Samstag, 25. Februar 2017


Tag 9/2

Ich habe seit einer Woche nichts mehr hier geschrieben, da wird es Zeit, noch einmal nachzulegen.

Wochenchronik: Letztes Wochenende hatte ich ja mit meinem rechten Fuß zu tun. Stechender Schmerz direkt an der Sehne, vermutlich durch ein Krebsmedikament ausgelöst. Ja, das hat sich gebessert – mein rechter Fuß und ich, wir arbeiten zusammen. Ich kann wieder auftreten, mit gut gepolsterten Schuhen auch wieder gehen, manchmal sogar normal abrollen.

Daher war ich am Montag und Dienstag gut obenauf, wie man sagt. Alles war super. Krebs? Ach was, erinnere mich dran, ich habe ihn schon fast vergessen.

Dann kam der Hammer.

Am Donnerstag bin ich zur Arbeit gefahren. Während ich meiner Arbeit nachging bemerkte ich, wie ich immer weiter gedanklich und körperlich wegsackte. Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwanschwindel machten sich breit. Dazu kamen Angstattacken und extremes Zittern. ES GING NICHTS MEHR. Etwas stach in mein Herz. Aber war? Sind das die MM-Schmerzen? Sind das womöglich Herzattacken?

Glücklicherweise habe ich in meiner Abteilung eine Kollegin, die als Ersthelferin ausgebildet ist. Die maß sofort meinen Blutdruck. Der war zu diesem Zeitpunkt durch die Decke gegangen und in nie zuvor bekannte Regionen gestiegen. An Weiterarbeiten war nicht mehr zu denken.  Und so verfrachtete sie mich in ein Taxi, das mich auf schnellstem Wege von Quickborn ins UKE fuhr. Mir ging es während der Fahrt hundeelend.

Notaufnahme UKE. Warten. Erste Untersuchung. Warten. Ersteinschätzung mit Blutentnahme, EKG usw. Dann zweite Untersuchung. Immer wieder Absprache zwischen Notaufnahme und Onkologie. Warten. Dann erste Tablette. Warten. Zweite Tablette. Warten. Dann durfte ich nach insgesamt viereinhalb Stunden mit erhöhten Blutdruck nach Hause.

Gestern dann Infusionstag. Der lief zuerst wie immer. Aber der Blutdruck stieg wieder bis auf Spitzenwerte. Zum Schluss erhielt ich ein Sofortmedikament gegen Bluthochdruck. Damit durfte ich dann nach Hause.

Jetzt nehme ich zusätzlich zu allen anderen Medikamente eben noch eines gegen Bluthochdruck. Ehrlich gesagt: Sch…. Was kann ich sonst noch machen, um den Blutdruck zu senken, der sich ohnehin erhöht, wenn ich Kortison nehmen muss? Wie halte ich meine Belastung in Grenzen?

Meine Ärztin meinte, der Anstieg des Blutdrucks auf diese Werte wäre sehr wahrscheinlich eine Folge des Stresses, dem ich ausgesetzt bin. Es geht also (auch) um Stressmanagement. Was regt mich auf? Was entspannt mich? Habe ich mir schon zu viel zugemutet? Oder unterlasse ich das, was mir guttut?

Heute nun war ich zuerst nicht zu gebrauchen. Ich merkte nach dem Aufstehen förmlich, wie der Druck stieg. Es ist immer so ein Kribbeln im Kopf, so ein Wegesacken der Welt vor meinen Augen, so ein Herzklopfen und -stechen, so eine Übelkeit und Rasen…. Jetzt habe ich das mir verschriebene Medikament gegen den Druck genommen, und „erfreue“ mich dessen Nebenwirkungen. Kopfweh, Benommenheit, Übelkeit gehören auch dazu. Und dann kommen eben doch Gedanken, die so dunkel sind, das sie hier keinen Platz haben.

Es ist also eine Woche, die nach Schwierigkeiten gut anfing, aber derzeit nicht so gut weitergelaufen ist.

Was mich hält

Klingt es zu fromm, wenn ich sage: Ich werde im Glauben gehalten? Mir egal, ob es zu fromm klingt, es ist so. Ab und zu muss ich mich daran erinnern, dass auch in den Tiefen meiner Wege Jesus immer dabei ist und mir beisteht. Es ist kein lauter Jesus, kein mit viel Bohei daherkommender Christus – sondern ein stiller, verständnisvoller und mit-leidender Gottessohn. Ja, er kennt mich.

Und es gibt Begebenheiten, die mich berühren. Eine gute Freundin, wir kennen uns seit mehr als 30 Jahren, war mit mir und einigen anderen Freunden vor eineinhalb Jahren in Prag. Dort bekam sie im Jüdischen Viertel mit, wie ich mich (aus Geiz) nicht dazu durchringen konnte, mir eine Golem-Figur zu kaufen. Der Golem steht sinnbildlich für die Jüdische Gemeinde in Prag und ist eng mit den Legenden um Rabbi Löw verbunden. https://de.wikipedia.org/wiki/Golem

Letzten Sonnabend traf ich mich mit guten Freunden auf einen gemütlichen Abend in Barmbek. Und mein Freund Joachim, der Mann besagter Freundin, brachte mir diese Figur mit: „Hier, der Golem ist für Dich von Claudia.“






Ich war und bin tief berührt. Dieses Geschenk steht sinnbildlich für die Menschen, die in dieser schwersten Zeit meines Lebens an mich denken, für mich beten und mit mir verbunden sind. Trotz des ganzen Mists, durch den ich – und mit mir meine Familie – nun hindurch muss,  sind wir, bin ich nicht vergessen. Manchmal braucht es nicht vieler Worte, sondern einfach eine kleine Geste, um das auszudrücken.

Danke.

Wer beten mag: Es geht vor allem jetzt um die Senkung des Blutdrucks auf vertretbare Werte.

Herzliche Grüße, Alsterstewart

Samstag, 18. Februar 2017


Tag 2/2

 Nur ein kurzer Text:

Der zweite Zyklus hat gestern angefangen. Und – o Wunder – ich habe die gestrige Infusion gut durchgestanden. Der Blutdruck blieb stabil auf akzeptablem Niveau, das war mir sehr wichtig. Und das Drumherum stimmte auch so weit. „Die Werte sind immer noch sehr gut“ sagte meine Ärztin. Was sie genau damit meinte, erschließt sich mir nicht. Leider wurde mir in den letzten Tagen sehr bewusst, dass MM eine ausgesprochen bedrohliche Krankheit ist, mir der nicht zu spaßen ist und die immer wieder durchkommen kann.

Aber was heißt das schon? Ich sehe einer Karriere als chronisch Kranker entgegen. Ehrlich: Damit muss ich mich wohl abfinden. Andere Menschen erkranken – auch in meinem Alter und darunter – ebenfalls an chronischen Krankheiten, die immer wieder auftauchen können und die ausgesprochen bedrohlich sind. Es muss nicht immer Krebs sein, es kann auch MS, Asthma, Zucker, Hepatitis, Herzerkrankungen, psychische Erkrankungen und sonstiger Mist sein.

Tröstet mich das? Nein. Aber ich weiß: Ich bin mit meinem Leiden nicht allein.

Abgesehen davon: Alles paletti, Stefan?

Nein.

Am Mittwoch bekam ich starke Schmerzen im rechten Fuß, leider im Fersenbereich. Seit dem Jahr 2000 laboriere ich an Fersenspornen links und rechts, die sich immer wieder in schmerzhaften Intervallen gezeigt haben, aber sich im Wesentlichen seit fünf Jahren weitgehend zurückgezogen hatten. Sie sind immer noch da, schmerzen aber kaum und selten. Doch nun, mitten in der Krebstherapie, taucht mit einem Mal dieser Schmerz auf, rechts, an der Ferse. Ich war geschockt, er zog sich auch nicht zurück. Alle Erinnerungen an den Sporn waren angetriggert. Jeder Schritt mit rechts eine Qual und ich weiß aus Erfahrung, dass die Vermeidungshaltung den linken Fuß belastet, sodass es nur eine Frage der Zeit ist, wann sich auch dort der Schmerz zeigt.

Meine Ärztin meinte gestern: „Sehnenentzündung im Fersenbereich. Das kann eine Nebenwirkung von Revlimid sein.“ Revlimid ist ein zentrales Medikament meiner Therapie. „Wenn es gar nicht mehr geht, dann müssen wir es wohl absetzen.“ Aber. Wie geht meine Therapie dann weiter? Es gibt andere Medikamente, aber dann wäre ich wohl raus aus der Studie.

Mist.



Ich gebe aber hier nicht auf. Nein. Ich mache weiter. Und ich beginne, den Entzündungshemmer Kortison endlich als Verbündeten zu begreifen. Schmerzmittel her zu mir! Und vielleicht habe ich meinem Körper die letzten Wochen zu viel zugemutet: Ausgedehnte Spaziergänge. Schnelles Gehen. Alles für das Gedeihen einer Entzündung der Sehnen förderlich.

Nicht aufgeben heißt nun: Entzündung eindämmen mit Bordmitteln. Schonen. Zurücknehmen. Schmerzmittel nehmen. Mutig sein und ab und zu den rechten Fuß belasten. Weise sein und den linken Fuß nicht zu sehr beanspruchen. Sensibel sein für die Signale des Körpers.

Und: Den Stolz über Bord werfen und Hilfe in Anspruch nehmen- Nicht nur für den Körper, sondern auch für die Seele.

Alles Gute, Alsterstewart

PS: Bitte betet dafür, dass die Schmerzen im Fuß wieder verschwinden und ich die Therapie fortsetzen kann.

















Mittwoch, 15. Februar 2017


Tag 20/1 – 2. Teil

Der Tag ist nicht besser geworden. Es gibt in dieser Zeit halt so Tage, die werden nicht besser. Da heißt es dann „Zähne zusammenbeißen und durch“. Es gibt ja auch keinen Weg zurück.



Struktur

Ich brauche eine feste Struktur, an der ich mich festhalten kann. In den letzten Wochen hatte mein Alltag die gewohnte Struktur nicht mehr. Es tat mir daher gut, dass ich gestern und eigentlich auch heute wieder eine feste Struktur hatte. Morgens zur Arbeit, abends zurück. Am Arbeitsplatz in Quickborn war ich zudem stundenlang von meiner Krankheit abgelenkt und durfte mir endlich Gedanken über andere Fragen machen.

Freilich: Ich merke schon, dass es in der Firma anders läuft als gewohnt. Von bestimmten Diensten bin ich ausgeplant worden. Einige Fragen werden mir nicht mehr gestellt. Projekte, an denen ich mich beteiligen sollte, laufen nun ohne mich.

Ist das schlimm? Bist Du so wichtig?

Ach, darum geht es nicht. Ich brauche eben Struktur und bin mit dieser ziemlich plötzlichen Umstellung meines Lebens überfordert. Der Boden, auf dem ich meine Füße gesetzt habe, scheint schwankend zu sein, löst sich allmählich auf und wird – breiig. Strukturlos. Chaotisch. Unplanbar.

Ausblick am Meer



Die Stimmen aus den Blogs

Ich habe heute ein paar Blogs überflogen, in denen Menschen von ihren Erfahrungen mit der Krankheit berichten. Einiges davon habe ich bereits skizziert. Nachdem ich einiges nun gelesen habe frage ich mich, was mir das bringt. Ich bin mit meinem Schicksal nicht allein, jeden Tag bekommen Menschen diese Diagnose – und sie trifft sie immer wieder am falschen Platz, so wie bei mir. Manche hatten bereits Beschwerden, manche wiederum wurden bei Routineuntersuchungen unangenehm überrascht. „Oh, diese Schmerzen – das ist eine Verspannung“ habe ich gelesen. Das war also so ähnlich wie bei mir.

Und dann: Odysseen an Therapien, Reha-Maßnahmen, Rezidiven und Medikamente, Bestrahlungen, Medikamente…. Was machen die Menschen alle durch?

Aber: Dies hier ist MEINE Geschichte! Wie bereits in dem Text mit den Mauern geschildert: Ich muss über die Mauern steigen, das kann niemand anders für mich erledigen. Und meine Mauer ist meine Mauer. Ich darf lernen, wie andere es über ihre Mauern geschafft haben. Aber ihre Mauern sind ihre Mauern und ihre Geschichte ist ihre Geschichte.

Daher bin ich skeptisch, was den Austausch mit anderen Erkrankten angeht. Mich schreckt, was andere durchmachen und denke: Das steht mir also bevor. Und wenn es bei anderen gut geht, dann denke ich: Bei mir läuft es bestimmt nicht so gut. Also: Ich nicht reif dazu, mich mit anderen Erkrankten über diese Krankheit namens MM auszutauschen.

Aber Hilfe. Die brauche ich. Der mächtigste Gegner, mit dem ich es zur Zeit zu tun habe, ist mein Seelenleben, meine Psyche. Aus den Abgründen meiner Seele steigen ohne Unterlass unangenehme Dämpfe empor. Herr K greift sich nicht nur meinen Körper, er greift sich auch meine Seele.

NEIN!

Meine Seele kriegst Du nicht.

Meine Hilfe kommt von dem HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat. Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen; und der dich behütet schläft nicht.… Psalm 121:2-3

Alles Liebe, Alsterstewart

 
Tag 20/1 – 1. Teil
 

Seit gestern arbeite ich wieder. Jedenfalls fahre ich jeden Morgen an meinen Arbeitsplatz und abends wieder nach Hause. Dazwischen versuche ich, meinen Pflichten nachzugehen soweit das möglich ist. Dabei machten mir gestern und dann leider auch heute das starke Zittern zu schaffen. Warum zittere ich? Aber es tat mir gestern sehr gut, endlich wieder einen halbwegs geordneten Alltagsablauf zu haben. Das gute Wetter tat ein Übriges, damit es mir richtig gut ging.

Spätestens am Freitag ist das wieder vorbei. Da habe ich ein Stelldichein im UKE.

Gestern Abend habe ich einige Selbsthilfeforen für meine Erkrankung entdeckt. Und heute noch einige dazu. Wer schreibt denn da? Was sind das für Fälle? Wo gibt es Gemeinsamkeiten? Wo gibt es Unterschiede? Einige leben seit 15 Jahre mit derselben Krankheit wie ich, andere wiederum sind mittlerweile verstorben. Und ich durfte erfahren, dass die Forschung tatsächlich seit 15 Jahren Fortschritte gemacht hat. Anfang des Jahrtausends und davor wäre die Lebenserwartung gerade mal noch 2-3 Jahre gewesen. Das hat sich offenbar deutlich zum Besseren verändert.

Und doch haben mich die verschiedenen Stimmen tief berührt, auch aufgewühlt. Sie berichten vom Auf und Ab in der Krankheit, von ruhigen Phasen, die durchaus mehrere Jahre anhalten können, und von stürmischen Zeiten, die Monate andauern können und immer wieder kommen. REZIDIVE.

OK, ich gebe nun den Namen meiner Krankheit preis: Multiples Myelom, umgangssprachlich auch Knochenmarkkrebs genannt. Und das mag auch erläutern, warum es bei mir mit einer Ruckzuck-OP nicht getan ist. Dieser K steckt tief in mir drin.

Die Berichte aus den Foren haben mich teils ermutigt. Ja, da geht es vielen so wie mir. Rund 6000 bis 8000 Fälle gibt es jährlich neu in Deutschland. Aber manche erschrecken, schocken mich, ziehen mich auch herunter. Die Frage ist immer: Wird es mir ebenso gehen wie denen? Oder wenigstens ähnlich? Und was ist mit den 2-3 Jahren? Und den Rezidiven? Wie sieht das Leben aus – nach dieser Therapie?




Heute habe ich Kopfschmerzen. Ist das schon etwas mit der Erkrankung? Mache ich alles richtig? Handle ich so, wie es dem Therapierplan entspricht? Es gibt so viele Zweifel.

Die Sonne scheint. Heute fühle ich mich leicht geknickt. Trübe Gedanken an einem hellen Tag.

Heute Abend mehr.

Sonntag, 12. Februar 2017




Tag 17/1

Licht und Schatten. Seit vorgestern habe ich „Regenerationspause“ in der Therapie. Diese Tage sind sozusagen frei, kein Kortison, keine Infusion, keine Spritze. Erst am Freitag startet die Chemo neu mit ihrem zweiten Zyklus.

Und ich habe mich so sehr auf diese Zeit gefreut. Der Freitag war auch super. Nachdem ich zweieinhalb Stunden am Tropf hing und ein erfreuliches Gespräch mit meiner Ärztin hatte, fühlte ich mich bärenstark. Dieses Gefühl hielt auch noch an, als ich das UKE verließ und mit Waldemar, der mich abholte, nach Harburg in Sally´s Café zum Essen fuhr. Die Sonne schien, alles war gut. In den letzten Wochen habe ich mich selten so gut gefühlt wie an diesem Freitagnachmittag.

Leider haben mir gestern die Nebenwirkungen der Infusion dann doch zugesetzt. Wieder kam diese Mattigkeit über mich, leicht diffuse Kopfschmerzen und ich fühlte mich unangenehm. Es ist halt kein Ponyhof, diese Therapie. Und heute, am Sonntag, macht sich die Grunderkrankung mit Schmerzen bemerkbar. An Bäumeausreißen ist also nicht zu denken.

Die Sache ist ernst.



99 Mauern

Eine Geschichte, die mir Christiane vor Jahren erzählte, gibt mir immer wieder neuen Mut. Sie handelt von zwei Menschen, die aus einem Gefängnis ausbrechen wollen. Dazu müssen sie über 100 Mauern steigen, erst dann winkt die Freiheit. Das Problem: Sie wissen nicht, wie viele Mauern sie auf dem Weg in die Freiheit überwinden müssen. Und als sie die 99. Mauer endlich überstiegen haben und vor sich wieder eine Mauer entdecken beschließen sie, das Unternehmen aufzugeben und wieder zurück ins Gefängnis zu klettern. Schade.

Über wie viele Mauern muss ich klettern?

Das einfachste ist doch, immer nur auf die Mauer vor sich zu blicken und sich vorzunehmen, diese als nächste zu überwinden. Sukzessive, peu-à-peu. Meine Mauern sind die Tage, die vor mir liegen. Jeder Tag hat seine eigene Herausforderung, weshalb meine eigenen Planungen dann häufig scheitern müssen. Heute, sonntags, mit Schmerzen Bäume auszureißen ist keine gute Idee. Heute dagegen eine Mauer überwinden mit Ruhe und Aushalten – besser.



Aber spricht diese Herangehensweise gegen einen Gesamtplan?

Nein. Die Richtung muss stimmen. Und da darf ich mich getrost zurücklehnen, denn der Plan der Therapie ist bereits geschrieben und wird bei Bedarf auf meine Situation angepasst. Das ist etwas fremdbestimmt, keine Frage, aber es dient meiner Besserung.



Römer 8:28

„Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“

Dies ist ein kostbarer Vers aus der Bibel, den fast jeder kennt, der die Bibel liest. Unter Christen ist er jedenfalls und vollkommen zu Recht populär.  

Manchmal wird er als billiger Trost verstanden nach dem Motto „Nimm´s sportlich“.  Es sagt sich halt so einfach.

Ehrlich gesagt: Der Vers kann nerven, wenn er einem um die Ohren geklatscht wird wie ein nasser Lappen.

Ich sehe aber nun etwas tiefer hinein in diesen Vers und entdecke die Parallele zu meiner derzeitigen Situation. Meine Therapie ist durch die Ärzte geplant worden, sie wird regelmäßig überwacht und gestaltet, bei Bedarf angepasst und man rechnet mit einem guten Ergebnis. Bis zu diesem Ergebnis läuft der Therapieplan durch, jede Station muss genommen werden, manches muss in Kauf genommen und ausgehalten werden, weil das Ziel erreicht werden soll. Aus welchen Gründen auch immer abbrechen geht nicht, das führt mittelfristig zu ausgesprochen negativen Konsequenzen.

So laufe ich auch durch diese Zeit und sehe das aus geistlicher Perspektive. Gott hat vorzeiten mein Leben geplant, ich darf es jetzt gestalten. Und an einigen Punkten in meinem Leben wird es schwer, aber ich darf in diesen schweren Zeiten gewiss sein: Gott hält mich und trägt mich da durch, sein Plan steht fest und daher muss auch diese Krankheit zu meinem Besten mitwirken.

Aber was ist mein Bestes? Dass ich der Mensch werde, den Gott in mir sieht. Dafür steige ich über die nächste Mauer.



Alles Liebe, Alsterstewart




Dienstag, 7. Februar 2017


Tag 12/1

Wie die Zeit verfliegt. Jetzt sind schon mehr als eineinhalb Wochen herum. Gewöhne ich mich an den Ablauf der Therapie? Keine Nacht mehr als 4 Stunden Schlaf am Stück. Das Blut pulsiert mit hohem Druck durch die Adern. Es gibt Momente, Stunden, Tage – da kenne ich mich im eigenen Körper nicht mehr aus. Warum zwickt es gerade da? Warum tut es jetzt hier weh? Was bedeutet dieses Ziehen da rechts unten? Muss ich das sofort dem Ärzteteam melden? Und dann kommt der Gedanke: Ach, warte doch einfach mal ab. Morgen sieht es bestimmt anders aus. Und dann komme ich aus einer halbdurchwachten Nacht mit eigenartigen Träumen und denke: Alles nur Einbildung.

52 Jahre lang nie ernsthaft krank. Und jetzt… Hadern mit dem Schicksal.

Also reflektiere ich ein wenig.
 

Schicksal

In einem guten Ratgeber zu meiner Krankheit las ich, dass niemand weiß, was die Krankheit, die ich habe auslöst. Dieser Herr K kündigt nicht von Ferne seinen Besuch an, sondern tritt ungebeten durch die geschlossene Tür ins Haus. Es ist komplett absurd. ABSURD. Der Ratgeber empfahl: „Nehmen sie es als einen Schicksalsschlag.“

La forza del destino…. Taktschlag.

Nein, es ist nicht schön.

Ich bin ein geschichtsinteressierter, ja geschichtsleidenschaftlicher Mensch. Geschichte hat mich als Schulfach immer schon interessiert. Meine Initiation waren die Geschichten aus der Kaiserzeit, die mir meine Großmutter immer gerne erzählte. Von da aus bin ich in den Ozean der Menschheitsgeschichte gesprungen und bin bald an dieses, bald an jenes Ufer geschwommen. Und kam zu der bahnbrechenden Erkenntnis: „Früher war alles, alles besser.“ Da regierte noch Preußens Friedrich seine Untertanen, da herrschte noch Ordnung und Anstand, Ehre und Gewissen. Eine bunte und geordnete Welt. So ähnlich, wie sie uns die Serie „Königlich bayerisches Amtsgericht“ in den frühen 70ern darstellte.

Pustekuchen. Die guten alten Zeiten – die gab es nie.

Aber in meinem Kopf waren sie entstanden.

Heute blicke ich mit demselben verklärten Blick wie damals in die Geschichte meines Lebens. Ja, wie war das schön damals: als Kind, in der Jugend, im Studium usw. All die Menschen, die ich damals kannte und die es heute nicht mehr gibt: Meine Großeltern, mein Vater, alte Verwandte und Freunde. Und der Nebel der Nostalgie verwandelt selbst die düsteren Zeiten meiner Biographie in ein mildes Licht: Die Bundeswehrzeit etwa…. Gehe ich in meinem Leben zurück, dann denke ich: „Früher war alles besser.“

Hmn, wirkich?

OK, ich hatte seinerzeit noch nicht die persönliche Bekanntschaft mit Herrn K gemacht, den grüßte ich eher respektvoll von ferne und hielt mich auf Distanz. Aber nun ist er da – und verlangt Aufmerksamkeit.

Ja, ich kann auf meine Vergangenheit zurückblicken, von mir aus auch mit nostalgischem Blick. Aber die Vergangenheit ist – vergangen. Und die „gute alte Zeit“ – die gab es auch so in meinem Leben nicht. Jede Zeit hatte ihre Herausforderungen und ihre Schönheiten.

Warum schreibe ich das?

Mit dem Schicksal zu hadern, auch mit einem „K“-Schicksal, hat für mich etwas damit zu tun, dass ich mein eigenes Leben früher verkläre anstatt dankbar auf das Gute zurückzublicken. Gerade das, was mir an guten Erinnerungen geblieben ist kann mir auch Kraft geben, mich irgendwo zwischen Blutwerten, Leukozyten, Medikamenten, Nebenwirkungen, Tropfgestellen und Zyklen wiederzufinden. Aber die Vergangenheit darf nicht anstelle meiner Gegenwart und meiner Zukunft treten.

Ja, Schicksal trifft es ganz gut. Kein Gestern, nur heute.



Absurd
Heute kam mir der Gedanke, welcher Sinn in meiner Krankheit liegt. Da muss doch ein Sinn sein. Ohne Sinn in diesem Geschehen wäre die Krankheit – absurd.

Ein bis eben gesunder Mensch fällt mit einem Male in einen Abgrund des Absurden. Kurios.

Ich vermute sehr, dass wir Menschen in der Lage sind, auch die schwierigsten Situationen unseres Lebens zu meistern, wenn wir am tiefsten davon überzeugt sind, dass gerade diese Situation einen tieferen Sinn hat. Vielleicht eine Lehre? Vielleicht eine Erkenntnis? Vielleicht eine Zwischenstation eines höheren oder anderen Ziels? Ach, wüsste ich das bereits, welcher Sinn in meiner Krankheit steckt.

Nein: Aktuell sehe ich keinen Sinn in der Krankheit. ABSURD.

Was hält mich eigentlich noch an der Klippe des Absurden?

Es gibt Menschen, die leben einfach. Sie machen sich weitaus weniger Gedanken um das was war, was kommt und was gerade ist. Sie leben aus der Situation heraus und in die Situation hinein. Da stellen sich keine großen Sinnfragen, der Sinn erschließt sich gerade aus der Situation. Volkstümlich: „Da muss man durch.“ Ich bewundere diese Einstellung, kann sie mir aber nicht zu eigen machen. Aber ich kann davon lernen, meine Lage gerade jetzt so anzunehmen, wie ich sie vorfinde, absurd oder sinnvoll. Sie ist einfach da. Natürlich blicke ich dabei nach vorne und berechne, wie meine nächsten Monate aussehen sollen. Viele eigene Pläne kann ich ja nicht machen, die Pläne schreiben andere vor. Aber im Rahmen meiner Lage kann ich mich dennoch frei bewegen und der Situation etwas abgewinnen. Das sind da die Momente, in denen andere vor mir über ihren körperlichen Verfall interessiert wie aus der Perspektive eines anderen schreiben können. Es sind die Momente, in denen andere wiederum ihren Geist nach oben schrauben und sich Gedanken um die „wirklich wichtigen Dinge des Lebens“ machen können.

Ist hier der Sinn der Krankheit? Meiner Krankheit? Oder bleibt das Absurde?

Keine Ahnung. Die Lichter der bahnbrechenden Erkenntnis sind erstmal ausgeknipst.

In meiner heutigen Psalmlektüre kam ich in den Psalm 22. Da heißt es in Vers 12

„Sei nicht fern von mir! Denn Drangsal ist nahe, und kein Helfer ist da.“

Der Psalmdichter erlebt wie ich eine absurde Situation des Leidens. Mehr als das: Jesus betet diesen Psalm 22 am Kreuz, als er zwischen Himmel und Erde hing und das Gericht empfing. Er selbst ging durch das für ihn vollkommen Unfassbare, das für ihn in diesem Moment Absurde – die Trennung aus der ewigen Gemeinschaft mit dem Vater. Und da ging er hindurch, durch Finsternis und Tod, durch Leid und Schmach. Absurd: Der Schuldlose büßt die Schuld der Schuldigen. Aber: Nicht absurd, denn Sein Leiden hatte ein Ziel, einen Sinn, der sich womöglich in dem Moment verschloss, als Jesus mitten im Leid war. „Warum hast Du mich verlassen?“

Dieser Jesus kennt meine Lage, versteht meine Lage, kennt meinen Aufschrei gegen das Absurde – weil er tiefer und intensiver durchgemacht hat als ich es mir je eralbträumen kann. Sein Weg ging durch Kreuz und Gericht hin zu Versöhnung und Auferstehung. Mag der Weg zwischendurch auch dunkel und absurd erschienen sein – in Gottes Plan wirkte selbst das Absurde mit, um das zu verwirklichen, was Gott sich vorgenommen hat.

Und damit brauche ich nicht mehr krampfhaft nach einem tieferen Sinn zu fahnden. Ich kann warten, bis sich der Sinn erschließt – oder auch nicht. In Gottes Liebe und im Leiden Jesu finde ich mich und meine Lage geborgen. Das ist kein billiger Trost, aber etwas, das mir mehr bedeutet und wesentlich mehr Kraft gibt als der nostalgische Blick zurück ins eigene Leben.




In den „Losungen“ fand ich heute einen Text, der mich gut inspiriert hat, das aktuelle Leben aus der Perspektive Gottes zu betrachten:


Was du geschaffen hast, verlässt du nicht.
Welt ist nicht nur, was Menschenaugen sehn,
und Ordnung mehr, als wir davon verstehn.
Anfang und Ziel – dir Einziger gehört´s,
denn größer bist Du, Gott, als unser Herz.
(Joachim Vobbe)

Alles Gute, Alsterstewart

Freitag, 3. Februar 2017


Tag 8/1

Wieder ist ein Tag herum. Dabei war heute Großkampftag: Heute gab es die zweite große Infusion. Den Zugang legte mir eine junge Schwesternschülerin im letzten Lehrjahr. „Aber keine Sorge, ich finde die passende Vene schon“ lachte sie mir ins Gesicht. Ihre Anleiterin hämmerte auf meinem Arm herum: „Da, du musst nur so klopfen. Aber diese Vene ist zu schwer zu treffen, nimm lieber die große da vorne.“

Auch heute schaute mich die Krankenschwester wieder fragend an, weil ich immer zusehen muss, wie mir der Zugang gelegt und Blut abgenommen werden wird. „Das können Sie sich ansehen?“ Zur Krönung wurde mir ein Handy-Video gezeigt: „Wissenschaftlich erwiesen: Männer sind wehleidiger bei Spritzen als Frauen.“ Und dann folgte eine Sketch-Szene mit einem Mann, der sich unter einer banalen Spritze wimmernd beugt.

Haha. Was haben wir gelacht. Die jungen Frauen über das Video, ich über den Aberwitz der Situation.

Als mir eine Assistenzärztin die Paracetamol-Tabletten geben wollte, fiel eine davon auf den Boden. Ich wollte mich schon danach bücken um sie intus zu nehmen, das sagte mir die Ärztin: "Nein, die ist hinüber."

Ich (nachsichtig): „Aber sie lag doch nur auf dem Boden.“

Ärztin (nachdrücklich): „Ja, aber was auf dem Klinikboden gelegen hat, ist nicht mehr OK.“

Was mich zu der Bemerkung veranlasste: „Klinisch sauber ist nicht mehr rein.“ Wir lachten.



Monotonie

In der Onkologischen Ambulanz ist immer viel los. Da piept es. Da rattern Beutelgestelle mit Geschepper über den Flur. Da kurven Rollstühle quietschend durch den Gang. Türen öffnen und schließen sich. Dazwischen das pralle Leben.

Geruch von Desinfektion liegt in der Luft.

Wie verbringe ich die Zeit, nachdem die Zugänge gelegt sind und der Tropf tropft?

Wartend.

Natürlich nutze ich die Zeit auch. Also habe ich mir wieder „House of Cards“ aufs iPad gespeichert. Aber nach eineinhalb Folgen musste ich erst einmal abbrechen. Denn zwischendurch kommt alle halbe Stunde eine Ärztin und misst Blutdruck, Fieber, Puls.  Und hat jedes Mal neue Anweisungen für mich: „Passen wir auf, wenn der Tropf nicht mehr tropft, dann merken sie sich bitte die Zeit.“ „Bitte klingeln Sie nach einer Hilfe, wenn die Pumpe anfängt mit einem Alarm“. Usw. Usw. Und tatsächlich: Während Doug Stamper in Neumexiko unterwegs ist – gibt es einen Pumpenalarm im UKE, Station O24, Zimmer 118, vorderer Stuhl. BEI MIR.

Hinterher verlegte ich mich aufs Lesen und Musik hören. Musik hören? Geht nur bedingt, weil es einfach zu viele Nebengeräusche gibt. Ich bin ja auch nicht im Sanatorium oder im Konzert. Irgendwann wurde es mir zu bunt und ich lauschte via Kopfhörer „Meeresstille und glückliche Fahrt“ von Mendelssohn-Bartholdy. Dirigent: Claudio Abbado, London Symphony Orchestra.

Ehrlich: Die letzten zwei Stunden waren monotones Warten. Ich kann mich auch nicht immer beschäftigen. Dann gerinnen selbst Sekunden zu Wochen.
UKE, O24, Zimmer 118, 3.1.2017

Psalm 34

Ich bin ein großer Freund der Losungen.  Sie begleiten meinen geistlichen Weg seit Jahrzehnten und helfen mir, den Tag unter Gottes Wort und Perspektive zu setzen. Dabei gebe ich zu, dass sie nicht immer „passen“ – aber fürs „passen“ sind sie nicht gelost worden. Heute habe ich die Losungen in einer App.

Und ich bin auch ein großer Freund der Psalmen.  Vor Jahren habe ich mir eine Ausgabe des „Münsterschwarzacher Psalters“ zugelegt. Dies ist eine im Benediktiner-Kloster Münsterschwarzach entstandene Übersetzung der Psalmen ins Deutsche, die großen Werte auf Sprachtreue und Singbarkeit legt. Während ich also mit der U3 Richtung Krankenhaus fuhr, nahm ich den Psalter mit der heutigen Losung aus Psalm 34 und gab das Ganze in ein Psalmgebet: Vers für Vers, dann aus dem Vers einen persönlichen kurzen Impuls zu Anbetung und Bitte gemacht usw.

Dann blieb sogar noch Zeit, den Psalm still meditierend zu singen. Verszeile für Verszeile ergibt ein beständiges, ruhiges Ein- und Ausatmen.

Als ich die Kellinghusenstraße erreicht hatte, wusste ich: Gott hört mich. Gott ist mir nah.


Meine Seele soll sich rühmen des HERRN, dass es die Elenden hören und sich freuen.
Psalm 34,3 (Losungstext, Luther 2017)


Liebe Grüße, Alsterstewart


Mittwoch, 1. Februar 2017


Tag 6/1

Heute – nicht der Rede wert. Oder doch?

Mit Wadenkrämpfen aufgewacht, irgendwann um halb fünf. Dabei habe ich gestern einen ruhigen Abend verbringen dürfen. Ich fühlte mich gestern zum Bäumeausreißen. Warum auch nicht? Aber heute morgen…. Das Zittern, das mich zuletzt zuverlässig begleitet hat, war nun weg. Dafür aber irre Krämpfe in den Waden. Etwa eine Thrombose? Aber doch nicht gleichzeitig in beiden Waden?

Kortison. Nebenwirkung.

Also saß ich den ganzen Tag sozusagen still und starrte vor mich hin, dämmerte ein wenig und haderte. Die UKE-Ärztin meinte per E-Mail, dass das schon einmal vorkommen könne, wenn es gar nicht mehr ginge, bliebe nur die Notaufnahme. Aber die aufsuchen wegen ein paar Wadenkrämpfen.

Nach fünf Stunden Gejammere und Selbstmitleid in dämmriger Atmosphäre bin ich dann aufgestanden, habe mich etwas gelockert und ging spazieren. Ein eklig-grauer Februartag, fast wäre ich noch von einem Lieferwagenfahrer über den Haufen gefahren worden. Humpelnd und unsicher wackelte ich meinen Weg entlang, aber es ging doch. Anstrengend zwar, aber doch zunehmend besser.

Doch alles andere ist ja auch noch da: Das Benommensein, die Abgeschlagenheit…. Und der immerwährende Kampf mit der Psyche. Und wenn doch alles für die Katz ist?

Heute war der bislang schlimmste Tag.  Und wir sind erst am Anfang.


Trübe Außenalster, 31.1.2017

Zukunftsnebel

Wie geht es eigentlich weiter? Ich meine, wenn alles nach Plan geht?

Bis Ende April habe ich diesen und noch drei weitere Zyklen zu je 21 Tagen, davon sind – hurra – die letzten sechs Tage frei. Dann folgt – Horror – die Hochdosiszeit im UKE, das dürfte dann Ende April und Mai sein. Der Wonnemonat im UKE. Anschließend zwei Zyklen zu je 21 Tagen Konsolidierung, das bedeutet die Monate Juni und Juli sind bereits verplant. Im Anschluss dann schlappe 26 Zyklen zu je 28 Tagen, die im Wesentlichen aus Tabletteneinnahmen und 2wöchigen, später 1monatigen Infusionen bestehen.

Und irgendwann in zweieinhalb Jahren …..

Danke für jedes Gebet. Wir können es gut brauchen.

Liebe Grüße, Alsterstewart