Freitag, 3. Februar 2017


Tag 8/1

Wieder ist ein Tag herum. Dabei war heute Großkampftag: Heute gab es die zweite große Infusion. Den Zugang legte mir eine junge Schwesternschülerin im letzten Lehrjahr. „Aber keine Sorge, ich finde die passende Vene schon“ lachte sie mir ins Gesicht. Ihre Anleiterin hämmerte auf meinem Arm herum: „Da, du musst nur so klopfen. Aber diese Vene ist zu schwer zu treffen, nimm lieber die große da vorne.“

Auch heute schaute mich die Krankenschwester wieder fragend an, weil ich immer zusehen muss, wie mir der Zugang gelegt und Blut abgenommen werden wird. „Das können Sie sich ansehen?“ Zur Krönung wurde mir ein Handy-Video gezeigt: „Wissenschaftlich erwiesen: Männer sind wehleidiger bei Spritzen als Frauen.“ Und dann folgte eine Sketch-Szene mit einem Mann, der sich unter einer banalen Spritze wimmernd beugt.

Haha. Was haben wir gelacht. Die jungen Frauen über das Video, ich über den Aberwitz der Situation.

Als mir eine Assistenzärztin die Paracetamol-Tabletten geben wollte, fiel eine davon auf den Boden. Ich wollte mich schon danach bücken um sie intus zu nehmen, das sagte mir die Ärztin: "Nein, die ist hinüber."

Ich (nachsichtig): „Aber sie lag doch nur auf dem Boden.“

Ärztin (nachdrücklich): „Ja, aber was auf dem Klinikboden gelegen hat, ist nicht mehr OK.“

Was mich zu der Bemerkung veranlasste: „Klinisch sauber ist nicht mehr rein.“ Wir lachten.



Monotonie

In der Onkologischen Ambulanz ist immer viel los. Da piept es. Da rattern Beutelgestelle mit Geschepper über den Flur. Da kurven Rollstühle quietschend durch den Gang. Türen öffnen und schließen sich. Dazwischen das pralle Leben.

Geruch von Desinfektion liegt in der Luft.

Wie verbringe ich die Zeit, nachdem die Zugänge gelegt sind und der Tropf tropft?

Wartend.

Natürlich nutze ich die Zeit auch. Also habe ich mir wieder „House of Cards“ aufs iPad gespeichert. Aber nach eineinhalb Folgen musste ich erst einmal abbrechen. Denn zwischendurch kommt alle halbe Stunde eine Ärztin und misst Blutdruck, Fieber, Puls.  Und hat jedes Mal neue Anweisungen für mich: „Passen wir auf, wenn der Tropf nicht mehr tropft, dann merken sie sich bitte die Zeit.“ „Bitte klingeln Sie nach einer Hilfe, wenn die Pumpe anfängt mit einem Alarm“. Usw. Usw. Und tatsächlich: Während Doug Stamper in Neumexiko unterwegs ist – gibt es einen Pumpenalarm im UKE, Station O24, Zimmer 118, vorderer Stuhl. BEI MIR.

Hinterher verlegte ich mich aufs Lesen und Musik hören. Musik hören? Geht nur bedingt, weil es einfach zu viele Nebengeräusche gibt. Ich bin ja auch nicht im Sanatorium oder im Konzert. Irgendwann wurde es mir zu bunt und ich lauschte via Kopfhörer „Meeresstille und glückliche Fahrt“ von Mendelssohn-Bartholdy. Dirigent: Claudio Abbado, London Symphony Orchestra.

Ehrlich: Die letzten zwei Stunden waren monotones Warten. Ich kann mich auch nicht immer beschäftigen. Dann gerinnen selbst Sekunden zu Wochen.
UKE, O24, Zimmer 118, 3.1.2017

Psalm 34

Ich bin ein großer Freund der Losungen.  Sie begleiten meinen geistlichen Weg seit Jahrzehnten und helfen mir, den Tag unter Gottes Wort und Perspektive zu setzen. Dabei gebe ich zu, dass sie nicht immer „passen“ – aber fürs „passen“ sind sie nicht gelost worden. Heute habe ich die Losungen in einer App.

Und ich bin auch ein großer Freund der Psalmen.  Vor Jahren habe ich mir eine Ausgabe des „Münsterschwarzacher Psalters“ zugelegt. Dies ist eine im Benediktiner-Kloster Münsterschwarzach entstandene Übersetzung der Psalmen ins Deutsche, die großen Werte auf Sprachtreue und Singbarkeit legt. Während ich also mit der U3 Richtung Krankenhaus fuhr, nahm ich den Psalter mit der heutigen Losung aus Psalm 34 und gab das Ganze in ein Psalmgebet: Vers für Vers, dann aus dem Vers einen persönlichen kurzen Impuls zu Anbetung und Bitte gemacht usw.

Dann blieb sogar noch Zeit, den Psalm still meditierend zu singen. Verszeile für Verszeile ergibt ein beständiges, ruhiges Ein- und Ausatmen.

Als ich die Kellinghusenstraße erreicht hatte, wusste ich: Gott hört mich. Gott ist mir nah.


Meine Seele soll sich rühmen des HERRN, dass es die Elenden hören und sich freuen.
Psalm 34,3 (Losungstext, Luther 2017)


Liebe Grüße, Alsterstewart


2 Kommentare:

  1. Lieber Stefan, du bist nicht allein, wir sind in Gedanken sehr viel mit dir. Ich kenne ja ein bisschen von der Situation an sich. Wir waren aber immer mit mehreren Frauen bei den Infusionen, da kommt auch mal ein Gespräch zustande - je nachdem wie abgekämpft der Patient ist. Die, die in Sesseln sassen, waren eigentlich noch gut beieinander und verstanden die Chemo als Hilfe. Nicht toll, aber nötig. Man kriegte immer zwei Beutel, hab ich das richtig in Erinnerung? Zuerst Glukose, oder? Du siehst - man kann das vergessen. Gut so. Wir beten jeden Tag für dich. Kennst du Fruchtenbaum? Handbuch der Profetie? Teuer aber sehr hilfreich. Fruchtenbaum ist messianischer Jude, der versteht vieles aus jüdischer Sicht besser als wir. Lieben Gruss Ulla u. Peter

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  2. Stefan, etwas zum Kichern. Es gibt ja Christen, die nehmen die Bibel wie ein Tageshoroskop. Seite aufschlagen, Finger drauf - dann hast du deinen Tagesspruch. Oder auch nicht. Christ also macht das: 1. Spruch: Und Judas ging hin und erhängte sich. Nee, denkt der Christ, das kann es nicht sein. Ich mach es nochmal: Wieder Bibel aufschlagen, Finger auf Seite. Da steht: "Gehe hin und tue desgleichen." Hm, vielleicht doch nicht die richtige Methode. Wir beten weiter. Deine Lehmanns.

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