Sonntag, 12. Februar 2017




Tag 17/1

Licht und Schatten. Seit vorgestern habe ich „Regenerationspause“ in der Therapie. Diese Tage sind sozusagen frei, kein Kortison, keine Infusion, keine Spritze. Erst am Freitag startet die Chemo neu mit ihrem zweiten Zyklus.

Und ich habe mich so sehr auf diese Zeit gefreut. Der Freitag war auch super. Nachdem ich zweieinhalb Stunden am Tropf hing und ein erfreuliches Gespräch mit meiner Ärztin hatte, fühlte ich mich bärenstark. Dieses Gefühl hielt auch noch an, als ich das UKE verließ und mit Waldemar, der mich abholte, nach Harburg in Sally´s Café zum Essen fuhr. Die Sonne schien, alles war gut. In den letzten Wochen habe ich mich selten so gut gefühlt wie an diesem Freitagnachmittag.

Leider haben mir gestern die Nebenwirkungen der Infusion dann doch zugesetzt. Wieder kam diese Mattigkeit über mich, leicht diffuse Kopfschmerzen und ich fühlte mich unangenehm. Es ist halt kein Ponyhof, diese Therapie. Und heute, am Sonntag, macht sich die Grunderkrankung mit Schmerzen bemerkbar. An Bäumeausreißen ist also nicht zu denken.

Die Sache ist ernst.



99 Mauern

Eine Geschichte, die mir Christiane vor Jahren erzählte, gibt mir immer wieder neuen Mut. Sie handelt von zwei Menschen, die aus einem Gefängnis ausbrechen wollen. Dazu müssen sie über 100 Mauern steigen, erst dann winkt die Freiheit. Das Problem: Sie wissen nicht, wie viele Mauern sie auf dem Weg in die Freiheit überwinden müssen. Und als sie die 99. Mauer endlich überstiegen haben und vor sich wieder eine Mauer entdecken beschließen sie, das Unternehmen aufzugeben und wieder zurück ins Gefängnis zu klettern. Schade.

Über wie viele Mauern muss ich klettern?

Das einfachste ist doch, immer nur auf die Mauer vor sich zu blicken und sich vorzunehmen, diese als nächste zu überwinden. Sukzessive, peu-à-peu. Meine Mauern sind die Tage, die vor mir liegen. Jeder Tag hat seine eigene Herausforderung, weshalb meine eigenen Planungen dann häufig scheitern müssen. Heute, sonntags, mit Schmerzen Bäume auszureißen ist keine gute Idee. Heute dagegen eine Mauer überwinden mit Ruhe und Aushalten – besser.



Aber spricht diese Herangehensweise gegen einen Gesamtplan?

Nein. Die Richtung muss stimmen. Und da darf ich mich getrost zurücklehnen, denn der Plan der Therapie ist bereits geschrieben und wird bei Bedarf auf meine Situation angepasst. Das ist etwas fremdbestimmt, keine Frage, aber es dient meiner Besserung.



Römer 8:28

„Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“

Dies ist ein kostbarer Vers aus der Bibel, den fast jeder kennt, der die Bibel liest. Unter Christen ist er jedenfalls und vollkommen zu Recht populär.  

Manchmal wird er als billiger Trost verstanden nach dem Motto „Nimm´s sportlich“.  Es sagt sich halt so einfach.

Ehrlich gesagt: Der Vers kann nerven, wenn er einem um die Ohren geklatscht wird wie ein nasser Lappen.

Ich sehe aber nun etwas tiefer hinein in diesen Vers und entdecke die Parallele zu meiner derzeitigen Situation. Meine Therapie ist durch die Ärzte geplant worden, sie wird regelmäßig überwacht und gestaltet, bei Bedarf angepasst und man rechnet mit einem guten Ergebnis. Bis zu diesem Ergebnis läuft der Therapieplan durch, jede Station muss genommen werden, manches muss in Kauf genommen und ausgehalten werden, weil das Ziel erreicht werden soll. Aus welchen Gründen auch immer abbrechen geht nicht, das führt mittelfristig zu ausgesprochen negativen Konsequenzen.

So laufe ich auch durch diese Zeit und sehe das aus geistlicher Perspektive. Gott hat vorzeiten mein Leben geplant, ich darf es jetzt gestalten. Und an einigen Punkten in meinem Leben wird es schwer, aber ich darf in diesen schweren Zeiten gewiss sein: Gott hält mich und trägt mich da durch, sein Plan steht fest und daher muss auch diese Krankheit zu meinem Besten mitwirken.

Aber was ist mein Bestes? Dass ich der Mensch werde, den Gott in mir sieht. Dafür steige ich über die nächste Mauer.



Alles Liebe, Alsterstewart




1 Kommentar:

  1. Lieber Stefan, du hast recht: Gute Ratschläge nützen jetzt gar nichts, es sei denn von Leuten, die genau dasselbe durchgemacht haben und einige Erfahrungen mit dir teilen können. U.a.können ja auch Ärzte Erfahrungen weitergeben, die ihre Patienten berichten . Heute hat Victor gepredigt und am Ende kam dabei heraus, daß das Wort Gottes immer noch die beste Nahrung ist, die wir zu uns nehmen können. Wir müssen unsere Gedanken gegen Seine Gedanken eintauschen. Nicht so leicht, wie jeder weiss. Jesus ist auf dem Wasser gegangen. Ein Naturwissenschaftler sagt: Geht aber nicht, da versinkt man. Ein Christ sagt: Gottes Gesetze sind höher als Naturgesetze - entweder ist der Mensch mehr irdisch gesinnt oder schon himmlisch gesinnt.Du jedenfalls stehst auf dem Wort. Wir wünschen dir viele gute Stunden. Vielleicht solltest du ein "Stundenbuch" machen? Gute Stunden - mittlere Stunden - Stunden, in denen nichts los ist - schlechte Stunden. Bestimmt überwiegt das Gute. Lieben Gruss Deine Lehmanns

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