrohlichen Schrecken verloren hat. Was wird wohl passieren, wenn ich irgendwann im Spätherbst des nächsten Jahres mit der Therapie am Ende bin? Dann folgt sicherlich die Nachsorge mit regelmäßigen Kontrolluntersuchungen. Aber sonst….? Kein Grund zur Panik.
Dann sitze ich auf dem Infusionsstuhl. Ich nenne das immer „Ausflug an die Ostsee“. Warum? Weil die Bilder an den Wänden der Orthodpädischen Ambulanz Ostseemotive sind, Fotografien von Stränden, vermutlich von der Insel Usedom.
Ostsee…. Ich träume.
Aber dann weicht etwas vom gewohnten Ablauf ab. Mir wurde wie üblich Blut abgenommen, dann warte ich auf die Prämedikamention, die der Infusion vorangeht.
Warum kommt nicht gleich die Prämedikamention, die ich immer kurz nach der Blutabnahme erhalte? Eine viertel Stunde vergeht, dann eine halbe Stunde. Die Schwester, die mich betreut, erscheint. „Frau Dr. A möchte sie vorher noch sprechen.“ Warum will sie mich sprechen? Warum vorher? Der übliche Ablauf ist das nicht. Stimmt etwas nicht? Hat man etwas in meinem Blut entdeckt? Ist da etwas bei mir nicht normal?
Schweiß tritt mir aus, der Puls geht hoch, die Gedanken tanzen Pogo. Ich muss das Buch weglegen, das ich gerade lese. Langsam kriecht etwas in mir hoch, das ich „Schrecken“ nennen möchte. Dieser langsame Schrecken korrespondiert mit der sich rasend schnell ausbrechenden Panik. Mir geht es hundeelend. Natürlich versuche ich mich zusammenzureißen. Aber was nützt das?
Wann kommt Frau Dr. A?
Die Sekunden werden zu Minuten, die Minuten werden zu Stunden.
Es herrscht dabei viel Betrieb in der Ambulanz. Dauernd kommen und gehen Leute. Manchmal sehe ich Ärztinnen und Ärzte geschäftig durch den Gang laufen. Aber für mich kommt gerade niemand. Was ist bloß los mit mir?
Nach einer Ewigkeit erscheint Frau Dr. A. Endlich! „Haben wir etwas zu besprechen?“ fragt sie. Ah ja, so würde sie nicht fragen wenn tatsächlich etwas Ernstes zu besprechen wäre. Flugs beruhigt sich mein Inneres wieder, die Nebel des Schreckens lichten sich. Die Panik ist vorbei.
Wir gehen also ins Besprechungszimmer. „Alle Werte in Ordnung, Herr Wartisch. Wir können gleich mit der Prämedikamentation starten.“ Mein Puls beruhigt sich. Das Leben ist schön.
Sie sagt „Ich bin immer ganz zufrieden, wenn die Beschwerden meiner Patienten darin bestehen, dass sie Ärger mit ihrem Chef oder nervige Kinder haben. Ganz normaler Alltag also.“ Ja, solcherlei Beschwerden kann ich auch liefern.
Ich denke allerdings auch: Nur ein kleines Abweichen vom gewohnten Ablauf in der Behandlung, eine marginale Kleinigkeit - und schon kehrt der Schrecken des Krebses wieder. Überwunden ist er nicht, er ist immer noch latent in mir. Es braucht nicht viel, damit die Panik angetriggert wird.
Der Preis
Im Gespräch mit Frau Dr. A stellte sich heraus, dass wir tatsächlich etwas zu besprechen hatten. Nachdem das geklärt war sagte ich, dass ich erschrocken war über den hohen Preis, den mein zweites Krebsmedikament, das ich jeden Tag nehmen muss, kostet. Von einer 21-Tabletten-Packung Revlimid, so heißt der Stoff, kann ich schon ein Auto anzahlen.
Ehrlich gesagt: Auch wenn das Medikament mein Leben rettet, habe ich angesichts des Preises doch ein schlechtes Gewissen.
Das ließ Frau Dr. A nicht gelten. Sie meinte: „Es ist wissenschaftlich in vielen Studien erwiesen, dass Revlimid deutlich lebensverlängernd ist. Da fallen Entwicklungskosten an. Und Sie, Herr Wartisch, sind für die Krankheit noch jung. Sie zahlen Steuern, zahlen Krankenkasse und haben Aufgaben. Machen Sie sich bloß keine Gedanken um den Preis.“
Na klar hat sie recht.
Ich rechne zwar aus, was eine Tablette dieses Medikaments kostet. Aber wiegt das mein Leben auf? Was ist mir mein Leben wert? Ein Rechnungsposten in der Krankenkassenbilanz?
Was ist das, dass ich mir Gedanken um die Kosten, den materiellen Preis der Therapie mache?
Hier offenbart sich mir, dass ich immer noch in die falsche Richtung denke. Geld ist ein Hilfsmittel, kein Selbstzweck. Es ist unser Diener, nicht unser Herr. Was meine Therapie angeht hilft mir die Solidargemeinschaft der Versicherten, dass ich mir diese aufwändige und kostspielige Therapie leisten kann.
Noch etwas kommt mir in den Sinn: Ich bin dankbar. Dankbar dafür, dass ich in einem Land, in einer Stadt lebe, in dem eine so teure Therapie für meine Krankheit möglich ist.
Zeit also zum Umdenken.
Geduld mit mir
Diese kurzen Episoden an einem ganz normalen „Ostsee“-Freitag zeigen mir allerdings, wie unruhig meine Gedanken geworden sind. Immer wieder kreisen meine Gedanken, immer wieder plumpsen sie in den Brei oder steigen aus ihm empor, von dem ich im letzten Blogpost gesprochen habe.
Ich will das alles geordnet haben. Am besten sofort.
Geduld.
Aber aber aber aber….
Geduld!
Sofort, sofort
Geduld!!!
Ich kann Geduld auch üben. Dabei geht es nicht einmal darum, die Geduld zu einem bestimmten Zweck einzuüben. Geduld ist sich selbst Zweck genug, Im Üben der Geduld allerdings darf ich auf Gott vertrauen, ohne den alle Geduld, alle Hoffnung umsonst wäre.
„Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“ - Jesaja 40:31
Geduld lässt sich nur im Bewusstsein der permanenten Gegenwart Gottes üben. Sie kostet Kraft, keine Frage. Aber Gott selbst hält Sein Wort.
So will ich Geduld üben mit mir selbst und meinem Gedankenbrei. Geduld üben mit meiner Unzulänglichkeit. Geduld üben mit der in mir sitzenden Angst. Geduld üben mit meiner Umwelt.
Und geduldig zu sein, wenn ich dann doch ungeduldig werde.
Alles Liebe, Alsterstewart
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