Dienstag, 7. Februar 2017


Tag 12/1

Wie die Zeit verfliegt. Jetzt sind schon mehr als eineinhalb Wochen herum. Gewöhne ich mich an den Ablauf der Therapie? Keine Nacht mehr als 4 Stunden Schlaf am Stück. Das Blut pulsiert mit hohem Druck durch die Adern. Es gibt Momente, Stunden, Tage – da kenne ich mich im eigenen Körper nicht mehr aus. Warum zwickt es gerade da? Warum tut es jetzt hier weh? Was bedeutet dieses Ziehen da rechts unten? Muss ich das sofort dem Ärzteteam melden? Und dann kommt der Gedanke: Ach, warte doch einfach mal ab. Morgen sieht es bestimmt anders aus. Und dann komme ich aus einer halbdurchwachten Nacht mit eigenartigen Träumen und denke: Alles nur Einbildung.

52 Jahre lang nie ernsthaft krank. Und jetzt… Hadern mit dem Schicksal.

Also reflektiere ich ein wenig.
 

Schicksal

In einem guten Ratgeber zu meiner Krankheit las ich, dass niemand weiß, was die Krankheit, die ich habe auslöst. Dieser Herr K kündigt nicht von Ferne seinen Besuch an, sondern tritt ungebeten durch die geschlossene Tür ins Haus. Es ist komplett absurd. ABSURD. Der Ratgeber empfahl: „Nehmen sie es als einen Schicksalsschlag.“

La forza del destino…. Taktschlag.

Nein, es ist nicht schön.

Ich bin ein geschichtsinteressierter, ja geschichtsleidenschaftlicher Mensch. Geschichte hat mich als Schulfach immer schon interessiert. Meine Initiation waren die Geschichten aus der Kaiserzeit, die mir meine Großmutter immer gerne erzählte. Von da aus bin ich in den Ozean der Menschheitsgeschichte gesprungen und bin bald an dieses, bald an jenes Ufer geschwommen. Und kam zu der bahnbrechenden Erkenntnis: „Früher war alles, alles besser.“ Da regierte noch Preußens Friedrich seine Untertanen, da herrschte noch Ordnung und Anstand, Ehre und Gewissen. Eine bunte und geordnete Welt. So ähnlich, wie sie uns die Serie „Königlich bayerisches Amtsgericht“ in den frühen 70ern darstellte.

Pustekuchen. Die guten alten Zeiten – die gab es nie.

Aber in meinem Kopf waren sie entstanden.

Heute blicke ich mit demselben verklärten Blick wie damals in die Geschichte meines Lebens. Ja, wie war das schön damals: als Kind, in der Jugend, im Studium usw. All die Menschen, die ich damals kannte und die es heute nicht mehr gibt: Meine Großeltern, mein Vater, alte Verwandte und Freunde. Und der Nebel der Nostalgie verwandelt selbst die düsteren Zeiten meiner Biographie in ein mildes Licht: Die Bundeswehrzeit etwa…. Gehe ich in meinem Leben zurück, dann denke ich: „Früher war alles besser.“

Hmn, wirkich?

OK, ich hatte seinerzeit noch nicht die persönliche Bekanntschaft mit Herrn K gemacht, den grüßte ich eher respektvoll von ferne und hielt mich auf Distanz. Aber nun ist er da – und verlangt Aufmerksamkeit.

Ja, ich kann auf meine Vergangenheit zurückblicken, von mir aus auch mit nostalgischem Blick. Aber die Vergangenheit ist – vergangen. Und die „gute alte Zeit“ – die gab es auch so in meinem Leben nicht. Jede Zeit hatte ihre Herausforderungen und ihre Schönheiten.

Warum schreibe ich das?

Mit dem Schicksal zu hadern, auch mit einem „K“-Schicksal, hat für mich etwas damit zu tun, dass ich mein eigenes Leben früher verkläre anstatt dankbar auf das Gute zurückzublicken. Gerade das, was mir an guten Erinnerungen geblieben ist kann mir auch Kraft geben, mich irgendwo zwischen Blutwerten, Leukozyten, Medikamenten, Nebenwirkungen, Tropfgestellen und Zyklen wiederzufinden. Aber die Vergangenheit darf nicht anstelle meiner Gegenwart und meiner Zukunft treten.

Ja, Schicksal trifft es ganz gut. Kein Gestern, nur heute.



Absurd
Heute kam mir der Gedanke, welcher Sinn in meiner Krankheit liegt. Da muss doch ein Sinn sein. Ohne Sinn in diesem Geschehen wäre die Krankheit – absurd.

Ein bis eben gesunder Mensch fällt mit einem Male in einen Abgrund des Absurden. Kurios.

Ich vermute sehr, dass wir Menschen in der Lage sind, auch die schwierigsten Situationen unseres Lebens zu meistern, wenn wir am tiefsten davon überzeugt sind, dass gerade diese Situation einen tieferen Sinn hat. Vielleicht eine Lehre? Vielleicht eine Erkenntnis? Vielleicht eine Zwischenstation eines höheren oder anderen Ziels? Ach, wüsste ich das bereits, welcher Sinn in meiner Krankheit steckt.

Nein: Aktuell sehe ich keinen Sinn in der Krankheit. ABSURD.

Was hält mich eigentlich noch an der Klippe des Absurden?

Es gibt Menschen, die leben einfach. Sie machen sich weitaus weniger Gedanken um das was war, was kommt und was gerade ist. Sie leben aus der Situation heraus und in die Situation hinein. Da stellen sich keine großen Sinnfragen, der Sinn erschließt sich gerade aus der Situation. Volkstümlich: „Da muss man durch.“ Ich bewundere diese Einstellung, kann sie mir aber nicht zu eigen machen. Aber ich kann davon lernen, meine Lage gerade jetzt so anzunehmen, wie ich sie vorfinde, absurd oder sinnvoll. Sie ist einfach da. Natürlich blicke ich dabei nach vorne und berechne, wie meine nächsten Monate aussehen sollen. Viele eigene Pläne kann ich ja nicht machen, die Pläne schreiben andere vor. Aber im Rahmen meiner Lage kann ich mich dennoch frei bewegen und der Situation etwas abgewinnen. Das sind da die Momente, in denen andere vor mir über ihren körperlichen Verfall interessiert wie aus der Perspektive eines anderen schreiben können. Es sind die Momente, in denen andere wiederum ihren Geist nach oben schrauben und sich Gedanken um die „wirklich wichtigen Dinge des Lebens“ machen können.

Ist hier der Sinn der Krankheit? Meiner Krankheit? Oder bleibt das Absurde?

Keine Ahnung. Die Lichter der bahnbrechenden Erkenntnis sind erstmal ausgeknipst.

In meiner heutigen Psalmlektüre kam ich in den Psalm 22. Da heißt es in Vers 12

„Sei nicht fern von mir! Denn Drangsal ist nahe, und kein Helfer ist da.“

Der Psalmdichter erlebt wie ich eine absurde Situation des Leidens. Mehr als das: Jesus betet diesen Psalm 22 am Kreuz, als er zwischen Himmel und Erde hing und das Gericht empfing. Er selbst ging durch das für ihn vollkommen Unfassbare, das für ihn in diesem Moment Absurde – die Trennung aus der ewigen Gemeinschaft mit dem Vater. Und da ging er hindurch, durch Finsternis und Tod, durch Leid und Schmach. Absurd: Der Schuldlose büßt die Schuld der Schuldigen. Aber: Nicht absurd, denn Sein Leiden hatte ein Ziel, einen Sinn, der sich womöglich in dem Moment verschloss, als Jesus mitten im Leid war. „Warum hast Du mich verlassen?“

Dieser Jesus kennt meine Lage, versteht meine Lage, kennt meinen Aufschrei gegen das Absurde – weil er tiefer und intensiver durchgemacht hat als ich es mir je eralbträumen kann. Sein Weg ging durch Kreuz und Gericht hin zu Versöhnung und Auferstehung. Mag der Weg zwischendurch auch dunkel und absurd erschienen sein – in Gottes Plan wirkte selbst das Absurde mit, um das zu verwirklichen, was Gott sich vorgenommen hat.

Und damit brauche ich nicht mehr krampfhaft nach einem tieferen Sinn zu fahnden. Ich kann warten, bis sich der Sinn erschließt – oder auch nicht. In Gottes Liebe und im Leiden Jesu finde ich mich und meine Lage geborgen. Das ist kein billiger Trost, aber etwas, das mir mehr bedeutet und wesentlich mehr Kraft gibt als der nostalgische Blick zurück ins eigene Leben.




In den „Losungen“ fand ich heute einen Text, der mich gut inspiriert hat, das aktuelle Leben aus der Perspektive Gottes zu betrachten:


Was du geschaffen hast, verlässt du nicht.
Welt ist nicht nur, was Menschenaugen sehn,
und Ordnung mehr, als wir davon verstehn.
Anfang und Ziel – dir Einziger gehört´s,
denn größer bist Du, Gott, als unser Herz.
(Joachim Vobbe)

Alles Gute, Alsterstewart

4 Kommentare:

  1. Ich weiß nicht, ob Krankheit überhaut sinn macht. Denn Christus starb ja für unsere Krankheit damit wir sie eben nicht tragen müssen. Ich find es spitze dass du die sinnfrage immer mehr los lässt
    GOTT IST DA

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  2. Ich weiß nicht, ob Krankheit überhaut sinn macht. Denn Christus starb ja für unsere Krankheit damit wir sie eben nicht tragen müssen. Ich find es spitze dass du die sinnfrage immer mehr los lässt
    GOTT IST DA

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  3. Die Kunst zu fragen sollte nie aufhoeren...egal, was wir fragen, egal, wen wir fragen!

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  4. lieber stefan, habe heute einen Film gesehen über youtube der hieß: der weg deines lebens, war sehr neugierig und habe ihn bis zum ende angesehen. schauhe ihn dir auch bitte einmal an, ich denke du wirst ihn sehr gut verstehen. Gottes Segen viel Kraft und Geduld für dich.

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